Ungarns umstrittenes Homosexuellen-Gesetz Streit zwischen der Europäischen Union und Ungarn spitzt sich zu

Brüssel/Straßburg · Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen greift Orbán scharf an. Die Zahlungen an Budapest sollen spätestens im Herbst überprüft werden.

 Forderte Orbán erneut zur Rücknahme des umstrittenen Gesetzes auf: Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission.

Forderte Orbán erneut zur Rücknahme des umstrittenen Gesetzes auf: Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission.

Foto: dpa/Patrcjk Hertzog

Die Europäische Kommission hat Ungarn wegen Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze erstmals offen mit Strafen gedroht. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Behörde, nutzte am Mittwoch eine Debatte des EU-Parlaments, um die Regierung in Budapest zur Rücknahme des umstrittenen Homosexuellen-Gesetzes aufzufordern. „Dieses Gesetz nutzt den Schutz der Kinder als Vorwand, um Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung schwer zu diskriminieren“, sagte die Kommissionschefin. „Es widerspricht zutiefst den Grundwerten der Europäischen Union – dem Schutz der Minderheiten, der Menschenwürde, der Gleichheit und der Wahrung der Menschenrechte.“ Der ungarische Premierminister Viktor Orbán hatte die umstrittenen neuen Regeln, denen zufolge Filme, Informationen und Veröffentlichungen mit Darstellungen von Lesben und Schwulen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht mehr gezeigt oder zugänglich gemacht werden dürfen, als Schutz der Kinder verteidigt. Dies ließ von der Leyen nicht gelten und betonte erneut: „Dieses Gesetz ist schändlich.“

Es ist eine weitere Eskalation des Streits, der Brüssel seit Wochen beschäftigt. Bereits beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Juni hatte sich Orbán sogar von seinen Amtskollegen harte Vorhaltungen anhören müssen. „Meiner Meinung nach haben Sie in der Europäischen Union nichts mehr zu suchen“, hatte etwa der niederländische Regierungschef Mark Rutte in der Runde ausgesprochen, was offenbar viele dachten.

Der Auftritt am Mittwoch war für von der Leyen aber auch wohl ein Befreiungsschlag in eigener Sache. Denn eigentlich hatte die Kommissionspräsidentin für Anfang kommender Woche einen Besuch in Budapest geplant, um – wie in allen 27 Hauptstädten – die frohe Kunde zu überbringen, dass der nationale Aufbauplan genehmigt wurde und demnächst die erste Rate von insgesamt 7,2 Milliarden Euro fließen würde. Doch schon seit Tagen wurde hinter den Kulissen debattiert, wie von der Leyen bei einem wegen seiner rechtsstaatlichen Defizite kritisierten Premierminister zu Gast sein und dort – wie es ein Insider formulierte – „fröhlich mit einem Milliardenscheck winken“ könne.

Die Frage hat sich erledigt. Denn am Dienstagabend, einen Tag vor dem Auftritt im EU-Parlament, teilte die EU-Behörde mit, dass der ungarische Plan in der vorliegenden Form nicht genehmigt werde. Vor dem Plenum des europäischen Abgeordnetenhauses kündigte von der Leyen sogar an, dass die Verwendung der EU-Mittel durch Ungarn bereits überprüft werde. Sollte sich herausstellen, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU zum Beispiel durch Korruption oder fehlerhafte Verwendung beeinträchtigen, müssten Maßnahmen ergriffen werden. Im Herbst werde man entscheiden.

„Ursula von der Leyen hat heute starke Worte gefunden“, lobte der Grünen-Europa-Abgeordnete Daniel Freund. „Endlich hat die EU-Kommission verstanden, dass die einzige Sprache, die Orbán versteht, die des Geldes ist.“ Allerdings rügte er auch: „Von der Leyen sagt, es gebe Pläne für den Herbst. Der Rechtsstaat kann aber nicht warten.“ Inzwischen steigt der Druck des Parlamentes auf die Kommissionschefin immer weiter. Selbst aus den eigenen Reihen der christdemokratischen Fraktion gibt es offene Aufforderungen, endlich etwas zu tun. Es werde Zeit, dass die „Kommission das neue Instrument der Rechtsstaatlichkeit anwendet“, erklärten am Mittwoch die beiden Vorsitzenden der CDU- und CSU-Parlamentarier, Daniel Caspary und Angelika Niebler. Was die EU-Volksvertreter besonders auf die Palme bringt: Sollte die Kommission tatsächlich erst im Herbst aktiv werden, erhält Ungarn zuvor noch eine Milliarde Euro aus dem normalen Haushalt an Subventionen. Das aber wäre vermeidbar. Einige Abgeordnete hatten bei drei namhaften Rechtsprofessoren ein Gutachten in Auftrag gegeben, das am Mittwoch veröffentlicht wurde. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein Verfahren zur Kürzung oder dem Entzug von EU-Mitteln sofort eingeleitet werden könnte. Denn schon jetzt gebe es in Ungarn handfeste Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und gegen die finanziellen Interessen der EU.

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