"Urteilen und handeln im Namen des Volkes"
Die Freiheit der Rede ist seit der Antike konstitutiv für eine res publica, die auf der Freiheit der sie ausmachenden Bürger ruht. Das freie Wort gehört nicht nur unverzichtbar zu jenem aufrechten Gang, welcher das Menschsein ausmacht, es ist auch das bestimmende Element des Citoyen, jenes Bürgers, der im öffentlichen Raum für das Gemeinwohl streitet
Die Freiheit der Rede ist seit der Antike konstitutiv für eine res publica, die auf der Freiheit der sie ausmachenden Bürger ruht. Das freie Wort gehört nicht nur unverzichtbar zu jenem aufrechten Gang, welcher das Menschsein ausmacht, es ist auch das bestimmende Element des Citoyen, jenes Bürgers, der im öffentlichen Raum für das Gemeinwohl streitet. Schon vormoderne Vorstellungen von Polis, Stamm oder Stadt sahen im Ratschluss der Bürgerschaft oder der Freien nach diskursiver Rede die Gewähr für Zusammenhalt und Rationalität.Die modernen Demokratien stellen nicht zufällig ihre Mitte in der Architektur des Parlaments dar: dem Plenarsaal, Raum der freien Rede und des Diskurses. Ganze Gesellschaftstheorien wurden um das Faktum des Diskurses, des ausgetauschten Arguments gebaut, man kann sogar vom Mythos der Macht des gewechselten Wortes sprechen. Das Grundgesetz spricht von der "Willensbildung des Volkes" (Art. 21 GG) und dieser jeweils voraus liegt die Meinungsbildung der Bürger (Art. 5 GG). Es wäre aber etwas naiv, wenn man es allein gewählten Parlamenten oder politischen Parteien überlassen würde, im staatlichen Binnenraum frei zu disputieren, es bedarf einer fortlaufenden und mitlaufenden Beobachtung allen politischen Geschehens von der lokalen Ebene über regionale, staatliche Einheiten, hinauf zu kontinentalen und bis zu globalen Handlungszusammenhängen. Darauf spezialisiert ist die freie Presse, die mit ihren Nachrichten und Kommentaren das politische Geschehen nicht nur abbildet, sondern durch Auswahl, Darstellung und Bewertung so deutlich mitgestaltet, dass manche meinen, jenseits der von Massenmedien abgebildeten Realität existiere streng genommen gar keine andere. Die Medien, also Presse, Rundfunk, Internet konstruierten danach eine Wirklichkeit, die man zwar als Konstruktion durchschauen könne, aber ihr dennoch ausgeliefert sei, weil einzelne zu keinem konsistenten Gegenentwurf fähig seien. Die Medienwelt ist in der Tat ein eigenes Universum, in dem über die Welt da draußen berichtet wird, dabei aber ganz erheblich den Nachrichtenfluss und die Meinungsbildung anderer Medien kontinuierlich aufnimmt, kopiert oder konterkariert. Das heißt: Medien beobachten immer auch sich selbst.
Dabei kann auch die Presse nicht der Gesetzmäßigkeit entkommen, dass innerhalb der Gesellschaft jede Beobachtung und Kommentierung zugleich ein Handeln bedeutet, so dass der Leitartikler streng genommen zum politischen Akteur wird, der häufig über mehr "Macht" oder besser über mehr Einfluss verfügt als manch gewählter Volksvertreter. Eine seltsame Symbiose von Politik als Gegenstand der Presse und Presse als Auge, Ohr und Mund des Souveräns tritt auch dort ein, wo Politiker allzu viel Zeit mit Journalisten und Medienberatern verbringen und ihre ganze Politik antizipierend nach einem mutmaßlichen Presseecho ausrichten. Wird im ersten Fall der leitartikelnde oder eine Kampagne befeuernde Journalist gleichsam zum politischen Akteur, so wird in den gegenläufigen Grenzfällen der Politiker zu einem Anhängsel des journalistischen Betriebes. Doch solche gelegentliche Grenzüberschreitungen sollten nicht den Blick für an sich wohldefinierte Grenzen verstellen.
Die Presse kontrolliert politische Herrschaft, begleitet sie, macht sie verständlich, tadelt und lobt. Was wir über Politik wissen, wissen wir aus Zeitungen, gedruckten Nachrichten, dem Rundfunk und dem Informationsfluss des Internets. Die ernsthafte Presse sieht sich als unabhängiger Teil des gesellschaftlichen und vor allem des politischen Prozesses, so wie Richter sich als unabhängige dritte Gewalt im Staat verstehen. Beide "Gewalten" urteilen und handeln im Namen des Volkes, beide kontrollieren Legislative und Exekutive als die zur Gestaltung berufenen politischen Kräfte. Eine frei gebildete von Staat, Behörden oder Parteien unabhängige Öffentlichkeit, eine freie öffentliche Meinung sind zentrale, unverzichtbare Voraussetzungen für Demokratie. Der funktionelle Zusammenhang ist erwiesen, historisch und global: Dort, wo Zeitungen bedrängt, zensiert, verboten sind, ... dort herrscht keine Demokratie, und dort ist die Würde des Menschen nicht unantastbar.
... Gerade die nationalen und internationalen Entwicklungen einer neuen dezentralen Informationskultur lassen aber auch die traditionelle Regionalpresse wichtiger werden. Journalisten und Verleger, Stifter, engagierte Bürger, Leser und Inserenten werden auch regional ihre Zeitung pflegen, weil sie eine ganz wesentliche Quelle der bürgerlichen Zivilgesellschaft ist, auch bei Zeitungen, die von einem Fürsten als Wochenblatt den Bürgern gleichsam geschenkt wurde. Die freie Presse steht für die Geburt einer bürgerlichen Gesellschaft, aus der Selbstverwaltung, Demokratie und sozialer Rechtsstaat wuchsen. Wenn die Bürger eine solche Sozietät der Freiheit und Gleichheit weiter wollen, wird für sie die Presse in all ihren Formaten und technisch neuen Kleidern unentbehrlich sein. ...