"Zum Schluss konnte ich nicht mal mit ihr weinen"

Über ihren Tod hinaus hat Ulrich Koch (69) für seine Frau Bettina gekämpft. Gestern fand das Ringen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg seinen Schluss. Obwohl die wirklichen Fragen unbeantwortet blieben. Vor zehn Jahren stürzte seine damals 55-jährige Frau vor dem Haus der Familie so schwer, dass sie sich das Genick brach

Über ihren Tod hinaus hat Ulrich Koch (69) für seine Frau Bettina gekämpft. Gestern fand das Ringen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg seinen Schluss. Obwohl die wirklichen Fragen unbeantwortet blieben. Vor zehn Jahren stürzte seine damals 55-jährige Frau vor dem Haus der Familie so schwer, dass sie sich das Genick brach. Die Querschnittslähmung wurde zur Tortur. Eine selbstständige Atmung war nicht mehr möglich, schmerzhafte Verschleimungen und Verkrampfungen (Spasmen) waren an der Tagesordnung. "Zum Schluss konnte ich nicht mal mehr mit ihr weinen", erzählt Ulrich Koch. "Ich hatte Angst, dass dadurch neue Spasmen ausgelöst würden." Einige Monate nach dem Unfall äußerte seine Frau den Wunsch zu sterben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte lehnte ihren Antrag ab, ihr eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zukommen zu lassen. 2005 reiste das Ehepaar in die Schweiz, wo die Stebehilfe-Organisation Dignitas den Tod ermöglichte. Kurz danach verklagte Ulrich Koch das Bundesinstitut, um prüfen zu lassen, ob die Ablehnung rechtswidrig war.Die jahrelange Odyssee vor den deutschen Gerichten wurde nun in Straßburg vom EGMR - das Gericht ist keine Einrichtung der EU, sondern des Europarates - scharf gerügt (Rechtssache EGMR 497/09). "Als mitfühlender Ehemann und Betreuer" hätten die Umstände des Todes sein Leben durchaus beeinträchtigt, und daher sei es "falsch" gewesen, dass die deutschen Gerichte seine Klage nicht wenigstens behandelt hätten. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den Fall gar nicht erst aufzugreifen, sei ein "Fehler". Wie tief das Unverständnis der Straßburger Richter über das Verhalten der deutschen Behörden ist, zeigt wohl eine Passage des Urteils besonders: In einer fast schon beispiellos taktlosen Stellungnahme für das Verfahren vor dem EGMR hatte die Bundesregierung festgestellt, es sei nicht notwendig gewesen, dem Ehemann das Recht einzuräumen, vor den deutschen Gerichten im Namen seiner Frau weiter zu klagen. Sie hätte ja schließlich den Ausgang der eigenen Klagen abwarten können. Tatsächlich wurden die Verfahren erst drei Jahre und neun Monate nach ihrem Tod zu Ende gebracht.

Zur Sterbehilfe selbst äußerten sich die Richter nicht. Unter den Mitgliedstaaten des Europarates gebe es "keinen Konsens". Nur in vier der 42 Staaten sei es erlaubt, einem Patienten ein tödliches Medikament zu verschreiben. "Wir begrüßen, dass der Gerichtshof die Deutschland gültigen Regelungen zum assistierten Suizid unangetastet lässt", erklärte der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery nach dem Richterspruch. "Die Rechtslage in Deutschland ist mit den allermeisten europäischen Ländern vergleichbar."

Zu Ende ist der Fall Koch damit noch nicht. Der Kläger könnte innerhalb der nächsten drei Monate Berufung einlegen und dann auf ein erneutes Verfahren vor der großen Kammer des EGMR hoffen. Beobachter schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass es dann zu einem anderen Urteil kommen könnte, jedoch als gering ein. Die Charta der Menschenrechte biete letztlich keine Grundlage, um das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben durchzusetzen, lautet die einhellige Meinung.

Auf einen Blick

In vier europäischen Ländern ist aktive Sterbehilfe erlaubt.

Seit 2002 ist in Belgien die aktive direkte Sterbehilfe unter bestimmten Umständen erlaubt. Im Landesteil Flandern beispielsweise hat sich die Zahl der Anträge auf aktive Sterbehilfe in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.

Luxemburg hat im März des vergangenen Jahres die Möglichkeit der Sterbehilfe legalisiert.

Die Niederlande lassen seit 2002 die aktive direkte Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen zu.

In der Schweiz wird sogar aktive Sterbehilfe durch Nicht-Ärzte geduldet. Die Organisation Dignitas bietet solche Dienste an. red

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