War es ein Pilotenfehler – oder der russische Geheimdienst?

Warschau · Vor fünf Jahren, am 10. April 2010, stürzte ein Regierungsflugzeug mit dem damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in Russland ab. Fast 100 Menschen starben. Und immer noch kursieren Verschwörungstheorien.

Massentrauer vor dem polnischen Präsidentenpalast, Anklagen und Mordgerüchte - heute jährt sich zum fünften Mal der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine über dem russischen Smolensk . Die Nachricht vom Tod von 96 Menschen, darunter der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski, schockte das ganze Land. Zusammen mit höchsten Vertretern des Militärs, des Parlaments und des politischen Lebens war er auf dem Weg zu einer Gedenkfeier für die Opfer von Katyn, jener 22 000 Polen, die 1943 vom sowjetischen Geheimdienst hingerichtet wurden. Doch die Tupolew TU-154 verunglückte beim Landeanflug im Nebel.

F ünf Jahre später teilt die Deutung der Katastrophe Gesellschaft und Politik im Land. Die Ermittlungen der Warschauer Militärstaatsanwaltschaft sind noch nicht beendet, gerade wurde das Verfahren um sechs Monate bis zum 10. Oktober verlängert, und schon jetzt warnt Behördenchef Ireneusz Szelag, die Ermittlungen würden sich wohl bis ins kommende Jahr hinziehen. Eine Untersuchungskommission des Innenministeriums mit Luftfahrtexperten geht von menschlichem Versagen aus, genauer gesagt von Pilotenfehlern. Szelag sieht auch Hinweise auf eine Mitschuld der russischen Fluglotsen. Doch neue Gesprächsprotokolle der Blackbox, die vor wenigen Tagen an einen Rundfunksender durchsickerten, sorgen für neue Kontroversen. Eine dritte Person war entweder im Cockpit oder unmittelbar davor - offenbar handelte es sich um Luftwaffenchef Andrzej Blasik. Galt das ihm zugeschriebene "Da ist doch noch Platz" den Piloten, die angesichts der schwierigen Sichtverhältnisse zögerten und wiederholt um Ruhe baten?

Verschwörungstheoretiker wollen von der Theorie eines tragischen Unglücks nichts wissen. "Es war Mord", zeigte sich der nationalkonservative Oppositionschef Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des Präsidenten, schon vor Jahren überzeugt. Der Absturz sei ein Anschlag auf Kaczynski gewesen, die russischen Ermittler an der Unglücksstelle hätten mehr vertuscht als aufgeklärt. Mit dieser Meinung steht Kaczynski nicht allein. Nach einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage meinen 32 Prozent, dass ein Anschlag als Absturzursache möglich ist. Unter den Anhängern von Kaczynskis Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) glauben dies sogar 57 Prozent.

Dass in einigen Fällen die sterblichen Überreste der Opfer falsch identifiziert wurden, wie Exhumierungen und DNA-Analysen ergaben, wird als Bestätigung absichtlicher russischer Irreführung ausgelegt - und nicht etwa der Tatsache, dass angesichts der Wucht des Aufpralls in vielen Fällen eine exakte Identifizierung der Toten schwierig gewesen sein dürfte.

Der PiS-Abgeordnete Antoni Macierewicz leitet einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss der PiS zum Smolensk-Absturz. Er kam zu dem Schluss, es habe eine Explosion an Bord gegeben. Allerdings ließen sich Gerüchte über angebliche Sprengstoff-Funde in den Trümmern bisher nicht bestätigen. Vor dem fünften Jahrestag haben derartige Berichte Konjunktur. Gerade erschien das Buch "Angriff auf die Wahrheit" von Malgorzata Wassermann, der Tochter des bei dem Absturz verunglückten ehemaligen Geheimdienstkoordinators Zbigniew Wassermann. "Mein gegenwärtiges Wissen grenzt an Sicherheit, dass es eine Explosion gab", schreibt sie darin. "Die Anschlaghypothese ist sehr wahrscheinlich." Ebenfalls am Mittwoch erschien das Buch "Verschlussakte S" des deutschen Enthüllungsjournalisten Jürgen Roth. In einem Interview mit dem der PiS nahestehenden Fernsehsender Telewizja Republika sagte er, der russische Geheimdienst FSB habe eine "wesentliche Rolle" bei dem Anschlag auf die Präsidentenmaschine gespielt. Er sei im Besitz zweier Berichte deutscher Sicherheitsdienste, in denen von Sprengstoff an Bord des Flugzeugs ausgegangen werde.

Der BND dementierte dies. "Ein in den Medien genanntes und bei Youtube gezeigtes Dokument aus März 2014, von dem behauptet wird, dass der Buchautor daraus zitiere, wurde bei einer kurzfristig angestrengten hausweiten Suche nicht gefunden", sagte ein BND-Sprecher. Der polnische Außenminister Grzegorz Schetyna verwies die Berichte in den "Bereich der Belletristik".

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