Stu­die der Ro­bert-Bosch-Stif­tung Wie Flüchtlinge Deutschland bewerten

Saarbrücken · Ei­ne neue Stu­die der Ro­bert-Bosch-Stif­tung gibt Hin­wei­se auf Schlüs­selthe­men wie Homosexualität und Gleich­be­rech­ti­gung, auf die es bei der kul­tu­rel­len In­te­gra­ti­on von Flücht­lin­gen in Deutsch­land an­kom­men könn­te.

Wie Flüchtlinge Deutschland bewerten: Ei­ne neue Stu­die der Ro­bert-Bosch-Stif­tung gibt Hin­wei­se auf Schlüs­selthe­men wie Homosexualität und Gleich­be­rech­ti­gung, auf die es bei der kul­tu­rel­len In­te­gra­ti­on von Flücht­lin­gen in Deutsch­land an­kom­men könn­te.
Foto: SZ/Lorenz, Robby

Seit dem Flücht­lings­zu­zug im Jahr 2015 wird viel über Mi­gra­ti­on, In­te­gra­ti­on, Ei­ge­nes und Frem­des, An­kom­men und Ab­schie­ben dis­ku­tiert. Stets prä­sent ist die ver­meint­li­che Ge­wiss­heit, dass sich Flücht­lin­ge in we­sent­li­chen Le­bens­ein­stel­lun­gen von den Deut­schen un­ter­schei­den. Die Gleich­be­rech­ti­gung von Mann und Frau et­wa wird oft als Wert ge­nannt, der die of­fe­ne, eu­ro­päi­sche Le­bens­wei­se cha­rak­te­ri­siert, den aber Flücht­lin­ge nicht tei­len. Doch ist das wirk­lich so? Wor­in un­ter­schei­den sich Flücht­lin­ge aus Län­dern wie Sy­ri­en, dem Irak und Af­gha­nis­tan tat­säch­lich von Deut­schen, und wel­che Kon­se­quen­zen muss man dar­aus für die In­te­gra­ti­ons­ar­beit zie­hen? Den Antworten näher kommt man durch ei­ne neue Stu­die der Ro­bert-Bosch-Stif­tung. Und das liegt vor al­lem am Per­spek­tiv­wech­sel, den die Stu­die wagt. Denn hier kom­men Flücht­lin­ge selbst zu Wort. Un­ter der Fra­ge­stel­lung „Wel­che kul­tu­rel­len Un­ter­schie­de Flücht­lin­ge wahr­neh­men – und wie sie da­mit um­ge­hen“ ge­ben rund 370 Mi­gran­ten ih­re ei­ge­ne Sicht auf ihr An­kom­men und ih­re In­te­gra­ti­on in Deutsch­land wie­der – zwar kei­ne re­prä­sen­ta­ti­ve, aber ei­ne auf­schluss­rei­che Au­ßen­sicht auf Deutsch­land.

Ein The­ma der Be­fra­gung ist die Gleich­be­rech­ti­gung von Mann und Frau. Na­he­zu flä­chen­de­ckend ist man der Mei­nung, dass Flücht­lin­ge Frau­en we­ni­ger Wert bei­mes­sen oder gar frau­en­ver­ach­tend sind. Zu die­sem Er­geb­nis kommt die Stu­die nicht. Ei­nen Un­ter­schied zwi­schen Deutsch­land und ih­rem Her­kunfts­land im Um­gang mit der Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern sieht knapp die Hälf­te der Be­frag­ten. Von die­sen 47 Pro­zent ge­ben 27 Pro­zent an, dass ih­nen die Um­stel­lung auf den an­de­ren Um­gang mit Gleich­be­rech­ti­gung schwer­fällt. In der Stu­die schrei­ben die Au­to­ren „nur gut ein Vier­tel“ – doch die­ses „Nur“ ist pro­ble­ma­tisch, denn auch wenn nur Ein­zel­ne an­ge­ben, sie hät­ten Schwie­rig­kei­ten, sich auf die Gleich­stel­lung von Frau­en ein­zu­rich­ten, be­darf das drin­gen­der in­te­gra­ti­ons­po­li­ti­scher Be­ach­tung. Wor­auf be­zie­hen sich die­se Schwie­rig­kei­ten? Auf die Idee der Gleich­be­rech­ti­gung an sich? Oder auf die Aus­wir­kun­gen der Gleich­be­rech­ti­gung? Das sind zwei un­ter­schied­li­che Din­ge, die je nach Aus­prä­gung an­ders an­ge­gan­gen wer­den müs­sen.

