Vier Kräne und ein Verein im Glück

Ensdorf · Das Wetter hielt: Im dritten Anlauf kam es gestern Morgen mit einer großen Kran-Hub-Aktion zum gestalterischen Finale des Ensdorfer Bergbau-Symbols Saarpolygon. In der Umgebung der Landmarke soll nun der „Park Duhamel“ wachsen.

Die einen gerührt, die anderen erleichtert, viele stolz, nur wenige nervös - und alle ungewöhnlich aufgekratzt. "Ein Jahrhundert-Ereignis" macht nun mal hellwach. Wie ein Refrain zog sich der pathetische Begriff gestern durch die von Kamerateams festgehaltenen Statements. Rund zwei Dutzend Besucher hatten einen rund 30-minütigen Aufstieg hinter sich, kamen gegen sieben Uhr morgens auf das 150 Meter hoch gelegene, geräumige Plateau der Ensdorfer Halde. Welch ein majestätisches Panorama, ein Saarland-Rundblick bis zum Schaumberg hoch, französische Windräder, Carling und der Weiße Riese von Göttelborn - der höchste Bergbauförderturm der Welt. Wonnige Heimatgefühle, die Sonne scheint für den "Brückenhub", eine Art Richtfest der stählernen Landmarke Saarpolygon: Aufrichten, Verschwenken und Verschrauben der 35 Tonnen schweren Aussichtsbrücke in rund 30 Metern Höhe.

Es ist bautechnische Millimeterarbeit, ausgeführt von vier Spezialkranfahrzeugen der Saarwellinger Firma Steil. Ein "Tanz der Titanen", wie ein Zuschauer meinte. So etwas liefert spektakuläre Bilder und bei den Verantwortlichen wohl einen nicht unerheblichen Thrill. Zumal die Aktion wegen des Stark regens bereits zweimal verschoben werden musste, und der gestrige Termin die letzte Chance bot, bevor die gemieteten Kräne anderweitig eingesetzt werden sollten. Massive Verzögerungen und Verteuerungen wären die Folge gewesen. Nervenkitzel? Nicht bei Volker Laufenberg. Der Projektleiter der Generalunternehmer-Firma Queck aus Düren gibt den Fels in der Brandung. Er legt dar: Für die Leipziger Montagefirma Imo, die man engagiert habe, sei solcherart Fein-Tuning "täglich Brot": "Das klappt alles, wir sind hier nicht in Timbuktu." Gleichwohl, hört man von Laufenberg, wertet man bei Queck das komplexe Gesamtvorhaben Saarpolygon als "Prestigeprojekt". Obwohl Laufenberg bereits 30 Jahre im Geschäft ist, etwa beim Dortmunder Stadion und der Formel-1-Strecke in Abu Dhabi mitmachte, hat er "so viel öffentliches Interesse" wie in Ensdorf noch nie erlebt. Auch noch nie so viel Emotion.

"Es ist unser Baby", sagt Jutta Schneider, Leiterin der Geschäftsstelle beim Förderverein Bergbauerbe Saar. Ihr Polygon-Projektsteuerer im Verein, Volker Hagelstein, der sonst nicht zu großen Worten neigt, spricht von einem "erhebenden Moment" und einem "singulären Objekt". Der Ensdorfer Bürgermeister Hartwin Faust schwärmt von zukünftigen Touristenströmen. "Das ist jetzt unser Eiffelturm. Das Polygon wird noch in 100 Jahren stehen." Und Bernd Müller von RAG Montan Immobilien sieht das Saarpolygon in zehn Jahren als Saarland-Wahrzeichen "in einem Atemzug mit der Völklinger Hütte und der Saarschleife auftauchen".

