Zehn Jahre Duisburg-Morde Als der Mafia-Krieg nach Deutschland kam

Duisburg · 15. August 2007: Eine Fehde der Ehrenwerten Gesellschaft fordert in Duisburg sechs Tote. Der Mafia-Arm reicht längst bis über die Alpen. Und er ist gefährlich. Noch heute.

 Tatort Duisburg, vor zehn Jahren: Vor einer Pizzeria findet die Polizei sechs Leichen. Die Italiener starben bei einem Racheakt in Mafia-Kreisen.

Tatort Duisburg, vor zehn Jahren: Vor einer Pizzeria findet die Polizei sechs Leichen. Die Italiener starben bei einem Racheakt in Mafia-Kreisen.

Foto: dpa/epa anp Peter Wijnands

Keine Gedenktafel, kein Kreuz: Nichts erinnert am Tatort in Duisburg an die Mafia-Morde vor genau zehn Jahren. Sechs Männer des ’Ndrangheta-Clans Pelle-Vottari wurden damals vor dem italienischen Restaurant „Da Bruno“ in der Nähe des Hauptbahnhofs erschossen. „Da Bruno“ gibt es schon längst nicht mehr. Vergessen haben die Duisburger das Verbrechen aber keineswegs. „Ja, hier war es“, sagt ein Passant, zehn Jahre nach den Todesschüssen. Eine Frau weiß, dass es in Duisburg war, aber wo? Sie steht fast an der Stelle, an der damals die nur notdürftig mit weißen Tüchern abgedeckten Leichen auf dem Pflaster lagen und ein Schock durch die Republik ging. Die Ehrenwerte Gesellschaft operiert eben nicht nur im fernen Italien, sondern auch hierzulande. Bis heute ist das so.

Hintergrund des Massakers war eine blutige Fehde zwischen den ’Ndrangheta-Familien Nirta-Strangio und Pelle-Vottari-Romeo aus Kalabrien. Als Motiv wird Rache vermutet: Die 33-jährige Maria Strangio, Ehefrau eines Strangio-Clan-Chefs, soll an Weihnachten 2006 in der kalabrischen Mafia-Hochburg San Luca von der verfeindeten Pelle-Vottari-Seite getötet worden sein.

In Duisburg warteten die Schützen am frühen Morgen des 15. August vor der Pizzeria auf ihre Opfer. Als die sechs Männer zwischen 16 und 38 Jahren in zwei Autos gestiegen waren, feuerten die Täter aus Schnellfeuerpistolen viele tödliche Schüsse ab. Die Opfer hatten keine Chance. Die Duisburger Mordkommission umfasste zeitweise 120 Beamte. Eng arbeiteten die Ermittler mit italienischen Fahndern und Polizeibehörden in Belgien und den Niederlanden zusammen. Nach und nach wurden die Tatverdächtigen gefasst. Als Haupttäter und Drahtzieher gilt Giovanni Strangio, damals 28 Jahre alt. Er wurde 2011 zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Komplizen Giuseppe Nirta und Sebastiano Nirta bekamen wegen Zugehörigkeit zur Mafia zwölf Jahre Haft.

Im Rückblick ist die Bluttat von Duisburg für Thomas Jungbluth (61) vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen eine Art Betriebsunfall. „Ich glaube, dass das aus Sicht der ’Ndrangheta schlecht gelaufen ist. So sehr in den Blick der Öffentlichkeit zu kommen, ist mit Sicherheit nicht im Sinne der Organisation“, sagt der Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität. „Die organisierte Kriminalität will im Verborgenen arbeiten. Alles, was die Geschäfte stört, will man vermeiden. Das ruft die Polizei und die Öffentlichkeit auf den Plan. Und dann kann man seine Geschäfte nicht so betreiben, wie man möchte.“ Was klingt wie aus einem Mafia-Film, ist Realität – auch diesseits der Alpen.

Denn mit Duisburg und den Verhaftungen endete das Kapitel italienische Mafia in Deutschland keineswegs. „Alle großen und wichtigen Organisationen sind in Deutschland tätig“, sagt Sandro Mattioli. Der 41-jährige Berliner Journalist ist Vorsitzender des Vereins „Mafia? Nein, Danke!“. Die gemeinnützige Organisation will die Öffentlichkeit für die Gefahren der Mafia in Deutschland sensibilisieren. Selbst im Saarland ist die Ehrenwerte Gesellschaft aktiv (siehe Text unten).

Mattiolo verweist auf den erst Anfang Juli bekannt gewordenen Ermittlungserfolg der deutschen und italienischen Polizei im Schwarzwald gegen ein kriminelles Netzwerk aus dem Umfeld der Cosa Nostra. Hinter einer bürgerlichen Fassade soll die Gruppe Drogen- und Waffengeschäfte abgewickelt haben. 17 Personen wurden festgenommen. Haupttäter sollen zwei Italiener aus Donaueschingen und Rottweil sein. „Die Organisationen sind da aktiv, wo es Geld zu verdienen gibt, legal und illegal“, sagt Mattioli. Sehr stark seien sie etwa im Kokainhandel unterwegs. „Auch wissen wir, dass sie in Restaurants und Hotels investieren, aber auch in Immobilien.“ Genaue Informationen fehlten allerdings.

Das Bundeskriminalamt nimmt die Aktivitäten der italienischen Mafia in Deutschland sehr ernst. „Wir glauben schon, dass sie ein großer Gefahrenfaktor ist, etwa im Rauschgifthandel“, sagt Johannes Launhardt (56), Experte beim BKA für organisierte Kriminalität. Auch beim Thema Geldwäsche seien die Gruppierungen aktiv: „Wir haben Hinweise darauf, dass Immobilien legal von Personen gekauft werden, die sich das eigentlich nicht leisten können.“

Das BKA geht davon aus, dass Mafia-Organisationen auch in der Gastronomie tätig sind. „Ein Generalverdacht ist aber nicht angezeigt und wird auch von den italienischen Behörden nicht benannt.“ Es gebe indes Hinweise, dass über einige Betriebe illegal erworbene Gelder in Deutschland investiert werden – etwa, indem italienische Restaurants erhöhte Rechnungen für Waren aus Italien bezahlten.

 Im Fall Duisburg ermittelte die Polizei auch in San Luca in Kalabrien, der Heimat der beteiligten Clans.

Im Fall Duisburg ermittelte die Polizei auch in San Luca in Kalabrien, der Heimat der beteiligten Clans.

Foto: dpa/A1809 epa ansa Cufari

Auch Mattioli geht davon aus, dass viele italienische Restaurants Kontakt zur Mafia haben – geschätzt gelte das für ein bis vielleicht sogar zwei Drittel. Genauere Angaben seien schwierig. „Auch wenn ich natürlich viele ehrliche italienische Gastwirte kenne, tue ich persönlich mich trotzdem schwer, beim Italiener zu essen, eben aufgrund des Zweifels.“

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