Wahlausgang in Großbritannien Überwältigender Triumph für Boris Johnson

London · Die konservativen Tories haben die Wahl in Großbritannien für sich entschieden. Steht jetzt dem baldigen Brexit nichts mehr im Weg?

 Die britischen Parlamentswahlen

Die britischen Parlamentswahlen

Foto: SZ/Steffen, Michael

Die Sonne war noch nicht über dem altehrwürdigen Westminster-Palast aufgegangen, da trat Boris Johnson bei der Wahlparty der Konservativen bereits zu seiner Siegesrede ans Pult. Hinter ihm auf blauem Grund hing der neue Slogan: „The People’s Government“, die Regierung des Volks. Diese wird der Premierminister für die nächsten fünf Jahre anführen, nachdem er seiner Partei bei der Wahl am Donnerstag einen „historischen Erfolg“ beschert hat. 365 der 650 Sitze im Parlament gingen an die Tories, Labour kam lediglich auf 203 Mandate. Ein Kreis war bis zum späten Nachmittag nicht ausgezählt.

Da stand er also, der triumphierende Johnson, und wiederholte – natürlich – sein wirkungsmächtiges Motto, mit dem er in den vergangenen Wochen durch das Land gezogen ist. „Wir werden den Brexit bis zum 31. Januar durchziehen, kein Wenn, kein Aber und kein Vielleicht.“ Seine Anhänger jubelten. Mit dem klaren Sieg sei ein zweites Referendum über den Austritt aus der EU nun eindeutig vom Tisch.

Schon die ersten Prognosen am Donnerstagabend deuteten auf einen Erdrutschsieg der Konservativen hin. Kurz nach halb vier am Morgen dann trat Johnson in seinem Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip auf die Bühne, um kurz darauf weiterzuziehen. Zuerst zur Party in Westminster zur Siegesrede, um dann mit seiner Freundin Carrie Symonds in die Downing Street zurückzukehren und noch im Morgendunkel durch die berühmte Tür mit der Nummer Zehn zu schreiten. Am Nachmittag holte er sich im Buckingham-Palast bei Königin Elizabeth II. formell die Erlaubnis zur Bildung einer neuen Regierung ein.

Die Sozialdemokraten müssen sich derweil unangenehmen Fragen stellen, zu ihrem Schlingerkurs beim Brexit, zum Umgang mit den Antisemitismus-Vorwürfen, zur künftigen Ausrichtung der Partei. Wollen sie weiterhin einen extrem linken Kurs fahren, auch wenn sie nun krachend verloren haben? Es ist die vierte Wahlniederlage in Folge. Das aktuelle Ergebnis unter Corbyn spiegelt vor allem den Niedergang der Partei wider. Newcastle under Lyme, Labour seit 1918 – verloren. Bishop Auckland, Labour seit 1935 – verloren. Bolsover, Labour seit 1950 – verloren. Workington, Labour seit 1918 – verloren. So liefen die Resultate in der für die Sozialdemokraten schicksalshaften Nacht ein. Das Debakel schien kein Ende nehmen zu wollen.

Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte als Konsequenz aus dem schlechtesten Abschneiden seiner Partei seit 1935 seinen Rückzug für Anfang nächstes Jahr an. Wer übernehmen soll, ist nicht klar. Labour liegt am Boden. Die Corbyn-Anhänger schieben die Verantwortung auf den Brexit, die Kritiker des Altlinken bezeichnen den Vorsitzenden als das Problem.

Johnson hat erstmals die Rote Wand durchbrochen. Zumindest gelten im Norden Englands und in den Midland alte Wahrheiten nicht mehr. Und so hat sich die politische Landschaft auf der Insel völlig neu ausgerichtet. Viele Menschen haben hier 2016 für den Brexit gestimmt, aus Protest gegen Westminster, aus Verzweiflung über den jahrelangen Sparkurs, den Niedergang der Stahl- und Kohleindustrie, die Arbeitslosigkeit, die Trostlosigkeit, die Perspektivlosigkeit. Sie fühlten sich vergessen von der Politik, im Stich gelassen von der Labour-Partei. Nun sollen es die Konservativen richten, oder besser „Boris“, wie ihn die Menschen nur nennen, als sei er ein ehemaliger Bergarbeiterkumpel, einer von ihnen mit seiner direkten Art, seinen Witzen, seinen simplen Botschaften. „Ich vertraue ihm nicht, aber ich mag ihn“, galt als beliebte Antwort von Wählern auf die Frage, warum sie ihr Kreuz bei den Tories setzen wollten, wie der Politologe Tony Travers von der London School of Economics sagt.

Gleichwohl weist der Experte darauf hin, dass künftig im Unterhaus viele Abgeordnete Bezirke vertreten, wo die verarbeitende Industrie stark sei. Die Unternehmen und in Folge Arbeiter würden von einem harten Bruch mit der EU massiv getroffen. „Interessanterweise macht die neue Wählerbasis der Konservativen einen softeren Brexit wahrscheinlicher, auch wenn das Ergebnis den EU-Austritt absolut sicherstellt“, sagt Travers.

Neben Labour erlitten auch die Europafreunde der Liberaldemokraten eine herbe Niederlage, Parteichefin Jo Swinson verlor gar ihren Parlamentssitz. Dabei war sie noch angetreten mit dem Wunsch, Premierministerin zu werden. Derweil wurde hoch oben im Norden gefeiert. Während in Nordirland die Nationalisten erstmals seit der Abspaltung von Irland 1921 mehr Stimmen erhielten als die pro-britischen Unionisten, räumte die Scottish National Party (SNP) in Schottland regelrecht ab. 45 Prozent der Stimmen gingen an die proeuropäische Regionalpartei. Damit gewann sie 48 der 59 Mandate, 13 mehr als vor zwei Jahren. Nicola Sturgeon, Parteichefin und Erste Ministerin, will schon in der kommenden Woche ein zweites Unabhängigkeitsreferendum anschieben. Johnson habe kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen.

Sein Kalkül ist aufgegangen:  Die Tories unter Premier Boris Johnson (M.) haben sich bei der Parlamentswahl in Großbritannien durchgesetzt .

Sein Kalkül ist aufgegangen: Die Tories unter Premier Boris Johnson (M.) haben sich bei der Parlamentswahl in Großbritannien durchgesetzt .

Foto: dpa/Stefan Rousseau

Aus Deutschland kamen indes versöhnliche Töne. Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Johnson zum Wahlsieg. „Herzlichen Glückwunsch, Boris Johnson, zu diesem klaren Wahlsieg“, sagte Merkel einem Tweet von Regierungssprecher Steffen Seibert zufolge am Freitag. „Ich freue mich auf unsere weitere Zusammenarbeit.“

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