Vergangenheitsbewältigung auf Türkisch

Istanbul. "Ich entschuldige mich." In diesem einfachen Satz steckt viel Sprengkraft, wenn es um die Türkei und um die Armenier geht

Istanbul. "Ich entschuldige mich." In diesem einfachen Satz steckt viel Sprengkraft, wenn es um die Türkei und um die Armenier geht. Mit einer noch nie da gewesenen Initiative hat sich gestern eine Gruppe Intellektueller in der Türkei im Internet zu Wort gemeldet, um sich bei den Armeniern für die türkischen Massaker an der christlichen Volksgruppe im Ersten Weltkrieg zu entschuldigen. Bis zum Mittag hatten sich bereits mehr als tausend Menschen der Online-Aktion angeschlossen, darunter auch der türkischstämmige Grüne Chef Cem Özdemir. Das Wort "Völkermord" taucht in Initiative zwar nicht auf. Trotzdem werden die Teilnehmer von Nationalisten scharf attackiert. "Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass die große Katastrophe, der die osmanischen Armenier 1915 ausgesetzt waren, ohne Sensibilität behandelt und geleugnet wird", heißt es in der Erklärung der Gruppe auf der Internetseite www.ozurdiliyoruz.com; "özür diliyoruz" bedeutet "wir entschuldigen uns". "Ich teile den Schmerz""Ich weise diese Ungerechtigkeit zurück, ich persönlich teile die Gefühle und den Schmerz meiner armenischen Brüder, und ich entschuldige mich bei ihnen." Der Istanbuler Politikwissenschaftler Cengiz Aktar, einer der führenden Köpfe der Initiative, sieht Parallelen zwischen der Internet-Entschuldigung und der deutschen Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ziel sei es, möglichst viele Menschen in ganz Anatolien anzusprechen, sagte Aktar. Das Besondere an der Aktion liegt zum einen darin, dass sie die erste kollektive Entschulding von Türken bei den Armeniern darstellt. Zum anderen zeigen die Teilnehmer mit dem bewussten Verzicht auf das Reizwort "Völkermord", dass es ihnen eher darum geht, Fragen zu stellen, als Schuldvorwürfe zu verteilen. Statt "Völkermord" ist von der "großen Katastrophe" die Rede - jener Begriff, den auch die Armenier selbst verwendeten, sagt Aktar. Der Soziologe Ferhat Kentel brachte die Absicht der Initiatoren in der Zeitung "Vatan" auf den Punkt: "Es gab eine Million Armenier. Heute gibt es noch 60000. Das bedeutet, sie sind nicht mehr da." gü

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