Was im Fall Amri schief lief – und läuft

Berlin · Wieder einmal suchte der Innenausschuss nach Aufklärung über den Berlin-Attentäter. Doch etwas Neues gab es nicht. Stattdessen: Wahlkampf.

Von Klarheit keine Spur: Die Bewertung dessen, was der Bundestags-Innenausschuss gestern zum Fall des Berliner Attentäters Anis Amri zu hören bekam, konnte unterschiedlicher nicht ausfallen. "Fehler sind überall gemacht worden", resümierte SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. Dagegen erhob CSU-Mann Stephan Mayer vor allem Vorwürfe gegen Nordrhein-Westfalen, wo "nicht mit der notwendigen Vehemenz und Dringlichkeit" vorgegangen worden sei.

Das Puzzle um Amri ist noch lange nicht fertig - neue Teile konnte freilich auch der Ausschuss in einer weiteren Sondersitzung nicht hinzufügen. Im Gegenteil: Es zeichnet sich ab, dass das schreckliche Attentat und die Umstände, unter denen Amri es verüben konnte, in den Wahlkampf gezogen werden.

Sämtliche Spitzen der deutschen Sicherheitsbehörden waren in den Ausschuss geladen, dazu Berlins Innensenator, Andreas Geisel (SPD), und der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger. Auf ihn richteten sich vor allem die Blicke: Man habe sich heftig mit dem SPD-Mann gestritten, berichteten Teilnehmer.

Dreimal wurde Jäger nach der Sitzung gefragt, ob er selber Fehler gemacht oder ob es im Umfang mit Amri welche in NRW gegeben habe. Jedes Mal wich er aus. Die 40 Beamten von Bundes- und Landesbehörden im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum hätten zwar nach heutigem Wissen eine Fehlentscheidung getroffen, so sein dreimaliger Verweis, "aber mit dem Wissen vom 19.12. gab es keinerlei Hinweise, die die Gefährlichkeit belegt hätten". Am 19. Dezember des vergangenen Jahres raste der Tunesier Amri mit einem Lkw über den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz und tötete zwölf Menschen.

Amri konnte die Tat begehen, obwohl er schon Monate zuvor als islamistischer Gefährder ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten war. Seine Überwachung wurde allerdings vor dem Anschlag eingestellt. Auch wegen einer Vielzahl krimineller Vergehen - von Drogenhandel bis zur Verwendung mehrerer Identitäten - war der abgelehnte Asylbewerber aufgefallen, eine geplante Abschiebung wurde aber nicht vollzogen. Vor dem Anschlag war der Tunesier häufig zwischen Berlin und Nordrhein-Westfalen gependelt, insbesondere in NRW konnte er sich frei bewegen.

Vor allem die Union schoss sich auf Jäger ein: CSU-Mann Mayer kritisierte, der Minister mache es sich zu einfach, in dem er die Schuld nur auf die Behörden von Amris Heimatland Tunesien schiebe, die nicht innerhalb von drei Monaten Pass-Ersatzpapiere geliefert hätten. Nur wenn eine Abschiebung innerhalb dieses Zeitrahmens absehbar ist, ist in der Regel eine Haft möglich. Die große Koalition will dies ändern. Mayer beklagte zudem, in NRW sei der rechtliche Rahmen nicht ausgeschöpft worden. Auch der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagte, Nordrhein-Westfalen sei "in erster Linie" verantwortlich, dass Amri nicht inhaftiert wurde. Da der Tunesier wegen einer Reihe kleinkrimineller Vergehen aktenkundig war, hätte es dafür "gleich mehrere Chancen" gegeben. Jäger wies die Vorwürfe auch nach der Sitzung zurück. "Um es mal ganz deutlich zu sagen: Die Bundesregierung hat Rücknahmeabkommen mit Ländern wie Tunesien und Marokko und Algerien vereinbart, die in den Ländern und Kommunen nicht praktikabel umsetzbar sind", betonte er.

Das alles kann man ein Schwarzer-Peter-Spiel nennen, das nun auch auf Bundesebene gespielt wird. Jedenfalls blieben nach der fünfstündigen Sondersitzung viele Fragen offen. "Ein Untersuchungsausschuss auf Bundesebene rückt immer näher", lautete das Fazit des Grünen Hans-Christian Ströbele. Das Problem: Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr. Die parlamentarische Sommerpause beginnt Anfang Juli, und dann wird im September schon der neue Bundestag gewählt.

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