Was tun gegen den Schulz-Effekt?

Berlin · Martin Schulz startet mit einem ordentlichen Sympathie- und Vertrauensvorschuss in den Wahlkampf. Er holt die Kanzlerin in Sachen Beliebtheit ein. Aber reicht das aus? Bald muss der neue SPD-Hoffnungsträger Inhalte liefern.

Martin Schulz macht offenbar auch der Union Beine. Weil die SPD ihn als Kanzlerkandidaten nominiert hat, wird das für Anfang Februar geplante Friedenstreffen der Spitzen von CDU und CSU in München aller Voraussicht nach tatsächlich stattfinden. CSU-Chef Horst Seehofer hatte den Sinn der Begegnung wegen des Flüchtlingsstreits mehrfach in Frage gestellt.

Unionsfraktionschef Volker Kauder gab sich gestern betont locker. Die Union müsse Schulz "überhaupt nicht" fürchten. So seien die ersten guten Umfragewerte des neuen Spitzenmanns der SPD nur vorübergehend. Eine solche Wirkung könne man oft beobachten, "wenn jemand neu auf die Bühne tritt", meinte Kauder. Das stimmt.

Als im September 2012 Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der Genossen gekürt wurde, schnellten ebenfalls seine persönlichen Umfragewerte und auch die der SPD in die Höhe. Anfänglich lag er in der Beliebtheit sogar gleichauf mit Angela Merkel. Wie jetzt Martin Schulz . Danach ging es aber rapide bergab für Steinbrück. Etwas Ähnliches geschah 2009 mit Frank-Walter Steinmeier . "Also abwarten", hieß es in der CDU . Sobald Schulz sich inhaltlich festlegen müsse, werde es Enttäuschungen geben. Vor allem beim linken Flügel der SPD . Dann sei die erste Euphorie über Schulz womöglich schon wieder dahin.

Gleichwohl verspüren im Moment nicht nur die Genossen einen positiven Schulz-Effekt, sondern das gilt überraschenderweise auch für die Union. Insider sprechen von einer "disziplinierenden Wirkung", die die erfolgreiche Nominierung des SPD-Mannes hat. Was damit gemeint ist: Der Druck bei CDU und CSU ist größer geworden, in der Flüchtlingsfrage endlich Frieden zu schließen und die gegenseitigen Attacken einzustellen. Am 5. und 6. Februar soll nun in der CSU-Landesleitung in München möglichst viel Einigkeit demonstriert werden. Das Konrad-Adenauer-Haus verschickte inzwischen "Save the Date"-Einladungen für die gemeinsame Sitzung der Führungskräfte beider Parteien; dem Vernehmen nach klären die Generalsekretäre Peter Tauber (CDU ) und Andreas Scheuer (CSU ) derzeit die letzten Details für die Tagung. Überlegt wird auch, ob es eine "Münchner Erklärung" geben soll. Das zweitägige Treffen dient zugleich der Vorbereitung eines gemeinsamen Wahlprogramms.

Das Zerwürfnis besteht vor allem darin, dass CSU-Chef Seehofer weiter auf eine Obergrenze bei der Flüchtlingsaufnahme von 200 000 pocht, während die Kanzlerin dies kategorisch ablehnt. Zuletzt machte Merkel das Anfang des Jahres bei der CDU-Vorstandsklausur im saarländischen Perl deutlich. Dieser Dissens, verlautete es aus Union, sei nicht aufzulösen. Auch nicht durch "Wortklaubereien". Also wird man entweder zu dem Konflikt schweigen, oder möglichst lapidar erklären, dass er halt besteht. Denn dem sozialdemokratischen Schwung kann man schwerlich mit unionsinternem Streit das Wasser abgraben. Laut der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner wird es ein "konstruktives Treffen" der Schwestern werden. Inhaltlich gehe es um die Innere Sicherheit , um Haushaltsfragen und um Europa. "Die Themen, bei denen wir uns einig sind, überwiegen bei weitem", sagte Klöckner gestern der Saarbrücker Zeitung.

Freilich will man auch Merkels Herausforderer Martin Schulz angreifen. Dass die SPD nun "in einer Sturzgeburt den Europa-Funktionär und Eurobond-Befürworter Schulz aufs Schild gehoben hat", stichelte Klöckner bereits, "gibt uns die Gelegenheit, die Unterschiede zwischen Union und SPD noch deutlicher herauszuarbeiten". Von so einer Schlagzeile hätte ein Sigmar Gabriel nur träumen können. "Merkel und Schulz in der Wählergunst gleichauf" - das klingt nach einem offenen Rennen ums Kanzleramt. Es ist ein erster kleiner Höhenflug für den künftigen Parteichef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz . Und ein Fest für die SPD , die monatelang im Umfragetief verharrte und auf die Entscheidung ihres Vorsitzenden zur K-Frage warten musste.

Dürften die Wähler direkt entscheiden, wer ins Kanzleramt einzieht, würden 41 Prozent Merkel wählen und 41 Prozent den neuen SPD-Hoffnungsträger Schulz (siehe Grafik links). Noch dazu liegt Schulz in Sachen Sympathie und Glaubwürdigkeit vor der Kanzlerin. Aber wie aussagekräftig sind diese Daten des ARD-Deutschlandtrends, die nach der Ankündigung des Führungswechsels bei der SPD eilig am Dienstag und Mittwoch erhoben wurden?

Sie sind eine Momentaufnahme - aber eine, die der Partei gut tut. Sie will den Schwung ausnutzen. "Läuft", schreibt Jugendministerin Manuela Schwesig auf Twitter . Unter dem Schlagwort #JetztistSchulz wirbt die Partei um neue Mitglieder. 450 haben sich seit Dienstagnachmittag online angemeldet, in den Landesverbänden sind es noch deutlich mehr

So viel Stolz auf den Spitzenkandidaten wäre kaum denkbar gewesen, wenn Gabriel es selbst gemacht hätte. Nun stellt sich der linke Parteiflügel demonstrativ hinter den Parteikonservativen Schulz, die Jusos tun es auch. Doch noch ist Vorsicht geboten. Eine etwas andere Sprache sprechen Zahlen, die die "Bild" seit Dienstag von Insa erheben ließ: Demnach wollen nur 25,5 Prozent der Deutschen einen Kanzler namens Martin Schulz . 40,5 Prozent würden dagegen zu Merkel halten, wenn sie den Regierungschef direkt wählen könnten. Das Kreuzchen machen die Wähler am 24. September aber sowieso nicht bei Schulz, sondern bei der SPD . Kann der Ex-Bürgermeister von Würselen die Sympathie in Stimmen ummünzen? 2009 war Frank-Walter Steinmeier als Außenminister und Spitzenkandidat Umfragen-Überflieger - am Wahltag stürzten er und die SPD auf das historisch schlechteste Ergebnis 23 Prozent ab.

Innenpolitisch ist der Weltbürger aus Würselen ein unbeschriebenes Blatt. In den beiden öffentlichen Mini-Reden, die der Merkel-Herausforderer seit Dienstag gehalten hat, blieb er inhaltlich vage: Zusammenhalt der Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit, klare Kante gegen Rechts, das sind Kernthemen der SPD . Und natürlich mehr Europa, der Markenkern des ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten. Aber ist nicht die Innere Sicherheit nach dem Berliner Terroranschlag das Megathema im Wahlkampf ? Am Sonntag wird Schulz bei seiner Kandidaten-Krönungsmesse Antworten liefern müssen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort