Wenn der Staat den Hanf frei gibt

Frankfurt · Cannabis auf Rezept: Das hat kuriose Folgen. Der Bund kurbelt nun den Anbau an – und setzt auf „Made in Germany“.

 Cannabis in Schwarz-Rot-Gold: Deutschland soll staatlich kontrolliertes Anbaugebiet werden. Foto: fotolia, Grafik: Lorenz

Cannabis in Schwarz-Rot-Gold: Deutschland soll staatlich kontrolliertes Anbaugebiet werden. Foto: fotolia, Grafik: Lorenz

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(SZ/dpa) Es ist ein entscheidender Schritt für schwerkranke Menschen: Seit dem 10. März bekommen sie auf Rezept Cannabis in der Apotheke um die Ecke. Patienten brauchen nicht mehr wie bisher eine Ausnahmeerlaubnis. Und während Erkrankte die Droge bisher meist selbst bezahlen mussten, sind Krankenkassen nun verpflichtet, die Therapiekosten zu übernehmen.

Die neue Regelung ist für Firmen die Hoffnung auf ein lukratives Geschäft mit Hanf - jetzt auch in Deutschland. Denn der Wirkstoff von Cannabis kann vielen Patienten helfen, bei Multipler Sklerose und gegen chronische Schmerzen bei Rheuma, bei Krebspatienten oder der Nervenkrankheit Tourette-Syndrom.

In Deutschland ist die Zielgruppe für Cannabis-Therapien im Gegensatz zum boomenden Markt in Nordamerika bisher klein. Nur rund 1020 Patienten hatten bislang eine Ausnahmeerlaubnis zum Kauf von Cannabis für medizinische Zwecke. Wie viele es im Saarland sind, kann das bislang zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nicht beantworten. Die Daten würden nicht nach Bundesländern erfasst, sagt ein Sprecher auf SZ-Anfrage.

Doch die Nachfrage dürfte nun wachsen, glauben Branchenvertreter: "Cannabis als Medizin hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland stark ausgebreitet", sagt Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands. Wirkstoffe aus Cannabis werden bereits jetzt in Deutschland produziert, auch wenn der Markt noch klein ist.

Woher kommt nun künftig das Cannabis für die Patienten? Derzeit importiert der Bund laut BfArM den Stoff vor allem aus den Niederlanden und Kanada. Dort wird es für medizinische Behandlungen unter staatlicher Kontrolle angebaut. Im vergangenen Jahr wurden 170 Kilogramm sogenannter Medizinalhanf nach Deutschland eingeführt. Das ist gut drei Mal so viel wie noch 2014.

Künftig soll es nicht beim Import bleiben. Deutschland will seinen "Eigenbedarf" selbst decken - und hat dazu Anfang März eine staatliche Cannabis-Agentur unter dem Dach des BfArM gegründet. Sie werde die Versorgung von Patienten mit Cannabis "in pharmazeutischer Qualität" sicherstellen, erklärt BfArM-Präsident Karl Broich.

Die Agentur soll den Hanf aber auch nicht selbst anbauen. Sie will Aufträge EU-weit an Unternehmen ausschreiben, die sich um die Plantagen in Deutschland kümmern. Das Verfahren soll in wenigen Wochen starten, sagt ein Sprecher. Auch im Saarland könnte damit demnächst theoretisch Hanf im Staatsauftrag angebaut werden - sollte es einen Bewerber geben, der den Zuschlag erhält.

Bei der Behörde ist man bemüht um Distanz zur Droge: "Die Ernte wird nicht ins BfArM transportiert, nicht dort gelagert und auch nicht von dort aus weiterverteilt." Das würden die Anbaubetriebe und weitere Firmen übernehmen.

Wer dafür in Frage kommen könnte und welche Vorschriften für den Anbau gelten sollen, will der Sprecher aus vergaberechtlichen Gründen nicht näher eingrenzen. Die Agentur wiederum soll die Ernte erwerben und sie an Hersteller von Arzneimitteln, Großhändler oder Apotheken weiterverkaufen. Gewinne darf der Staat dabei nicht erzielen - wohl aber "Personal- und Sachkosten" berücksichtigen.

Wie viel Cannabis hierzulande benötigt wird, ist unklar. Das BfArM multipliziert die 1000 Patienten, die derzeit Ausnahmegenehmigungen haben, mit einem Tagesbedarf von einem Gramm - und kalkuliert so allein für sie mit 365 Kilogramm pro Jahr. Mit der ersten Ernte unter Staatsaufsicht rechnet das BfArM im Jahr 2019. Bis dahin kontrolliert wie bisher die Bundesopiumstelle den Cannabis-Import. Sie soll zudem in den nächsten fünf Jahren die Wirkung von Cannabis weiter erforschen - denn bisher ist die noch nicht komplett geklärt.

Das lässt etwa die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) an Behandlungen mit Cannabis zweifeln. "Für den dauer- und regelhaften Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt der Nachweis der Wirksamkeit", erklärte der GKV-Spitzenverband. Mit der neuen Studie der Bundesopiumstelle müsse sich zeigen, ob "die Cannabis-Therapie dauerhaft zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehört". Für die Kassen bedeutet die Freigabe hohe Kosten: Eine Therapie mit Cannabis kostet im Monat durchschnittlich 540 Euro, so wird es im neuen Gesetz veranschlagt.

Den Deutschen Hanfverband ficht das nicht an. Er erwartet einen "massiven Anstieg" der Therapie-Zahlen. "Einige hunderttausend Menschen könnten hierzulande von Cannabis-Behandlungen profitieren", sagt Geschäftsführer Wurth. Für Firmen sei das ein gutes Geschäft. Aus Sicht der Patienten dürfte das allerdings nur die Nebenwirkung des neuen Gesetzes sein.

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