Tour nach Berlin Die Saar-Bürgermeister bitten Berlin zur Kasse

Saarbrücken/Berlin · Das gab’s noch nie: Vertreter aller saarländischen Kommunen fuhren gestern in die Hauptstadt und forderten Strukturhilfen vom Bund.

Unter Saarländern: Die Kommunalpolitiker sprachen im Reichstag mit Landsleuten im politischen Berlin wie den Bundestagsabgeordneten Nadine Schön (CDU) und Thomas Lutze (Linke, hinten rechts).

Unter Saarländern: Die Kommunalpolitiker sprachen im Reichstag mit Landsleuten im politischen Berlin wie den Bundestagsabgeordneten Nadine Schön (CDU) und Thomas Lutze (Linke, hinten rechts).

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Nein, eine „Vergnügungsreise“ soll der 17-Stunden-Trip nach Berlin keineswegs sein. Vielmehr wollen die Vertreter aller saarländischen Kommunen in der Hauptstadt ihren Unmut über die Bundespolitik kundtun. Aber dennoch: Ein bisschen Spaß muss sein. Und so begibt sich der Heusweiler’ Bürgermeister Thomas Redelberger (CDU) im ICE auf die Suche nach einem dritten Skat-Bruder. Er wird fündig: Christof Sellen (CDU) aus Völklingen komplettiert die Dreierrunde mit Redelberger und Stephan Strichertz (parteilos) aus Kleinblittersdorf. „Dann wollen wir mal Völklingen zur Kasse bitten“, sagt Redelberger lachend. Natürlich nur Spaß. In Wirklichkeit wollen die Bürgermeister an diesem Dienstag Berlin zur Kasse bitten.

Im ICE in die Hauptstadt ist der Ärger über den Bund groß. Das Saarland komme zu kurz, hört man immer wieder. Das Fass zum Überlaufen brachte zuletzt die Nachricht, dass der Bund im Zuge des geplanten Kohleausstiegs in einem „Strukturstärkungsgesetz“ 40 Milliarden Euro für die Braunkohle-Reviere in Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg lockermachen will. „Für uns gab es damals ein paar Millionen, und jetzt werden Milliarden verteilt“, beschwert sich Klauspeter Brill (parteilos) mit Blick auf das endgültige Ende der Steinkohle-Förderung im Saarland im Jahre 2012. Der Lebacher Bürgermeister hat die Fahrt nach Berlin gemeinsam mit seinem Nalbacher Kollegen Peter Lehnert (parteiunabhängig) organisiert. „Das gab es noch nie, dass die gesamte Kommunalvertretung eines Bundeslandes geschlossen nach Berlin fährt“, freut sich Brill. Das soll Eindruck machen in der Hauptstadt und Strukturhilfen auch ins Saarland bringen. Angesichts der Geschlossenheit der Kommunen herrscht Optimismus im Zug – und eine lockere Stimmung. Dazu trägt sicher auch der selbstgebackene Kuchen bei, den Brill im ICE verteilt. Zu der Reisegruppe gehören Dutzende Bürgermeister sowie der Neunkircher Landrat Sören Meng (SPD). Alle anderen Landkreise, Städte und Gemeinden haben zumindest Vertreter geschickt. „Es wird höchste Zeit, dass mal von unten Druck kommt“, sagt Meng. „Und wir sind schließlich alle direkt von den Menschen vor Ort gewählt.“

 Blumen-Protest vorm Kanzleramt: Die Bürgermeister von Neunkirchen und Marpingen, Jörg Aumann (l.) und Volker Weber (beide SPD).

Blumen-Protest vorm Kanzleramt: Die Bürgermeister von Neunkirchen und Marpingen, Jörg Aumann (l.) und Volker Weber (beide SPD).