Glei­ches gilt für den Kom­plex Ho­mo­se­xua­li­tät: Denn den größ­ten Un­ter­schied se­hen Flücht­lin­ge im Um­gang mit ho­mo­se­xu­el­len Men­schen. 62 Pro­zent der Be­frag­ten ga­ben an, dass in Deutsch­land die Gleich­stel­lung gleich­ge­schlecht­lich le­ben­der Men­schen wich­ti­ger ist als in ih­rem Her­kunfts­land. Rund 40 Pro­zent die­ser Grup­pe fällt es schwer, mit die­sem Un­ter­schied um­zu­ge­hen. Auf al­le Flücht­lin­ge be­zo­gen be­deu­te­te das: Na­he­zu je­der vier­te Flücht­ling hat Schwie­rig­kei­ten da­mit, sich mit der recht­li­chen Gleich­stel­lung von ho­mo­se­xu­el­len Men­schen zu ar­ran­gie­ren. Vor dem Hin­ter­grund, dass in vie­len der wich­tigs­ten Her­kunfts­län­der gleich­ge­schlecht­li­che Be­zie­hun­gen kri­mi­na­li­siert und zum Teil hart be­straft wer­den, über­rascht die­ses Er­geb­nis nicht – alar­mie­ren muss es trotz­dem.

Doch ob Ho­mo­se­xua­li­tät oder Gleich­be­rech­ti­gung, ei­nen Feh­ler soll­te man nicht be­ge­hen: In der De­bat­te um die In­te­grier­bar­keit von Flücht­lin­gen wird oft so ge­tan, als ha­be Deutsch­land Frau­en­rech­te spä­tes­tens seit dem Zeit­al­ter der eu­ro­päi­schen Auf­klä­rung um­ge­setzt. Zur Er­in­ne­rung: Das Zeit­al­ter der Auf­klä­rung wird auf 1700 bis 1800 da­tiert. Oh­ne die Er­laub­nis ih­res Man­nes ar­bei­ten dür­fen Frau­en in Deutsch­land seit 1977. Und erst seit 1991 dür­fen Frau­en auch nachts, zwi­schen 22 und 6 Uhr, ar­bei­ten. Da­vor war es aus „aus sitt­li­chen und ge­sund­heit­li­chen Grün­den“ un­ter­sagt.

Mit die­ser Wahr­heit vor Au­gen kann auch bes­se­re In­te­gra­ti­ons­po­li­tik ge­lin­gen. Statt „Wir kön­nen ganz viel, und du musst un­se­re Wer­te er­ler­nen“ dürf­te ein Aus­tausch auf Au­gen­hö­he er­folg­ver­spre­chen­der sein. Das klingt dann so: Auch bei uns hat­ten Frau­en frü­her we­ni­ger Rech­te, auch wir ha­ben noch nicht al­le Un­gleich­hei­ten über­wun­den. Aber wir ge­ben uns Mü­he und wol­len je­de Form kon­kre­ter und struk­tu­rel­ler Dis­kri­mi­nie­rung aus­mer­zen. Und wenn du bei uns blei­ben willst, er­war­ten wir das auch von dir. Ne­ben der Sicht der Flücht­lin­ge auf ih­re In­te­gra­ti­on lie­fert die Stu­die eine zu­sätz­li­che Per­spek­ti­ve, die auf­schluss­reich ist. Die Sor­ge vor den Ge­pflo­gen­hei­ten der an­de­ren gibt es demnach auch an­ders­her­um: So mei­nen zwei Drit­tel der Flücht­lin­ge, dass die Men­schen in Deutsch­land sich mehr um sich selbst küm­mern als um ih­re Fa­mi­li­en. Und: Für­sor­ge für äl­te­re Fa­mi­li­en­mit­glie­der und Re­spekt vor Äl­te­ren sind nach Wahr­neh­mung der Be­frag­ten in ih­ren Her­kunfts­län­dern deut­lich stär­ker aus­ge­prägt als in Deutsch­land.

Auch hier wä­re ei­ne In­te­gra­ti­ons­stra­te­gie aus Auf­klä­rung und Selbst­kri­tik an­ge­mes­sen: An­ge­hö­ri­ge in ei­nem Se­nio­ren­heim un­ter­zu­brin­gen, ist kein Zei­chen von Re­spekt­lo­sig­keit oder man­geln­der An­er­ken­nung. Wäh­rend die Pfle­ge der Äl­te­ren in vie­len Her­kunfts­län­dern der Flücht­lin­ge Fa­mi­li­en­sa­che ist, er­schwe­ren es die Prin­zi­pi­en der Leis­tungs­ge­sell­schaft, die Groß­el­tern zu Hau­se zu be­treu­en. Un­kri­tisch soll­te der Um­gang mit Äl­te­ren in Deutsch­land aber nicht ge­se­hen wer­den: Die Ar­beits­be­din­gun­gen in Se­nio­ren­hei­men sind nicht gut, der Fach­kräf­te­man­gel ist be­kannt. Dass fast 90 Pro­zent der über 65-Jäh­ri­gen ei­ne Be­treu­ung im häus­li­chen Um­feld vor­zie­hen wür­den, aber nur 76 Pro­zent in den Ge­nuss kom­men, ge­hört auch zur Wahr­heit.

Die Stu­die zeigt: Es ist in mehr als ei­ner Hin­sicht wert­voll, nicht nur über Flücht­lin­ge zu re­den, son­dern auch sie re­den zu las­sen.

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