Vom Ende eines großen Abenteuers

Zum letzten Mal für immer setzt sich am 29. Juni 2012 im Grubenbahnhof Ensdorf ein Kohlezug in Bewegung, voll beladen mit "schwarzem Gold", das direkt zu einem Kunden transportiert wird. Dann ist endgültig Schicht im Schacht, Schlusspunkt einer Jahrhunderte langen fantastischen Geschichte, die das Saarland geprägt hat wie nichts sonst

 Letzte Fahrt: Bald ist auch die imposante Schienenflurbahn Geschichte, die Bergleute an ihre Arbeitsplätze transportiert hat. Foto: RAG/Grömminger

Letzte Fahrt: Bald ist auch die imposante Schienenflurbahn Geschichte, die Bergleute an ihre Arbeitsplätze transportiert hat. Foto: RAG/Grömminger

Zum letzten Mal für immer setzt sich am 29. Juni 2012 im Grubenbahnhof Ensdorf ein Kohlezug in Bewegung, voll beladen mit "schwarzem Gold", das direkt zu einem Kunden transportiert wird. Dann ist endgültig Schicht im Schacht, Schlusspunkt einer Jahrhunderte langen fantastischen Geschichte, die das Saarland geprägt hat wie nichts sonst. Und während die Menschen im Saarland über das Ende des Bergbaus sinnieren, die einen fröhlich, die anderen trauernd, laufen untertage die Planungen für ein logistisches Bravourstück: den Abbau der viele Millionen Euro teuren Anlagen unter der Erde. Riesige Werte. Alleine schon zwei Schachtanlagen, die jedes Bergwerk braucht, werden mit bis zu 600 Millionen Euro veranschlagt, der Wert eines gesamten Bergwerks mit bis zu 1,5 Milliarden Euro.Schon seit Monaten trainieren ausgesuchte Teams im Bergwerk Saar minutiös die Reihenfolge des Rückbaus der zahlreichen Anlagen. Die ab 1. Juli zunächst noch 890 Mann umfassende Restbelegschaft in Ensdorf (inklusive Verwaltung) steht noch einmal vor einer großen Herausforderung, bei der alles abverlangt wird. Jeder Handgriff, jeder Ablauf muss sitzen. Höchste Sicherheitsanforderungen sind zu beachten. Und das alles innerhalb eines gigantischen Arbeitspensums. Denn untertage müssen Teile sowie Anlagen auf einer Länge von 60 Kilometern entfernt werden: das ist eine Fläche von Ensdorf über Reisbach bis hin zum Nordschacht auf dem Hoxberg und dem Südschacht unterhalb von Niedersalbach.

Betriebsdirektor Peter Plitzko (57) ist guter Dinge: "Unsere Leute bringen vollen Einsatz. Bis zuletzt." Grundlage für alle Aktivitäten ist der "Meilensteinplan 2012/2013", der im Büro des Betriebsdirektors aushängt. Gültig vom 1. April 2012 bis Ende Juni 2013. Mit allen Arbeitsschritten, Tag für Tag detailliert aufgelistet. Ein gigantischer Fahrplan.

Schon bis November 2012 sollen alle Maschinen und Materialien von untertage abgebaut und wieder ans Tageslicht befördert worden sein. Nur noch bis zum Februar 2013 soll der Zugang zu den Schächten gewährleistet bleiben, bevor diese explosionssicher mit großen Mengen Beton verschlossen werden. Um letzteres zu gewährleisten, wird extra ein Spezialteam aktiv, für das in den vergangenen Monaten zusätzlich Schachthauer augebildet worden sind. Ihre Aufgabe besteht auch darin, große Stahlträger als Sicherheit in den Schächten einzuziehen. Vor dem Verfüllen der Schächte erfolgt eine letzte "Endbefahrung" durch die Obere Bergbehörde des Saarlandes in Begleitung eines Umweltingenieurs sowie des zuständigen Abteilungsleiters der RAG Deutsche Steinkohle.

Bei einem Blick auf die riesigen "Kolosse" von Maschinen, die derzeit noch ihren Dienst tun, kann man sich schon fragen, wie der Abbau der gesamten Technik untertage im vorgesehenen Zeitraum bewältigt werden soll. Doch hier sind eben wirklich Spezialisten aktiv. Auch solche, die bereits jetzt am Einsatzort Maschinen "in kleine Portionen" zerteilen, sie systematisch auseinanderbauen: Motoren, Getriebe, Tranformatoren, Spezialtechnik, Edelequipment. Damit alles dann in Einzelteilen durch den Nordschacht an die Oberfläche befördert werden kann. Vorsorglich wurde der Nordschacht seinerzeit schon mit modernster Technik realisiert, die es ermöglicht, in einem Zug bis zu 32 Tonnen Gewicht nach oben zu befördern.

