Wunderheiler Gabriel reißt Saarländer von der Couch

Dresden. Die Saar-SPD ist nicht leicht zu gewinnen. Als der alte Parteichef Franz Müntefering seine Abschiedsrede auf dem Parteitag beendet hat, regt sich bei einigen in der letzten Reihe der Messehalle Dresden keine Hand. Als sich das Plenum erhebt, um den Parteichef zu verabschieden, bleibt die Saar-Delegation sitzen

Dresden. Die Saar-SPD ist nicht leicht zu gewinnen. Als der alte Parteichef Franz Müntefering seine Abschiedsrede auf dem Parteitag beendet hat, regt sich bei einigen in der letzten Reihe der Messehalle Dresden keine Hand. Als sich das Plenum erhebt, um den Parteichef zu verabschieden, bleibt die Saar-Delegation sitzen. Nur ihr Vorsitzender Heiko Maas, der als Mitglied des Parteitag-Präsidiums den Auftakt des Dresdner Treffens moderiert, kommt nicht umhin, sich beim "aufrechten Sozialdemokraten" für seine Rede zu bedanken, die alle wichtigen Zukunftsfragen der SPD angesprochen habe. "Er hat sich nicht verbiegen lassen", sagt Maas später zur SZ. Saar-Generalsekretär Reinold Jost attestiert Müntefering ein "für seine Verhältnisse" hohes Maß an Selbstkritik. Vielen aus der Saar-SPD, die die Sozialreformen und Münteferings "autoritären" Führungsstil rügen, ist das zu milde. Die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz hat bei dem Sauerländer nur "sozialdemokratische Plattitüden" gehört. Verdi-Chef Alfred Staudt hätte sich mehr "Demut" erwartet. Isolde Ries (MdL) hoffte, er hätte gesagt: "Ich habe Mist gemacht."

Der Groll vieler Saar-SPDler über die Aufarbeitung der Wahlniederlagen und die Auswahl der neuen Führung um Sigmar Gabriel hat sich schon am Donnerstagabend beim Delegierten-Vorgespräch gezeigt. Die Ankündigung einiger, sich in die Parteitags-Debatte einzumischen, macht am Freitag aber nur Ottmar Schreiner wahr, der eine Abkehr von Arbeitsmarktreformen und Rente mit 67 fordert. Dies allein wird aus Sicht der meisten nicht reichen. Cornelia Hoffmann-Bethscheider (MdL) und andere machen klar, es gehe für die SPD vor allem darum, "Glaubwürdigkeit" zurückzugewinnen. Von einer "therapeutischen Zustandsbeschreibung" spricht Jost. Die SPD auf der Couch.

Als Seelendoktor hat Sigmar Gabriel am Abend Wunderheiler-Qualitäten auch bei den skeptischen Saarländern - und reißt sie von den Stühlen. Er befeuert seine Partei mit der Aufforderung, die Deutungshoheit über den Begriff ,Mitte' zurückzugewinnen, "die Mitte links" zu machen. Als er am Ende auch noch Vor-Vorgänger Kurt Beck umarmt, kommen Bravo-Rufe von den Saarländern. "Genial", findet Jost die Rede, "Witz, Aufbruchstimmung", freut sich Ottmar Schreiner. "Das war sehr grundsätzlich, mit viel Orientierung, intelligent und fürs Herz" und mache "vielen hier sehr, sehr viel Mut", sagt Maas. Nicht allen reicht das. 472 von 501 gültigen Stimmen erhält Gabriel bei der Wahl. Es gab 18 Nein-Stimmen, eine kommt zumindest aus dem Saarland, wie eine Delegierte gesteht.

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