Foto: Gerrit Dauelsberg

In Berlin macht die Gruppe erst einmal lautstark auf sich aufmerksam: „Was fordern wir? Strukturhilfen für das Saarland!“ skandieren die Lokalpolitiker vor dem Kanzleramt, dem Bundestag und dem Brandenburger Tor. Der ein oder andere Tourist blickt neugierig auf die etwa 60-köpfige Gruppe, die auf dem Pariser Platz ein großes Transparent mit ihrer Forderung entrollt hat. Brill und Lehnert richten sogar per Mikrofon ein paar Worte an die Passanten. „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ fordere man für das Saarland. Dafür habe man eine echte „Mammutfahrt“ auf sich genommen, um sich für das eigene Land stark zu machen, sagt Brill. Ganz nebenbei posieren die Lokalpolitiker mit Topfblumen vor den zahlreichen Fotografen und Kameraleuten, die sich um die Saarländer versammelt haben. Die Narzissen stehen symbolisch dafür, dass die Kommunalpolitiker ihre Anliegen „durch die Blume“ vortragen wollen, erläutert der Neunkircher Bürgermeister Jörg Aumann (SPD).

 Der Mit-Initiator der Proteste: Der Lebacher Bürgermeister Klauspeter Brill (parteilos).

Der Mit-Initiator der Proteste: Der Lebacher Bürgermeister Klauspeter Brill (parteilos).

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Sehr freundlich im Ton sind die Lokalpolitiker später auch im Gespräch mit den saarländischen Bundestagsabgeordneten in einem Nebengebäude des Reichstags: „Wir haben das ungute Gefühl, dass man uns vernachlässigt“, formuliert Lehnert das Anliegen. Man bitte die Abgeordneten, das Saarland auch zu berücksichtigen, wenn das Gesetz gemeißelt werde. Als Antwort erhalten die Lokalpolitiker vor allem viel Lob für die geschlossene Aktion: „Das ist ein deutliches Signal, das auch in Berlin ankommt“, sagt etwa CDU-Politikerin Nadine Schön. „Danke für Ihr Kommen!“, fügt Oliver Luksic (FDP) hinzu. Inhaltlich widerspricht keiner den Lokalpolitikern. Allerdings wird ihnen wenig Hoffnung gemacht: Der SPD-Abgeordnete Christian Petry räumt ein, dass es schwierig wird, das Saarland jetzt noch im Strukturstärkungsgesetz und bei den Soforthilfen für die Kohlereviere in Höhe von 260 Millionen Euro zu berücksichtigen. Allerdings werde es wohl in der zweiten Jahreshälfte noch ein drittes Paket geben: Dabei sollen Steinkohlestandorte beim Ausstieg aus der Kohleverstromung unterstützt werden. Hier habe das Saarland durchaus Chancen, bedacht zu werden.

Auch die beiden saarländischen Bundesminister stehen Rede und Antwort. Außenminister Heiko Maas (SPD) will sich nach eigenen Worten trotz fehlender Zuständigkeit nicht aus der Verantwortung ziehen. „Ich stehe für das ein, was die Bundesregierung entscheidet.“ Und es werde „sehr schwierig“, das Saarland doch noch aus dem 40-Milliarden-Topf zu bedienen. Maas kann sich allenfalls eine Zusatzvereinbarung im Zuge des Strukturstärkungsgesetzes vorstellen. „Versprechen kann ich allerdings nichts“, sagt Maas. Später stößt noch sein Kabinettskollege Peter Altmaier (CDU) dazu. Strukturhilfen fallen direkt in seine Zuständigkeit. Und der Saarländer kann den Lokalpolitikern immerhin ein wenig Hoffnung auf eine kleine Finanzspritze machen: Es sei denkbar, dass zumindest fünf Prozent der Soforthilfen ins Saarland fließen.

Viel Konkretes nehmen die Lokalpolitiker also nicht mit zurück ins Saarland. Zufrieden sind sie dennoch, als es noch am Abend auf die Heimreise geht. „Ich fand es gut, ein Zeichen zu setzen“, sagt Bürgermeister Reiner Pirrung (CDU) aus Spiesen-Elversberg. Immerhin können die Vertreter der Kommunen darauf hoffen, dass ihr Anliegen nochmals in den Fraktionen diskutiert wird. Zumindest haben die Reisenden den Saar-Abgeordneten einen offenen Brief mit ihren Forderungen dagelassen. So oder so war es ein erfolgreicher Tages-Trip, bilanziert Brill: „Es ist allemal Wert gewesen, diesen Tag zu opfern für unser Land.“ Und dass sich diese Mammutfahrt am Ende in irgendeiner Weise auch finanziell für das Saarland auszahlt, dessen ist sich der Lebacher Bürgermeister sicher.

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