Die Technik aus dem Bergwerk Saar ist übrigens weltweit begehrt. Längst geben sich Besuchergruppen aus dem In- und Ausland die Klinke in die Hand, um sich das edle Equipment zu sichern. Deshalb wird auch vieles von dem, was jetzt untertage demontiert wird, nicht nur eine Weiterverwendung bei der RAG an der Ruhr oder im ostwestfälischen Ibbenbüren finden, sondern auch in China, Tschechien, der Ukraine, der Türkei und anderswo. Zumal diese Spezialtechnik nur im Bergbau einsetzbar ist. Fördermaschinen können allerdings nicht einfach irgendwo wieder aufgebaut und eingesetzt werden. "Mit den Fördermaschinen ist es wie mit einem Maßanzug: Es muss passen", veranschaulicht Betriebsdirektor Plitzko. In den Strecken, in denen die Kohle abgebaut worden ist, sind viele tonnenschwere Maschinen zum Einsatz gekommen. Deshalb werden die Bergleute bei ihrer Arbeit ab Juli auch chronologisch vorgehen, also mit dem Rückbau der Anlagen dort beginnen, wo zuletzt die Kohle gefördert worden ist. Und sich nach und nach systematisch bis zum Förderkorb am Eingang der Grube vorarbeiten, wo das "Abenteuer Bergbau" dann endgültig seinen Abschluss finden wird. Nochmals Plitzko: "Das Feld wird von den Rändern zur Mitte geputzt." Was in der Praxis bedeutet, dass sich die Teams jeweils aus dem Streb heraus von Neben- zu Hauptstrecken vorarbeiten.

Eine große Herausforderung stellt dabei auch die Demontage des bis zu 26 Tonnen schweren Schildausbaus dar. Das sind hydraulisch verstellbare Stütz- und Schutzgeräte auf Gleitkufen. Diese stützen das Hangende und bewahren den Bergmann bei seiner Arbeit im Streb vor herabfallenden Gesteinsmassen. Mehrere Schilder nebeneinander können einen Raum von bis zu 400 Metern Länge ausfüllen. Der Ausbau der Schildsäule ist ebenso aufwendig wie die Demontage der Gewinnungsanlage selbst. Im Bergwerk Saar gehört dazu zudem ein großer Hobel, der bis zuletzt noch Kohle aus dem Berg herausgeschnitten hat. In einem weiteren Schritt gilt es, die Transportbänder abzumontieren. Ganz am Ende folgt dann noch die Schienenflurbahn, die jahrzehntelang Tag und Nacht die jeweilige Schicht über viele Kilometer hinweg zu ihren Einsatzorten gebracht hat.

Doch mit dem Rückbau der gigantischen Anlagen ist die Herausforderung für die Teams längst noch nicht abgeschlossen. Ebenfalls seit mehreren Monaten läuft eine penibel angelegte Dokumentation anhand von Listen. Alle Teile und Bestände untertage sind darin genauestens erfasst. Inklusive der künftig vorgesehenen Verwendung. Besonders viel Fingerspitzengefühl müssen die Bergleute im Umgang mit umweltrelevanten Teilen zeigen. Auch hier kommen wiederum Spezialisten zum Einsatz. Sie ermitteln anhand eines Umwelt-Katasters, wie bei der Entfettung und Endölung von Anlagen vorzugehen ist. Und, welche Öle speziell entsorgt werden müssen.

Und so kümmert sich die RAG, deren Kohle bei Verbrennung leider ja auch das klimaschädliche Kohlendioxid emittiert, auch um den Umweltschutz. Hier hat man sich im Laufe der Jahre ein beachtliches Maß an Sachverstand angeeignet. Der Betrieb ist mittlerweile zertifiziert und gehört dem Umweltpakt Saarland an. Denn auch das ist klar an der Saar: Auch nach dem Ende des Bergbaus will das traditionsreiche Unternehmen RAG weiter existieren. Foto: rag

"Technik im Bergbau ist wie ein Maßanzug: Sie muss passen."

 Auch die mächtigen Schrämmaschinen zur Kohleförderung werden komplett abgebaut. Foto: Becker & Bredel

Auch die mächtigen Schrämmaschinen zur Kohleförderung werden komplett abgebaut. Foto: Becker & Bredel

Peter Plitzko, Betriebsdirektor

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