Zwischen Freude und Erleichterung

Der Sieg des FC Bayern München gegen Borussia Dortmund im Champions-Legaue-Finale zu London war gerade 60 Minuten vorbei: Die Bayernspieler Thomas Müller, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger – allesamt auch noch titel-undekorierte Nationalspieler – schlappten fix und alle durch die Journalistenzone. Im Moment ihres großen Triumphes war bei ihnen Freude – aber vor allem Erleichterung zu spüren.

Darüber, nicht schon wieder gegen Dortmund ein wichtiges Spiel verloren zu haben. Darüber, endlich einen internationalen Titel in der Tasche zu haben. Nicht nur daher begann Müller zu brüllen: "Hier sind die Führungsspieler, die keine Führungsspieler sind. Haben sie jetzt mal was gewonnen oder nicht?!", wie "Spiegel online" berichtete. Schweinsteiger, mit einer Flasche Schampus bewaffnet, grinste. Alle Debatten um seine Rolle als "Cheffchen" oder Lahms mangelnde Autorität - dieser Titel hat den Ballast des Misserfolgs von ihnen abgestreift. Denn: "Wenn man eine goldene Generation werden will, muss man Titel gewinnen", betonte Lahm.

Seit Samstag weiß die Fußballwelt: Sie können es. In einem fantastisch schnellen Endspiel besiegten sie den BVB 2:1, zeigten, dass sie und der deutsche Fußball Weltspitze sind, dass die Bundesliga auch international Titel gewinnen und begeistern kann. Die spanische Sportzeitung "Sport" fasste dies wie folgt zusammen: "Bayern München und Borussia Dortmund errichten dem Fußball ein Monument. Es ist nicht wichtig, wer der Sieger war. Gewonnen hat der Fußball. Gewonnen hat Deutschland. Alle Spieler, alle, hätten auf Schultern vom Platz getragen werden müssen."

Wäre Bundestrainer Joachim Löw derzeit nicht auf einer vermeintlich unwichtigen Dienstreise in den USA, hätte er sie wohl selbst vom Platz getragen. Obwohl sie gerade den Druck auf ihn und seine Arbeit am WM-Titel 2014 in Brasilien erheblich erhöht haben. "Die Deutschen haben natürlich eine Riesen-Sehnsucht nach einem Titel, und dafür werden wir alles tun. Wir haben die Qualität", sagte Löw. Und klar: Der Sieg des FC Bayern gebe seinen Führungsspielern "enormes Selbstbewusstsein für diese Aufgabe". Der 53-Jährige will von Druck aber nichts wissen: "Die Erwartungshaltung ist immer sehr groß. Aber das sind wir gewohnt", äußerte Löw gelassen.

Nun ist Bayern also an der Spitze in Europa, Dortmund dicht dahinter, und die Welt liegt dem deutschen Fußball zu Füßen. Was sie auch getan hätte, wenn Dortmund das Spiel gewonnen hätte. Was drin war. Der Druck des "Gewinnenmüssens" war vor allem in der ersten Halbzeit stets präsent und lähmte die Bayern. Auch nach dem 1:0 durch Mario Mandzukic (60.), das Arjen Robben vorbereitete, kam der BVB durch einen Foulelfmeter von Ilkay Gündogan (68.) zurück. "Nach dem 1:1 ist mir der Arsch auf Grundeis gegangen", gab Bayern-Keeper Manuel Neuer zu. Die verlorenen Endspiele 2010 gegen Inter Mailand und beim Elfmeter-Drama "dahoam" gegen den FC Chelsea wirkten nach - bis Robben in der 89. zum verdienten 2:1 traf. "Was wir heute erlebt haben, war das Sport-Comeback des Jahres", schwärmte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge: "Was ist das für ein Club, was ist das für eine Qualität, was ist das für ein Stolz, den dieses Bayern darstellt im Moment." Viele hätten vor zwölf Monaten gedacht, "dass wir zusammenbrechen, in eine Schockstarre fallen und aufhören". Nun stehen die Bayern als die neue Fußball-Macht da. "Eine neue Ära" im europäischen Vereinsfußball könnte Trainer Jupp Heynckes eingeleitet haben. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nichts Besonderes ist, wenn man als Trainer drei Mal im Champions-League-Finale stand und zwei Mal gewonnen hat", sagte Heynckes - und auch bei ihm war die Erleichterung zu spüren. Seine emotionale Entgrenztheit wurde nur einmal deutlich, als er über den FC Bayern der Zukunft sprach: "Man weiß ja, dass Mario Götze verpflichtet worden ist". Mit dem Nachsatz: "Robert Lewandowski wird auch nicht mehr lange auf sich warten lassen", ließ Heynckes dann wohl unabsichtlich noch eine Transferbombe platzen. Das klang so, als käme der polnische Stürmer vom Finalgegner bereits im Sommer. Was die Dortmunder ja nicht wollen. Was auch immer noch Spekulation ist, genau wie die Meldung, dass Heynckes, der am 30. Juni an Pep Guardiola übergibt, mit Real Madrid verhandele. Darüber werde er nicht reden, sagte er und verwies auf das DFB-Pokal-Endspiel am Samstag.

Das auch Rummenigge im Blick hat: "Ich glaube, mit 1,8 Promille haben wir trotzdem eine Chance gegen Stuttgart", prostete der Chef den Bankettgästen zu. Eine Prise Siegerhybris war da dabei, genau wie bei Sportdirektor Matthias Sammer, der sagte: "Die Emotionen schießen jetzt hoch." Dabei hatte er die Hände in der Hosentasche. Vielleicht ist das nur die Art des Mia-san-mia-Antreibers: In der Sekunde des größtanzunehmenden Erfolges einfach mal locker bleiben. Vielleicht ist das der Weg zum Erfolg. Das wird sich am Samstag zeigen. Sicher ist: Wenn Heynckes es schafft, als erster Trainer den Bayern das Triple zu bescheren, wird in München die Erleichterung der puren Freude weichen.

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