Wo sich Lebenswege kreuzenBundestag spricht einmütig von Scham über den Rechts-Terror

Oberweißbach. Ja, dass der damalige Pächter des Landgasthofs Kontakte zu Neonazis hatte, sei in Lichtenhain kein Geheimnis gewesen. "Das war bekannt", sagt ein 58 Jahre alter Nachbar gestern. Eigentlich habe Jahre zuvor ja die Familie Kiesewetter den leerstehenden Gasthof in dem Oberweißbacher Ortsteil pachten wollen

Oberweißbach. Ja, dass der damalige Pächter des Landgasthofs Kontakte zu Neonazis hatte, sei in Lichtenhain kein Geheimnis gewesen. "Das war bekannt", sagt ein 58 Jahre alter Nachbar gestern. Eigentlich habe Jahre zuvor ja die Familie Kiesewetter den leerstehenden Gasthof in dem Oberweißbacher Ortsteil pachten wollen. "Ich weiß nicht, warum das gescheitert ist", sagt der ältere Mann. "Aber dann ist der aus Jena eingezogen." Keine zwei Jahre später, im April 2007, wurde Kiesewetters Tochter, die Polizistin Michèle, in Heilbronn vermutlich von den Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen.

Kurz vor Weihnachten 2005 soll der neue Pächter des Gasthofes zum ersten Mal aufgetaucht sein. Es dauerte nicht lange, bis er in dem kleinen Dorf auffiel. Einmal sei sogar die Polizei bei dem schiefergedeckten Landgasthof angerückt, erinnert sich der Nachbar. Eine große Veranstaltung, die ganze Straße voller Autos.

Das muss am 18. März 2006 gewesen sein - an diesem Tag trafen sich in Lichtenhain dem Verfassungsschutz zufolge 150 Rechtsextreme. Als Veranstalter wird der stellvertretende NPD-Kreisvorsitzende Patrick Wieschke geführt - laut Innenministerium damals "einer der führenden Köpfe der rechtsextremistischen Szene in Thüringen". Es spielte der Liedermacher Frank Rennicke, der im vergangenen Jahr von der NPD als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde. Die Musik soll laut zu hören gewesen sein. Medienberichten zufolge war auch Mundlos nach 2005 mehrmals in der Gegend.

Dass auch Michèle Kiesewetter ihre Heimat häufiger zu Festen besucht haben soll, nachdem sie bereits als Polizistin in Baden-Württemberg arbeitete, scheint den Menschen in dem 1900-Einwohner-Ort mit der Justitia im Wappen nicht ungewöhnlich. Falsch sei allerdings die Behauptung, sie habe einmal gegenüber des Landgasthofs in Lichtenhain gewohnt. "Zumindest melderechtlich trifft das nicht zu", sagt Ordnungsamt-Chef Thomas Weinberg. Michèle habe mit ihren Eltern immer in Oberweißbach gelebt, sagt ein Anwohner, der im Garten Holz hackt. Vielleicht habe sie sich in Lichtenhain mal mit Schulfreunden getroffen, vermutet ein weiterer Nachbar. "Rechte waren das aber nicht."

Ob die Polizistin ihren späteren Mördern vor der Tat 2007 jemals - bewusst oder unbewusst - begegnete, ist also völlig unklar. Auch dass ihr in Heilbronn gezielt aufgelauert wurde, scheint fragwürdig: Am Tag ihres Todes war Kiesewetter für einen Kollegen eingesprungen, hätte eigentlich Urlaub gehabt.

"Ich glaube nicht, dass Kiesewetter bewusst mit den Neonazis in Kontakt war", sagt auch die Thüringer Linke-Abgeordnete Katharina König. Im Moment bestehe die Gefahr, dass in diesem Fall "viel zu schnell Antworten gegeben werden", die es eigentlich noch nicht gebe. Richtig sei aber auch, dass in einem Nachbarort eine bekannte Neonazi-Aktivistin gewohnt habe. Und dass in der ländlichen Gegend nahezu jeder jeden kenne. "In kleinen Orten können sich die Lebenswege schon mal kreuzen", sagt auch Weinberg.

"Das ist hier keine braune Ecke", meint der aktuelle Pächter des Landgasthofs. Er kenne seinen Vormieter nicht, betont der Mann. "Ich bin im Frühjahr 2007 in das leerstehende Haus eingezogen." Die Gesinnung seines Vorgängers sei im Ort bekannt gewesen. Jetzt fürchtet der Pensionsbetreiber einen Imageschaden für sein Haus.

