Wird Incirlik zum Spaltpilz für die Nato?

Brüssel · Das Militärbündnis müht sich, die Krise zwischen Berlin und Ankara herunterzuspielen. Doch intern gibt es Alarm.

 Deutsche Tornados sollen bald aus Incirlik abziehen. Die Folgen des deutsch-türkischen Streits könnten auch die Nato treffen. Foto: Oliver Pieper/Bundeswehr/dpa

Deutsche Tornados sollen bald aus Incirlik abziehen. Die Folgen des deutsch-türkischen Streits könnten auch die Nato treffen. Foto: Oliver Pieper/Bundeswehr/dpa

Foto: Oliver Pieper/Bundeswehr/dpa

Verärgerung, Wut oder wenigstens bedächtige Mahnung zur Versöhnung - mit solchen Reaktionen könnte man rechnen. Doch im Nato-Hauptquartier ruft der deutsch-türkische Streit derzeit nur eines hervor: eisernes Schweigen. Die jüngste offizielle Mitteilung lieferte Generalsekretär Jens Stoltenberg beim Gipfeltreffen der Nato Ende Mai in Brüssel: Die Auseinandersetzungen zwischen Ankara und Berlin seien ein "bilateraler Streit", erklärte der Norweger damals. "Wir hoffen, dass sie im Dialog zwischen diesen beiden Ländern gelöst werden." Es gebe keine Auswirkungen auf das Militärbündnis.

Unterdessen ist der Streit allerdings eskaliert: Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel geht nach seinen Krisengesprächen von Montag in Ankara nicht von einer schnellen Verbesserung der angeschlagenen deutsch-türkischen Beziehungen aus. "Man darf sich keine Illusionen machen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und es muss sich richtig was verändern", sagte der SPD-Politiker gestern im Deutschlandfunk. Das Verhältnis sei nicht nur wegen des Streits um den Bundeswehreinsatz in Incirlik "in ganz schwerem Fahrwasser". Zu den weiteren Streitthemen zählt Gabriel die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel und der deutschen Übersetzerin Mesale Tolu Corlu.

Gabriel hatte am Montag den Abzug der rund 260 Soldaten aus Incirlik angekündigt, nachdem die türkische Regierung Abgeordnetenbesuche auf dem Stützpunkt weiter abgelehnt hatte.

In Brüssel winken die politischen Vertreter der Nato derzeit ab, wenn Korrespondenten nach Konsequenzen der Reibereien auf die Arbeit des Bündnisses fragen. Hinter vorgehaltener Hand wird der eine oder andere es dann aber doch deutlich. Ein Mitglied des Führungsstabes beschrieb die Situation so: "Wenn sich zwei wichtige Mitgliedstaaten derart streiten, bleibt das nicht ohne Wirkungen auf das Bündnis." Mit anderen Worten: Der Vorfall dürfte, sollte er nicht bald beigelegt werden, die Nato sehr wohl zutiefst erschüttern. Experten schieben sogar einen Teil der Schuld Generalsekretär Stoltenberg zu. Der habe nämlich nicht konsequent genug die Möglichkeiten der Allianz genutzt, um die Zuspitzung zwischen Deutschland und der Türkei beizulegen. Grund: Die deutschen Aufklärungsjets vom Typ Panavia Tornado und das Tankflugzeug der Bundesluftwaffe sind über Syrien zwar im Rahmen der internationalen Allianz gegen den IS unterwegs, nicht aber im Auftrag der Nato.

Der Militärflugplatz Incirlik gehört darüber hinaus der türkischen Luftwaffe, die ihn gemeinsam mit den Vereinigten Staaten betreibt. Die Nato hat dort nichts zu sagen. Ganz anders auf dem unweit gelegenen Flugfeld Konya, wo ein Großteil der übrigen Jets anderer Mitgliedstaaten stationiert ist. Zum einen wäre es also ein leichtes gewesen, die Luftwaffe innerhalb der Türkei auf einen Nato-Standort zu verlegen. Zum anderen hätte Stoltenberg alle Flüge, auch der deutschen Soldaten, als Nato-Einsätze deklarieren können. Ist Stoltenberg also der eigentliche Schwachpunkt in der Krise?

Während sich die Nato weiter alle Mühe gibt, den Eindruck einer wachsenden Isolation Ankaras zu zerstreuen, will die Bundesregierung heute über den Abzug der Truppe beraten. Eine Verlegung nach Jordanien gilt als sicher.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort