Zum Töten gezwungen

Gulu. Wie viele Kinder die LRA seit 1986 zwangsrekrutiert hat, darüber gibt es keine absoluten Zahlen. Hilfsorganisationen wie "World Vision" gehen von rund 30 000 Kindern aus, die entführt und zum Töten gezwungen wurden. Die Soldaten, die flüchteten oder befreit wurden, sind traumatisiert und finden nur schwer den Weg in ein normales Leben zurück. Doch einigen gelingt das

 Die frühere Kindersoldatin Florence (r.) hat es geschafft: Sie kann für ihre Kinder Akwero, Silvercon und Onen (von li.) sorgen. Foto: Grabbert

Die frühere Kindersoldatin Florence (r.) hat es geschafft: Sie kann für ihre Kinder Akwero, Silvercon und Onen (von li.) sorgen. Foto: Grabbert

Gulu. Wie viele Kinder die LRA seit 1986 zwangsrekrutiert hat, darüber gibt es keine absoluten Zahlen. Hilfsorganisationen wie "World Vision" gehen von rund 30 000 Kindern aus, die entführt und zum Töten gezwungen wurden. Die Soldaten, die flüchteten oder befreit wurden, sind traumatisiert und finden nur schwer den Weg in ein normales Leben zurück. Doch einigen gelingt das. Florence Aken ist eine von ihnen.

Florence wurde am 18. Oktober 1994 auf dem Schulweg von Rebellen der LRA entführt. Damals war sie zwölf Jahre alt, viele der Krieger waren kaum älter. Eine Woche marschierte sie mit anderen entführten Kindern durch den Busch, bis sie ihr Ziel erreichten: das Hauptcamp von Joseph Kony, dem Chef der LRA.

Zwei Wochen erhielt sie militärisches Training, lernte schnell die wichtigste Überlebensregel. Florence: "Verlierst du deine Waffe, wirst Du umgebracht." Sie erzählt nicht gerne von dieser Zeit. Zu schrecklich sind die Erinnerungen. Florence hat viele Kindersoldaten sterben sehen. Und sie hat selbst getötet. "Bei den Überfällen auf Dörfer mussten wir auch Waffen erbeuten und Menschen umbringen", erinnert sich die heute 26-Jährige.

Und sie teilt das Schicksal fast aller weiblichen Rebellen. Sie wurde einem Soldaten zugeteilt und zum Sex gezwungen. Eine Wahl hatte sie nicht. "Wer sich weigerte, wurde an einen Baum gefesselt und getötet. Das sollte abschrecken." Im Oktober 1996 bekam sie ihr erstes Kind. Als sie zum dritten Mal schwanger war, starb der Mann. Florence und ihre Kinder flüchteten.

Das ist jetzt knapp sechs Jahre her und Florence schlägt sich durch. Dank des Kindersoldaten-Projektes von "World Vision" in Gulu hat sie sich eine Existenz aufgebaut: Florence produziert und verkauft Ziegel. Ihr hart verdientes Geld spart sie für ihre drei Kinder. "Sie sollen später studieren. Ich selber habe hatte nicht die Gelegenheit dazu", erzählt Florence. Der Gedanke an die Zukunft ihrer Kinder lässt die junge Frau sogar lächeln, ein seltener Anblick. Florence: "Ich bin sehr glücklich." Froh, dass ihre drei Kindern ihr eigenes Schicksal wahrscheinlich nicht ereilt.

Und noch etwas ist Florence erspart geblieben: von der Familie verstoßen zu werden. "Als meine Mutter und ich uns das erste Mal wiedergesehen haben, haben wir beide den ganzen Tag nur geweint", berichtet sie. Vielen früheren Kindersoldaten geht das anders. Freunde und selbst die Familie wollen nichts mehr von ihnen wissen. Zu schwer wiegen die Gräueltaten, die die Kinder auch in den eigenen Dörfern anrichten mussten. Die Mitarbeiter von "World Vision" bemühen sich deshalb, der ugandischen Öffentlichkeit verständlich zu machen, dass die Kindersoldaten nicht nur Täter, sondern auch Opfer sind. Mit Erfolg: Seit 1996 wurde nach Angaben der Organisation rund 10 500 ehemaligen Rebellen geholfen, finanziert durch Spenden und durch das Amt für humanitäre Angelegenheiten der Europäischen Kommission (ECHO).

Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg kehrt langsam Frieden im Land ein. Seit zwei Jahren werden im Norden Ugandas keine Kinder mehr von der LRA entführt. Aber Kony und seine Rebellen operieren weiter. Mittlerweile haben sie sich in den Kongo und die Zentralafrikanische Republik zurückgezogen. Der LRA-Chef Joseph Kony wird weiter mit internationalem Haftbefehl gesucht. Wird er gefasst, muss er sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen seiner Verbrechen verantworten.

Doch auch wenn es keine Kämpfe mehr in Ugandas gibt - für die Opfer ist es nicht vorbei. Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass noch rund 2000 Kindersoldaten in Konys Gewalt sind. Und die, die gerettet wurden, leiden bis heute. Auch Florence. Denn sie hat immer noch Angst, dass Kony sie findet und tötet. Florence: "Kony ist immer noch im Busch, er kann wieder kommen." Deshalb lebt sie in der Stadt Gulu, wo sie niemand kennt, und nicht in ihrem Dorf an der Grenze zum Sudan. Und das so lange, bis Kony gefasst ist.

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