Zwischen Weltklasse und Regionalliga

Saarbrücken · Deutschland braucht mehr Kita-Plätze, bessere Ganztagsschulen und stärkere Eliten-Förderung. Dafür benötigen die Länder mehr Geld. Doch der Bund winkte stets ab und verweist auf das Kooperationsverbot.

Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. Das hat nicht zuletzt das Karolinska-Institut in Stockholm, also die Heimat der Nobel-Stiftung, bestätigt, als es mit Thomas Südhof erneut einem Deutschen den Nobel-Preis für Medizin-Forschung überreichte. Gleichzeitig leben hierzulande etwa 7,5 Millionen Analphabeten. Viele von ihnen können nicht mal die Zutatenliste von Produkten im Supermarkt lesen. Wie passt das zusammen? Offenbar ist es in unserem Bildungssystem möglich, dass die einen Spitzenleistungen erzielen und die anderen komplett durchs Bildungsraster fallen.

Positiv ist beispielsweise, dass Neuntklässler in Deutschland deutlich besser rechnen und lesen als der Durchschnitt der Industrienationen. Das zeigt die aktuelle Pisa-Studie. Der Abstand zu den asiatischen Ländern ist zwar weiter groß, dafür haben die Deutschen aber seit dem Pisa-Schock im Jahr 2001 zu Finnland und Kanada aufgeschlossen. Auch gibt es immer weniger Schulabbrecher. 2008 verließen noch acht Prozent aller Schulabgänger die Schule ohne Abschluss, 2012 waren es nur noch 5,9 Prozent. 2013 fingen über eine halbe Million Schulabsolventen (506 632) ein Studium an, fast ein Drittel mehr als 2001 (344 830). Beim Kita-Ausbau kommt das Land ebenfalls voran. Und nur weil deutsche Hochschulen und Firmen einen guten Ausbildungsjob machen, kann eine Nation von knapp 80 Millionen Menschen über Jahrzehnte Exportweltmeister sein.

"Das größte Übel" der deutschen Schulpolitik ist, so der Dortmunder Schulforscher Wilfried Bos, dass der Bildungserfolg hierzulande immer noch von der sozialen Herkunft und der Vorbildung der Eltern abhängt. Meist fallen Kinder von Migranten und aus Arbeiterfamilien durchs Bildungsraster. Allerdings gebe es auch regional große Unterschiede, warnte Bos 2013 bei der Vorstellung des Chancenspiegels der Bertelsmann-Stiftung: "Kein Land ist überall Spitze oder überall Schlusslicht, alle haben Nachholbedarf." So ist etwa in Sachsen der Leistungsabstand bei Grundschülern der oberen und unteren Sozialschichten nur etwa halb so groß wie in Bayern. In Rheinland-Pfalz gelingt die Förderung von ausländischen Mitschülern besser als in vielen anderen Bundesländern - und in Nordrhein-Westfalen erreichen fast 60 Prozent der Schüler eine Studienbefähigung, in Sachsen-Anhalt sind es 37 Prozent.

Einig sind sich Experten darin, wie diese Schieflage am besten bereinigt werden kann: mehr Kita-Plätze, einen deutschlandweit geltenden Bildungsstandard, mehr Ganztagsschulen, besser ausgebildete Lehrer und Einzelförderung der Schüler, mehr Stipendien und Elite-Unis.

Diese "Mammut-Aufgabe" kostet viel Geld, weiß auch Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Doch habe Deutschland bei der Finanzierung des Bildungssystems noch Luft nach oben. Das Land gibt etwa 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 5,9 Prozent.

Die Bundesländer können mit ihren klammen Kassen und der Schuldenbremse nur schwer mehr Geld in die Bildung stecken. Und der Bund winkt ab, verweist auf den Bildungsföderalismus in Deutschland (Bildungspolitik ist Hoheitsrecht der Länder) und das Bund-Länder-Kooperationsverbot, das die letzte große Koalition im Grundgesetz festgeschrieben hatte. Ein "großer Fehler", sagte Saar-Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) kürzlich der SZ. Zur Aufhebung des Verbots wäre eine Gesetzesänderung nötig. Die Mehrheit dazu hätte Schwarz-Rot im Bundestag. Doch danach sieht es nicht aus. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD nicht auf die Abschaffung einigen können.

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