Wer hat's möglich gemacht? Bergmännische Tugenden. "Beharrlichkeit, Fleiß und das Vertrauen auf das Gelingen", nennt der Fördervereins-Vorsitzende Hans-Jürgen Becker. Fünf Jahre galt es für die Ehrenamtlichen, nicht wenige Widerstände zu überwinden. Ausschreibungen mussten wiederholt und Finanzlücken gestopft werden, fehlende Behindertengerechtigkeit löste Ablehnung aus, Häme war auszuhalten ob einer Vervielfachung des Budgets. Gestern war das alles vergessen. Mit Kameras ausgerüstete Drohnen umsurrten das Geschehen - die Firma Steil ließ einen Imagefilm drehen. Um 7.55 Uhr hieß es "Brücke frei" - das Stahlkonstrukt hing frei in den Schluppen der Kräne zwischen den zwei Schrägtürmen. Danach ging es gemächlich sanft nach oben, bis zu den Anpassungspunkten. 80 Schrauben - Durchmesser: 36 Millimeter - waren zu justieren. "Die werden nie mehr gelöst, sie sind für die Ewigkeit gemacht", so Laufenberg. Maximal 26 Millimeter Spiel hatten die Arbeiter, die allerletzte Distanz überbrückten sie mit Handkraft. Beweis dafür, wie elastisch Stahl ist.

Und dann, doch recht plötzlich, hat das Polygon seine finale Außen-Gestalt, die man von den Simulationen kennt. Eine raffinierte, denn die Optik wechselt, je nach Perspektive. Eine Arche? Ein Tor? Eine Himmelsstütze? Auf keinen Fall ein Trauer- und Vergangenheits-Symbol, da sind sich alle hier oben einig. Tradition und Wandel, darum gehe es, da ist sich auch der frühere RAG-Elektroingenieur Peter Lay (64) sicher. Zusammen mit seinem Vater Johann (94) hat er für 1000 Euro eine der 265 Treppenstufen "gekauft", die die Skulptur innen erschließen. "Zwei Generationen auf der Grube Ensdorf " soll draufstehen. Nur 20 der Stufen sind überhaupt noch für Spender zu haben, das Bauwerk ist längst ausfinanziert. Doch "Ich habe fertig", das gibt es für den Förderverein nicht. Zum einen wird dem Polygon mit 20 000 Schrauben noch eine Außenhaut angepasst, dann folgt der Innenausbau (LED-Beleuchtung, Treppenbelag), eine Spenderstele wird errichtet, ein weniger steiler Weg gebaut, Infostelen geplant, das Einweihungsfest im September organisiert. Doch all das meint Martin Becker, der zweite Fördervereins-Vorsitzende nicht, wenn er sagt: "Ich freue mich auf das, was kommt." Denn nach dem Polygon ist vor dem "Park Duhamel": Der Masterplan für das von der RAG weiter genutzte Grubenareal ist, wie gestern zu hören war, konkreter und weiter gediehen als manches Folgenutzungs-Konzept an den von der Landesregierung ausgerufenen "Zukunftsstandorten".

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 Rund 30 Meter hoch wird die 35 Tonnen schwere Aussichtsbrücke gehievt und millimetergenau verschraubt. Foto: Ruppenthal

Rund 30 Meter hoch wird die 35 Tonnen schwere Aussichtsbrücke gehievt und millimetergenau verschraubt. Foto: Ruppenthal

Foto: Ruppenthal

Hintergrund Die Ensdorfer Halde liegt östlich der Grube Duhamel, 150 Meter über dem Saartal. Dort wurden seit 1913 Nebengesteine der Kohleförderung abgelagert. In größerem Umfang wurde Bergematerial jedoch erst seit 1961 aufgehaldet. In den 70er Jahren begann die teilweise Rekultivierung, seit 2004 gibt es in Teilen touristische Nutzung. Das Saarpolygon wird vom Förderverein Bergbauerbe Saar e.V. getragen. Der Entwurf stammt von den Berliner Architekten Katja Pfeiffer und Oliver Sachse. Der Förderverein hat 344 Mitglieder. Finanziert wurde die begehbare Skulptur durch die Landesregierung (250 000 Euro), die RAG Aktiengesellschaft und die RAG Stiftung, durch Firmen, durch Stufen-Verkauf und durch Spenden. Insgesamt beliefen sich die Kosten auf zwei Millionen Euro, geplant waren 500 000. ce

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