Zum Tathergang des Polizistinnenmords in Heilbronn kursiert eine neue Theorie: Die abgetauchten mutmaßlichen Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt könnten Kiesewetter in Baden-Württemberg zufällig getroffen und sich erkannt gefühlt haben. Vielleicht, weil sie der jungen Frau in Oberweißbach einmal auf der Straße begegnet waren. Das würde erklären, warum die Neonazis riskierten, eine Polizistin am helllichten Tag zu erschießen. Auch König bescheinigt dieser Theorie "eine gewisse Logik".Berlin. Es war, als sei dem Bundestag der eigene Mut nicht geheuer gewesen. Da schafften die Fraktionen schon mal eine gemeinsame Entschließung gegen den Rechtsterrorismus, zum ersten Mal zusammen mit den Linken. Und dann prügelten sich alle in der Debatte doch wieder um die Frage, wer was verharmlost und welche Gewalt wohl gefährlicher sei, die von links oder die von rechts.

Dabei hatte der Tag so gut angefangen. Morgens hatten die Fraktionschefs und Generalsekretäre über den gemeinsamen Entschließungsantrag beraten. Ohne jede Gegenstimme wurde der Text später im Plenum angenommen. Darin heißt es, dass man "zutiefst beschämt" sei, "dass nach dem ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt". Die Prüfung eines NPD-Verbotes wird erwogen, eine umfassende Fehleranalyse der Sicherheitsbehörden angekündigt, und es wird versprochen, alle zu stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren.

Oben auf der Tribüne registrierte das Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland, mit einigem Wohlwollen. "Das ist ein wichtiges Zeichen." Noch mehr lobte er die Eingangsworte von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU), der sehr gefühlvoll an die Opfer und ihre Angehörigen erinnerte, auch an die "besonders bitteren Verdächtigungen", die es gegen sie gab. Lammert versprach, "mit aller Kraft den geistigen Sumpf, der den Taten zugrunde liegt, auszutrocknen". Kolat fand das "wirklich gut", ebenso Anetta Kahane neben ihm, Vorsitzende der Stiftung Amadeau Antonio, die in Brandenburg seit Jahren vor rechtsradikaler Gewalt warnt. Der Rest gefiel weniger.

Die Parteien hatten ihre erste Garde geschickt, das halbe Kabinett war da, inklusive Kanzlerin und Vizekanzler. Nur die Bundesratsbank blieb seltsam leer, was auffiel, weil die Verfassungsschutzämter der Länder doch ihren Anteil daran hatten, dass die "Mordserie der Neonazi-Bande" so lange unentdeckt blieb. Und Innenminister Hans-Peter Friedrichs (CSU) Debattenbeitrag geriet eher enttäuschend. Ziemlich emotionslos spulte er eine Liste von Verbesserungen bei den Sicherheitsorganen durch.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bediente indes umso stärker die Taste Emotion. Das gelang ihm anfangs ziemlich gut, vor allem mit seiner bezeugten Wut über die Banalisierung der Taten als "Döner-Morde", "so als wäre das nicht ein Angriff auf uns alle gewesen, auf die Art und Weise, wie wir hier zusammenleben wollen". Kolat auf der Ehrentribüne nickte heftig, ebenso Kahane. Doch dann eröffnete Steinmeier mit den Worten "Äquidistanz kann auch Verharmlosung sein" den Streit. "Es gibt hier keine linksextremistischen Schlägertrupps, die ganze Regionen terrorisieren", rief er aus. Aus der Union schlug dem Redner daraufhin laute Empörung entgegen. Außerdem grub Steinmeier noch ein zweites Kriegsbeil aus: Die Tatsache nämlich, dass Familienministerin Kristina Schröder (CDU) 2010 eine Extremismusklausel eingeführt hat. Antifaschistische Gruppen, die für ihren Kampf gegen Rechts Bundesförderung bekommen wollen, müssen unterschreiben, dass sie selbst demokratisch gesinnt sind. Einen "Mangel an Herzensbildung" warf Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der Ministerin vor, was CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zu der Bemerkung veranlasste: "Das war parteipolitisches Kleinklein." Kolat verließ die Tribüne eher enttäuscht. Und Kahane fand ihre Ahnung bestätigt, "dass die einzigen, die wirklich Ahnung von der Sache haben, die vielen Gruppen sind, die draußen schon lange gegen die Rechten aktiv sind".

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