Interview Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes „Nicht nur die Hausärzte sind ungeduldig – auch die Patienten“

Berlin · Der Chef des Hausärzteverbandes kritisiert die derzeitige Impfstrategie: Die Praxen könnten fünf Millionen Menschen pro Woche immunisieren.

 Ulrich Weigeldt, Chef des Deutschen Hausärzteverbands.

Ulrich Weigeldt, Chef des Deutschen Hausärzteverbands.

Foto: imago/Jürgen Heinrich/imago stock

Nach einem Beschluss der Landes-Gesundheitsminister sollen spätestens ab dem 19. April auch die Hausärzte gegen Corona mitimpfen. Ursprünglich war von Anfang April die Rede. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes sieht darin viel verschenktes Potenzial. Ein Gespräch mit Ulrich Weigeldt.

Herr Weigeldt, Schätzungen zufolge wird der Impfstoffmangel noch bis Juni andauern. Da nützt auch das beste Impf-Engagement der Hausärzte erst mal nichts, oder?

WEIGELDT Das sehe ich anders. Aktuell haben wir die Situation, dass etwa vier Millionen Impfdosen in den Kühlschränken der Impfzentren schlummern. Die könnten die Hausärzte verimpfen. Zumal viele Menschen in ländlichen Regionen womöglich auch schneller zum Hausarzt kommen, anstatt viele Kilometer bis zu einem Impfzentrum zu fahren. Nicht nur die Hausärzte sind ungeduldig, die Patienten sind es auch.

War es ein Fehler, bei der Impfkampagne über Monate hinweg nur auf die Impfzentren zu setzen?

WEIGELDT Schwierige Frage. Anfangs war das sicher die richtige Entscheidung. Auch wegen der erforderlichen Kühlkapazitäten. Inzwischen steht aber fest, dass auch die Praxen alle Impfstoffe verimpfen können.

Auch den von Biontech, der bei minus 70 Grad zu lagern ist?

WEIGELDT Ja, denn es hat sich herausgestellt, dass dieser Impfstoff auch noch bei normaler Kühlschranktemperatur etwa fünf Tage lang haltbar ist. Aber ich prognostiziere, dass Biontech in den Praxen schneller verimpft wird.

In Deutschland gibt es rund 55 000 Hausarztpraxen. Wären die tatsächlich alle in der Lage, mit dem Impfen sofort loszulegen?

WEIGELDT Der größte Teil auf jeden Fall. Auch die Kollegen aus der Gynäkologie und der Kinder- und Jugendmedizin können mitimpfen. Gerade weil die Infektionszahlen wieder steigen, kommt es doch darauf an, schnell und viel zu impfen. Wir rechnen pro Woche mit fünf Millionen Impfungen zusätzlich, allein durch die Hausärzte.

Sind volle Praxen nicht auch ein potenzieller Infektionsherd?

WEIGELDT Volle Impfzentren wären es dann genauso. Nach einem Jahr Pandemie haben die Praxen sehr gut gelernt, damit umzugehen und ihre Patienten bestmöglich vor Ansteckungsrisiken zu schützen. Im Übrigen impfen die Hausärzte Jahr für Jahr gegen Grippe, ohne dass es hier zu besonderen Auffälligkeiten gekommen ist.

Lässt sich die Impfreihenfolge einhalten, wenn Hausärzte mitimpfen?

WEIGELDT Das Wichtigste an der Reihenfolge war, die alten Menschen in den Heimen zuerst zu impfen. Selbst der Ethikrat hat sich inzwischen aber für mehr Flexibilität bei der Priorisierung ausgesprochen. Die Hausärzte wissen doch am besten, welche Patienten wie gefährdet sind.

Die Stiftung Patientenschutz befürchtet Nachteile für Ältere, wenn die Priorisierung aufgeweicht wird. Demnach warten immer noch drei Millionen Menschen in der ersten Gruppe auf eine Impfung, darunter viele Über-80-Jährige.

WEIGELDT Vielleicht wären diese Menschen schon durchgeimpft, wenn man die Hausärzte früher einbezogen hätte. Denn gerade die Hochbetagten würden doch im Rahmen von Hausbesuchen durch uns geimpft werden. Und wenn man die Betreuungspersonen mitimpft, würde das die Sicherheit sogar noch erhöhen. Das alles funktioniert doch bereits in Pilotpraxen, und es funktioniert schon länger in Ländern wie Israel oder Großbritannien. Nur bei uns dominieren die Bedenkenträger. Das darf so nicht weitergehen.

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