Weltgeschichte zwischen Walzer und Schlittenfahrten

Wien · Napoleon hatte mit seinen Kriegen und Ideen fast ganz Europa erschüttert. Nach seiner Niederlage wurde der Kontinent auf dem Wiener Kongress neu geordnet. Das Treffen war ein Amüsierspektakel.

Ein Flugblatt brachte wenige Wochen nach dem Beginn des Wiener Kongresses die Meinung der Bürger über die gekrönten Häupter auf den Punkt: "Er liebt für alle: Alexander von Russland. Er denkt für alle: Friedrich Wilhelm von Preußen . Er spricht für alle: Friedrich von Dänemark. Er trinkt für alle: Maximilian von Bayern. Er frisst für alle: Friedrich von Württemberg. Er zahlt für alle: Kaiser Franz."

Die Monarchen an der Spitze von etwa 1000 Diplomaten und reichlich Begleitpersonal sollten in Wien eigentlich über die Neuordnung Europas nach 20 Jahren Krieg gegen Napoleon verhandeln. Das taten sie auch, aber mit viel Freude an der Ablenkung durch Amouren, Maskenbälle, Jagden, Feuerwerke und Schlittenfahrten. "Verschiebe nicht auf morgen, was du auch heute tun kannst, denn wenn es dir heute Spaß macht, kannst du es morgen wiederholen", befand der Herzog von Wellington, einer der Kongress-Teilnehmer. Die Ehre, eine dauerhafte Formel geprägt zu haben, ging an den Fürsten Charles Joseph de Ligne : "Der Kongress tanzt, aber er bewegt sich nicht", skizzierte er das Geschehen. Nach mehr als acht Monaten wurde aber auch Geschichte geschrieben. Die Wiener Congreß-Acte, am 9. Juni 1815 von acht Königen und Kaisern unterzeichnet, formte das neue Europa. 200 Jahre danach ist es Auslegungssache, wie klug einst gehandelt wurde.

"Der Preis der Friedensstiftung war außerordentlich hoch", sagt der Historiker Prof. Heinrich August Winkler von der Humboldt-Universität Berlin. Damit gemeint ist die auch trügerische Ruhe, die mit der Herstellung der alten Herrschaftsverhältnisse ("Restauration") einher ging: Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Abwenden nationaler Wünsche nach Einheit, Ende liberaler Bestrebungen. Allerdings folgten der Einigung auch Jahrzehnte ohne neue blutige Schlachten. "Sie hat den Frieden mindestens bis zum Krimkrieg oder gar bis zum Ersten Weltkrieg erhalten", bilanziert der Historiker Prof. Heinz Duchhardt.

Es war eine Herkules-Aufgabe, die von Napoleon verschobenen Grenzen neu zu ziehen. Die Interessen waren klar: Russland wollte Polen, Preußen wollte Sachsen, Frankreich wollte ungeschoren bleiben, Österreich wollte, was es vor Napoleon besessen hatte, Großbritannien wollte sich gegen Invasoren schützen - und alle wollten die alte aristokratische Ordnung vor der Französischen Revolution wiederbeleben.

Wichtig war allen das Gleichgewicht der fünf großen Mächte. Das Instrument dazu war die "Verschiebung der Seelen". Je mehr Bürger ein Land bekam, desto besser. "Seelen bedeuteten Steuerzahler und Soldaten, auch Prestige", sagt Duchhardt. Was Preußen im Osten an Russland verlor, bekam es im Westen und rückte als "Wacht am Rhein" geostrategisch an den Strom. Polen fiel faktisch größtenteils an Russland. Das besiegte Frankreich wurde nicht gedemütigt.

Als Gastgeber fühlte sich Wien nicht nur wohl: Es sonnte sich zwar im Glanz des politischen Spektakels, aber das Land musste auch die Zeche zahlen. Den als sparsam bis geizig bekannten Kaiser Franz I. kostete laut Schätzung das historische Treffen umgerechnet bis zu 100 Millionen Euro. "Ausbaden musste das der kleine Mann", sagt Duchhardt.

Das Feiern - in anderem Maßstab - hat bis heute in der Diplomatie seinen Stellenwert. "Zwangloses Beisammensein kann helfen, vereiste Positionen zu deblockieren. Das reicht von Heurigenbesuchen bis zu Ski- und Schiffsausflügen", sagt der Ex-Botschafter Österreichs in Israel, Kurt Hengl. Und auch die frühere deutsche Botschafterin in der Slowakei, Uta Mayer-Schalburg, betont: "Es hat noch nie geschadet, wenn man tanzen kann."

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