Tories gehen auf Liberale zu

London. Nach der Wahl in Großbritannien wollen die Tories von Oppositionsführer David Cameron mit den Liberaldemokraten über eine mögliche Zusammenarbeit sprechen. Premierminister Gordon Brown ließ den Konservativen am Freitag den Vortritt, nachdem seine Labour-Partei das schlechteste Ergebnis seit 1983 erzielt hatte

Dem Konservativen David Cameron (Mitte) gehört zurzeit die Aufmerksamkeit der britischen Öffentlichkeit. Er will nun Sondierungsgespräche mit den Liberalen führen. Foto: dpa

London. Nach der Wahl in Großbritannien wollen die Tories von Oppositionsführer David Cameron mit den Liberaldemokraten über eine mögliche Zusammenarbeit sprechen. Premierminister Gordon Brown ließ den Konservativen am Freitag den Vortritt, nachdem seine Labour-Partei das schlechteste Ergebnis seit 1983 erzielt hatte. Die Tories wurden stärkste Kraft, verfehlten aber die zur alleinigen Regierungsbildung notwendige Mehrheit von 326 Sitzen. Cameron bot den drittplatzierten Liberaldemokraten ein Abkommen über eine Machtteilung an. Er werde den Lib-Dems ein "umfassendes Angebot" vorlegen, um zusammen die "großen und dringenden Probleme" des Landes anzugehen, sagte Cameron in London. Zudem gebe es mit den Liberaldemokraten viele Gemeinsamkeiten. Die beiden Parteien hätten "eine starke Basis für eine starke Regierung". Der Parteichef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, hatte zuvor angedeutet, dass die Tories die neue Regierung bilden sollten, weil sie die meisten Abgeordneten im neuen Parlament stellten.

Brown sagte, er respektiere Cleggs Entscheidung, mit den Konservativen zu sprechen. Wenn sich beide Parteien aber nicht einigten, werde seine Labour-Partei mit den Liberaldemokraten verhandeln. Bei Labour und den Liberaldemokraten gibt es grundsätzlich mehr Übereinstimmungen. Die Bereitschaft der Lib-Dems, dem unpopulären Brown zu einer weiteren Amtszeit als Premierminister zu verhelfen, dürfte allerdings gering sein.

Dem amtierenden Premier steht laut britischem Wahlrecht eigentlich das Vorrecht bei der Regierungsbildung zu, wenn es keine eindeutigen Mehrheiten gibt. Nach dem offiziellen Endergebnis errangen die Tories 306 Sitze. Browns seit 13 Jahren regierende Labour-Partei gewann demnach 258 Mandate, die Liberaldemokraten 57 Sitze. Damit brachte die Parlamentswahl in Großbritannien zum ersten Mal seit 36 Jahren keine eindeutigen Mehrheiten hervor.

Während die Grünen erstmals einen Sitz im Unterhaus errangen, schaffte es die rechtsextreme British National Party (BNP) nicht ins Parlament. Eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung könnten diesmal auch die schottischen, walisischen und nordirischen Parteien spielen, die zusammen etwa 20 Sitze erhielten. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 65 Prozent. Als Reaktion auf das Wahlergebnis fiel das britische Pfund auf ein 13-monatiges Rekordtief.

Nach dem Urnengang gingen bei der Wahlkommission Beschwerden ein, wonach in mehreren Städten hunderte anstehende Wähler ihre Stimme nicht abgeben konnten, weil sie bei Schließung der Wahllokale um 23 Uhr deutscher Zeit abgewiesen worden seien. afp

Meinung

Regierung auf Abruf

Von SZ-Mitarbeiter

Hendrik Bebber

Es war eine Wahl für den Wechsel", sagte Labours Chefstratege Peter Mandelson vieldeutig zum Wahlausgang. Doch welcher Wechsel? Die Briten konnten sich nicht klar genug gegen Gordon Brown entscheiden, um David Cameron die Möglichkeit für einen radikalen Neubeginn zu geben. Alle Indikatoren dieser Wahl deuten darauf hin, dass Großbritannien diese Prozedur wohl noch einmal binnen eines Jahres wiederholen muss. In dieser Zeit hat eine Regierung auf Abruf kaum Gelegenheit, Vertrauen bei den Wählern und den Finanzmärkten zu gewinnen. Der neue Regierungschef sitzt auf dem Schleudersitz. Er ist zu furchtbaren Sparmaßnahmen gezwungen, ohne jemals feststellen zu können, ob die Rosskur gewirkt hat. Auf den neuen Premier, so schrieb die Financial Times, wartet "der Fluch des Siegers".