Tsipras ante portas – der Antrittsbesuch des Jahres

Heute ist es soweit. Am späten Nachmittag, gegen 17 Uhr, wird Angela Merkel vor dem Kanzleramt den griechischen Kollegen Alexis Tsipras in Empfang nehmen. Es hat ein wenig gedauert: 57 Tage ist es dann schon her, dass Tsipras nach dem Wahlsieg seiner Linkspartei Syriza zum Ministerpräsidenten ernannt wurde.

Normalerweise lässt man sich in Berlin mit einer Einladung an einen neuen europäischen Partner nicht so lange Zeit. Besondere Umstände eben.

Nach mindestens fünf Jahren Schuldenkrise in Griechenland sind die Beziehungen zwischen Athen und Berlin so zerrüttet wie noch nie zwischen zwei Euro-Partnern. Gegenseitige Schuldvorwürfe und Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Längst geht der Streit nicht nur um Griechenlands Schuldenstand oder die Frage, ob Deutschland wegen seiner Nazi-Vergangenheit noch Wiedergutmachung zahlen muss. Sondern auch über deutsche Zeige- und griechische Mittelfinger.

Über allem hängt die Frage, wie lange sich Griechenland überhaupt noch in der Eurozone halten kann. Früher war das ein Unwort, jetzt wird täglich über den "Grexit" spekuliert. Fakt ist: Auch die neue Regierung in Athen spart, wo es geht. Doch der Schuldendienst frisst das letzte Geld in den chronisch klammen Kassen auf. Das große Problem ist, dass Griechenland von den internationalen Kapitalmärkten faktisch ausgeschlossen ist. Die Risikoaufschläge für Hellas-Bonds bleiben einfach zu hoch. Die Bürger sind auf jeden Fall verunsichert und heben reihenweise ihr Erspartes ab, wodurch die Banken zusätzlich unter Druck geraten. Die griechische Wirtschaft scheint stets nur einen Wimpernschlag vom Kollaps entfernt.

Am Rande des EU-Gipfels in Brüssel vereinbarten Tsipras und Merkel mit anderen EU-Spitzenkräften, dass Athen in den nächsten Tagen eine vollständige Liste mit eigenen Reformvorschlägen vorlegt. Dann - so der Plan - können die Geldgeber die noch verfügbare Milliardenhilfen aus dem verlängerten Hilfsprogramm freigeben. "Wir vertrauen darauf, dass das nun auch so kommt", sagte Merkel, "und dann werden wir sehen, wie es kommt." Das griechische Parlament hat noch in der Nacht zu Samstag Erleichterungen für säumige Steuerzahler beschlossen, um zumindest etwas Geld in die Staatskasse zu bringen. So ein Gesetz kann man als Akt der Verzweiflung ansehen oder als pragmatischen Schritt in die richtige Richtung. Das Eintreiben von Steuern gehört zu den Kernforderungen der internationalen Geldgeber an das Krisenland.

Schwieriger könnte angesichts der Gemengelage der Besuch heute kaum sein. Umso mehr kommt es auf die beiden Hauptakteure an. Niemand behauptet, dass Tsipras ein besonders freundliches Verhältnis zu Deutschland hätte. Aber so lange ist es gar nicht her, dass der Syriza-Chef zuletzt in Berlin war. Nur, dass er im Mai 2014 noch nicht auf Einladung der Bundesregierung kam. Tsipras war Stargast eines Parteitags der Linken. "Es ist Zeit für Demokratie, Zeit für einen Wandel", hämmerte er in den Saal. Auf Englisch nur, mit starkem Akzent, was von den Genossen längst nicht jeder verstand. Trotzdem bekam er Applaus wie keiner sonst.

Das Treffen mit der Kanzlerin ist für Tsipras bereits das dritte. Es gab schon zwei Treffen in Brüssel, zuletzt am Freitag. Bekannt gemacht wurde der Berlin-Termin zu Beginn der Woche. Das war, nachdem Tsipras in einem "Spiegel"-Interview bekundet hatte: "Wenn ich eine Einladung von der Kanzlerin bekäme, würde ich sie sofort annehmen."

Merkel hat mit der Einladung so lange gewartet, weil sie nicht recht wusste, was sie mit Tsipras eigentlich besprechen sollte. Alles, was nach Zeitverschwendung aussieht, versucht sie abzuwenden. Ergebnislose Gespräche, die sie beim anschließenden gemeinsamen Auftritt schönreden muss, sind ihr ein Gräuel. Merkel war in den ersten Wochen nach Tsipras' Wahl zum neuen Ministerpräsidenten einigermaßen ratlos, wie sie auf seine Weigerung reagieren sollte, Auflagen für die Milliardenkredite zur Rettung seines Landes zu erfüllen. Griechischen Hoffnungen, Deutschland würde für ein Wirtschaftswunder in dem unter den Schulden ächzendem Land sorgen, konnte und kann sie nicht gerecht werden. Und sie will dem jungen Amtskollegen auch keinen Sonderweg ebnen. Das kann die CDU-Chefin weder den Euro-Partnern noch ihrer Partei verkaufen.

Die Appelle und Bekenntnisse aus Deutschland sind seit Jahren dieselben. Bei ihrem Besuch in Athen 2012 hatte Merkel gefordert, Griechenland müsse die Spar- und Reformauflagen einhalten. Und sie hatte betont: "Ich wünsche mir, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt." Damals war sie von Demonstranten mit Nazi-Vergleichen auf Plakaten empfangen worden. Tsipras, damals Oppositionsführer, hatte geschimpft: "Merkel kommt nicht, um Griechenland zu unterstützen. Sie kommt, um ein korruptes politisches System zu retten." Nun ist er es, der mit Merkel und den Europartnern etwas retten muss, nämlich sein Land vor der Staatspleite.

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