Zukunft ungewiss

War es nun ein Putsch oder nicht? Diese Frage erhitzt die Gemüter in Ägypten und weltweit. Doch Ägyptens Offiziere, so ist zu fürchten, liefern nun eine klare Antwort selbst.

Sie hätten keine Absicht, selbst die Macht zu übernehmen, würden lediglich helfen, das gespaltene Land zu einem Konsens zu führen, der Ägypten aus einer selbstzerstörerischen Sackgasse führen soll. Die Motivationen für den Sturz des frei gewählten Präsidenten mit seiner katastrophalen Bilanz nach einjähriger Amtszeit waren stark. Während seine Gegner in derart großer Zahl in die Straßen zogen, wie es Ägypten nie zuvor erlebt hatte, demonstrierte ein anderer Teil Ägyptens ebenso entschlossen für Präsident Mursi und die "demokratische Legitimität". Beide Seiten beharrten unerbittlich auf ihren Standpunkten. Ein kleines Entgegenkommen Mursis in letzter Stunde - Angebot an die Opposition, sich einer Koalitionsregierung anzuschließen, - kam viel zu spät. Die blutige Konfrontation schien programmiert.

In einem klug erscheinenden Schachzug präsentierte der Chef der Streitkräfte Al-Sisi Mittwochabend sein Programm für eine neue Übergangszeit zur Demokratie im Kreise einiger der wichtigsten Repräsentanten des Volkes: der Jugend, die sich von den Muslimbrüdern um die Früchte ihrer Revolution von 2011 betrogen fühlte und nun diese gigantischen Massen mobilisiert hatte; die säkularen Oppositionsgruppen, dem Scheich von Al-Azhar, der höchsten sunnitischen Autorität, sowie dem Papst der Kopten. Damit dokumentierte Al-Sisi, dass die Armee nur die Wünsche eines großen Teils der Ägypter unterstütze, den Aufbau einer Demokratie, die nicht - wie Mursi es getan hatte - ideologisch anders orientierte Bevölkerungsgruppen ausschließt. Die Revolutionäre, die Massen, die sich gegen Mursi versammelt hatten, jubelten. Al-Sisis Übergangsplan schien all ihre Wünsche zu erfüllen.

Das Bekenntnis des Armeechefs zur nationalen Versöhnung zeigte den Weg, aber auch die größte Herausforderung: die um ihren demokratischen Wahlsieg beraubten Muslimbrüder mit ihren Millionen Anhängern für einen neuen Anlauf zur Demokratie, diesmal einer echten, zu gewinnen. Doch ein ernüchterndes Erwachen folgte den dramatischen Tagen. Zwar erhielt Ägypten rasch einen neuen Übergangsführer, doch bei näherem Studium ließ As-Sisis politischer Plan Unklarheiten erkennen. Kein Zeitpunkt für die laut Al-Sisi "rasch durchzuführenden" Wahlen wurde festgesetzt. Der vom Militär abgestützte interimistische Präsident erhielt das Recht, Verfassungsdekrete zu erlassen und damit den Weg zur Demokratie zu blockieren. Er bekannte jedoch ausdrücklich sich zum demokratischen Prozess und Ägyptens mutige Bürgergesellschaft weiß, wie sie ihn dazu mit der Kraft der Straße zwingen könnte, vielleicht sogar auch das Militär. Doch die Chance, die erbosten Anhänger Mursis für das neue Experiment zu gewinnen, ist dramatisch gesunken, als das Militär nicht nur den gestürzten Präsidenten festnahm, sondern auch die höchsten Führer der Muslimbruderschaft und insgesamt Haftbefehle gegen 300 Funktionäre erließ.

Geht es Al-Sisi in Wahrheit darum, die Bruderschaft, nachdem sie endlich nach fast 80 Jahren die Macht errungen hat, wieder in den Untergrund zu drängen und damit vielleicht in neue Radikalität? Schon haben Aktivisten den weiteren - allerdings gewaltlosen - Kampf angekündigt, um Mursi an die Macht zurückzuholen. Doch in ihren Kreisen gibt es nicht wenige Radikale, die nach dieser katastrophalen Niederlage der Demokratie keine Chance geben wollen und in Gewalt das einzige Mittel sehen dürften, um sich die Macht zurückzuholen. Hält die Hatz auf die Bruderschaft an, dann hat Al-Sisi die Hoffnung zerstört, dass die Ägypter aufeinander zugehen, einander vergeben, gemeinsam ihr Land retten und ihm eine neue Zukunft geben. Mit Adli Mahmud Mansur soll der Vorsitzende des Obersten Verfassungsgerichts ein tief gespaltenes Ägypten als Interimspräsident zu Demokratie und Stabilität führen. Die Website "Masrawi" beschreibt Mansur als einen "geheimnisvollen" Mann, der bisher nicht das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat. Nur wenig ist bekannt über sein Leben und schon gar nichts über seine politische Einstellung. Er sei ein "politischer Niemand", bemerkt ein ägyptischer Kommentator.

Seine Position als Chef des Obersten Verfassungsgerichts hatte Mansur erst am 1. Juli angetreten, nachdem ihn Mursi als Nachfolger des pensionierten Vorsitzenden vorgeschlagen und er von der Generalversammlung des Verfassungsgerichts am 19. Mai für diese Position bestätigt worden war. 1945 in Kairo geboren, studierte Mansur Rechtswissenschaft an der Universität von Kairo, wo er 1970 graduierte und seine Studien anschließend in Paris fortsetzte. Von 1983 bis 1990 arbeitete er als Rechtsberater im Handelsministerium Saudi-Arabiens und wurde 1984 von Präsident Mubarak zum Richter ernannt.

Er arbeitete sich schließlich als Karrierebürokrat zunächst in beratenden Funktionen innerhalb der ägyptischen Administration hinauf und wurde 1992 zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes ernannt. Richterkollegen beschreiben ihn als einen "Mann der Fairness". Er werde kooperativ sein und verständnisvoll gegenüber dem Willen des Volkes.

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