Weihnachten bei Familie Dickens

London · „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens ist wohl die bekannteste Weihnachtsgeschichte der Welt und war Vorbild für zahlreiche Film- und Comic-Adaptionen. Der geizige Geschäftsmann Ebenezer Scrooge wird eines Nachts von drei Geistern besucht, die sein Leben komplett verändern. Dickens sendete mit der Erzählung die Botschaft von Güte und Mitgefühl in die Welt. Der britische Schriftsteller liebte Weihnachten und war so etwas wie ein Trendsetter für das Feiern des Fests. Im Londoner Charles Dickens Museum ist deshalb derzeit alles geschmückt wie damals zu den Festtagen.

Oh, er war ein wahrer Blutsauger, dieser Scrooge! Ein gieriger, zusammenkratzender, festhaltender, geiziger, alter Sünder: hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen warmen Funken geschlagen hat, verschlossen und selbstgenügsam und ganz für sich, wie eine Auster. Die Kälte in seinem Herzen machte seine alten Gesichtszüge starr, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht runzlig, seinen Gang steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner krächzenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag auf seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf dem starken struppigen Bart. Er schleppte seine eigene niedere Temperatur immer mit sich herum: In den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis, zur Weihnachtszeit machte er es nicht um einen Grad molliger.

Weihnachten sei Humbug. Bah. Welch ein Unfug. Statt dem Festzauber gefühlsduselig zu erliegen, rechnet der habsüchtige Geizkragen Ebenezer Scrooge lieber seinen Kontostand nach und verschreckt seine Mitmenschen durch Hartherzigkeit. Dann erscheinen ihm in der Christnacht drei Geister - jeweils eine Gestalt aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft -, die den gierigen Geschäftsmann zur Menschlichkeit bekehren. Und in den dichten Nebel dieser Zeit, der London zu verschlucken droht, dringen plötzlich Mitgefühl, Herzlichkeit und Güte. Der britische Schriftsteller Charles Dickens schrieb mit "A Christmas Carol", so der Originaltitel, wohl die bekannteste aller Weihnachtsgeschichten. Sie war sofort nach Erscheinen ein Bestseller, gilt bis heute als Klassiker und wurde unzählige Male verfilmt oder auf andere Weise adaptiert. Am berühmtesten ist der britische Fantasyfilm aus dem Jahr 1984, in dem George C. Scott die Hauptrolle spielt.

Und so liest sich die Weihnachtsgeschichte von Dickens: "Zu dieser Zeit des schwindenden Jahres, sagte das Gespenst, leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde gehefteten Augen durch die Schar meiner Mitmenschen und wendete meinen Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die Weisen zur Wohnung der Armut führte? Gab es keine arme Hütte, wohin mich sein Licht hätte leiten können? Scrooge hörte mit Entsetzen das Gespenst so reden und fing an gewaltig zu zittern."

Der Erfolg der Geschichte liegt auch an Dickens Liebe zu Weihnachten , die er seit seiner Kindheit hatte und bis zu seinem Tod im Jahr 1870 nicht verlor. Sie wird derzeit im Charles Dickens Museum in London gefeiert. In der 48 Doughty Street, wo der Schriftsteller ab 1837 mit seiner Frau Catherine Hogarth für zweieinhalb Jahre lebte, ist Viktorianische Besinnlichkeit eingezogen. Als Vorbild für die heimelige Dekoration dienten Briefe von damals, Illustrationen und in Büchern und Notizen festgehaltene Erinnerungen. Ein bis zur Stuckdecke reichender, geschmückter Weihnachtsbaum ziert bis zum 5. Januar den Salon im ersten Stock des Wohnhauses, in der Küche im Untergeschoss stehen Süßspeisen wie sie damals gereicht wurden und im Esszimmer verrät eine gedeckte Tafel, wie Dickens seine Gäste empfangen und bewirtet hat.

Eigenwillige Kerzenständer und Kaminöfen lassen erahnen, wie er bis spät in die Nacht bei flackerndem Licht und knisterndem Kaminfeuer geschrieben hat. Als das Ehepaar mit dem ersten Kind in das Londoner Haus einzog, war Dickens noch ein wenig bekannter Schriftsteller. Bei ihrem Auszug wurde er bereits als Superstar gefeiert.

Originale Möbel, Bilder und Accessoires geben Einblicke in die Vergangenheit und das Leben von Dickens. "Weihnachten beinhaltet alles, was ihm wichtig war", sagt die Kuratorin Louisa Price. "Er liebte es, wenn Familien und Freunde zusammenkamen und feierten." Unaufhörlich wollte der Novellist Geschichten erzählen, die Festtage eigneten sich dafür wie kaum eine andere Zeit. Außerdem ging es dem Vater von zehn Kindern laut Price um die Werte, für die Weihnachten stehe: Mitgefühl, Dankbarkeit für all das, was man hat und der Wille, dieses Glück zu teilen. Dickens verfasste ein Plädoyer für Nächstenliebe, das zeitlos erscheint.

Auch wenn die Weihnachtsgeschichte um den grantigen und später geläuterten Scrooge mit einem Happy End schließt - Dickens wollte die Missstände seiner Zeit in Großbritannien anprangern. Mitte des 19. Jahrhunderts war London von den Exzessen der Industrialisierung gezeichnet. Die Bevölkerungszahlen schnellten seit vielen Jahren nach oben, die Städte konnten mit dem Zuwachs kaum mehr mithalten und die Arbeiter in den Fabriken verelendeten durch menschenunwürdige Arbeitsbedingungen.

Die sozialen Gegensätze verhärteten sich und die viktorianische Gesellschaft stank nur so vor Ungerechtigkeit. Auf der einen Seite entwickelte sich die Metropole zu ungekanntem Wohlstand, auf der anderen Seite prägten Kinderarbeit, überbevölkerte und dreckige Slums, miese Bedingungen in Gefängnissen sowie extreme Armut das Stadtbild. Ein Parlamentsbericht aus dem Sommer 1843, in dem die Kinderarmut im industrialisierten und stets reicher werdenden Großbritannien verurteilt wurde, ließ Dickens aufhorchen.

Der Report inspirierte den sozialkritischen Schreiber, der durch Werke wie "Oliver Twist", "David Copperfield" oder "Große Erwartungen" berühmt wurde, zu der Weihnachtsgeschichte . Und mit der Erzählung, aber auch durch seine Arbeit als Journalist sowie durch seine Rolle als literarischer Botschafter Englands, wurde er zum "Trendsetter", betont Museumsdirektorin Cindy Sughrue. "Er war ein sehr sozialer Mensch und machte Weihnachten auf eine Weise populär, die so zuvor in der Gesellschaft nicht vorgeherrscht hatte."

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