Tricksen mit Kaffeebohne und Vollgas

Staaten wollen Steuern einnehmen. Aber Nachsicht kann sich lohnen - falls sie wichtige Unternehmen ins Land lockt. Zwei EU-Staaten waren dabei allzu milde, hat die EU-Kommission nun entschieden. Sie sollen Steuern nachfordern.

Der SPD-Finanzpolitiker und Europa-Abgeordnete Peter Simon sprach von einer "neuen Zeitrechnung im Kampf gegen staatlich organisiertes Steuerdumping".

Gestern forderte die EU-Kommission die Niederlande und Luxemburg dazu auf, Steuervorteile von dem Kaffee-Riesen Starbucks und dem Automobilbauer Fiat zurückzufordern. Es geht in beiden Fällen um je 20 bis 30 Millionen Euro. Es seien "Gewinne innerhalb der gleichen Gruppe von einem Unternehmen zum anderen verlagert worden", begründete Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ihre Entscheidung, die nur der Auftakt gegen weitere Fälle sein dürfte.

Dabei holten die Ermittlungen der Brüsseler Behörde erstmals deutlich ans Licht, wie zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Großkonzernen getrickst wurde, um lukrative Unternehmen ins eigene Land zu holen. Die Starbucks Manufacturing EMEA BV, die einzige Kaffeerösterei der Gruppe in Europa, verkauft vom Cappuccino bis zum Becher mit dem bekannten Firmenemblem alles, was zu dem Unternehmen gehört. Dafür wurden hohe Lizenzgebühren fällig, die an die Unternehmenstochter Alki nach Großbritannien gingen. Den zu versteuernden Gewinn senkte man so in den Jahren 2009 bis 2012 von 26 Millionen auf 6,9 Millionen Euro. Und nur die zogen die Finanzbehörden zur Steuer heran. Hinzu kam noch, dass die Schweizer Starbucks-Zentrale für die Lieferung grüner Kaffeebohnen einen überhöhten Preis berechnete und den Gewinn noch einmal nach unten korrigierte.

Auch im Fall der luxemburgischen Niederlassung des italienischen Fiat-Konzerns geht es um getrickste Rechnungen, in die man "wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Annahmen und Anpassungen" einfließen ließ. Kurzum: Das Unternehmen baute sich um und zog die Ausgaben dafür von dem zu versteuernden Gewinn ab. Das sei alles kein Bruch der geltenden Gesetze, hieß es gestern in Brüssel. "Aber was illegitim ist, ist auch illegal", betonte Kommissarin Vestager.

Der niederländische Finanzstaatssekretär Eric Wiebes hielt dagegen und verteidigte sich mit dem Hinweis, die Methode, die sein Land im Fall Starbucks Manufacturing verwendet habe, sei "international anerkannt". Tatsächlich hat die EU-Kommission seit den ersten Verdachtsfällen, die lange vor den Vorwürfen gegen Luxemburg aufgetaucht waren, eine Vielzahl von Ermittlungen gegen alle Mitgliedstaaten aufgenommen, weil derartige Absprachen im Rahmen der geltenden Regelungen verbreitet sind. Die beiden größten Fälle gegen den Versandhändler Amazon und den Computerkonzern Apple laufen noch. Hier könnten die Rückforderungen, die nicht die Höhe von Strafen bei Kartellverfahren erreichen, deutlich höher ausfallen. Steuervorteile dieser Art seien "unrechtmäßige staatliche Beihilfen", betonte Vestager gestern und verurteilte damit das Geschäftsmodell vieler Mitgliedstaaten, das auf solchen Abgabendeals zu Lasten anderer Länder aufbaut.

Doch den Protesten folgte bisher kein wirklich ambitionierter Versuch, derartige Absprachen abzuschaffen. Zwar wollen die Finanzminister der EU demnächst beschließen, dass sich die Finanzbehörden der Mitgliedstaaten gegenseitig mit Hilfe von Steuervorbescheiden über die zu erwartende Abgabenlast informieren. Die EU-Kommission ginge gerne noch weiter und fordert, diese Papiere zunächst in Brüssel vorzulegen. Nur dann sei sichergestellt, dass eine neutrale Stelle die Richtigkeit auch überprüfe.

"Die Entscheidung von Kommissarin Vestager in den beiden Fällen zeigt, wie gut die EU-Kommission als oberste Wettbewerbsaufsicht Europas funktioniert", meinte denn auch der liberale Europa-Politiker Michael Theurer , der als stellvertretender Berichterstatter dem Sonderausschuss des Plenums zu den steuerlichen Praktiken angehört. "Die verhängten Steuernachzahlungen werden hoffentlich zu einem Umdenken bei Staaten und Konzernen beitragen", kommentierte der CDU-Finanzpolitiker und EU-Parlamentarier Werner Langen.

Doch noch ist nicht absehbar, ob die betroffenen und nun beschuldigten Unternehmen sich auch auf diese Weise disziplinieren lassen. Solange die EU-Familie sich nicht auf eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer verständigen kann, wird es wohl weiter unterschiedliche Abgabenregeln geben, durch die Konzerne schlupfen können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort