"Wir sind alle Zimmermädchen"

Paris. Die Vorwürfe der versuchten Vergewaltigung gegen den ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, haben Frankreichs Feministinnen auf den Plan gerufen

Paris. Die Vorwürfe der versuchten Vergewaltigung gegen den ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, haben Frankreichs Feministinnen auf den Plan gerufen. Sie werfen Politikern und Medienvertretern vor, sich einseitig auf die Seite des Beschuldigten zu stellen und gleichzeitig das mutmaßliche Opfer, ein Zimmermädchen des New Yorker Luxushotels Sofitel, zu vergessen. Mehrere Organisationen kritisieren in einer Petition "sexistische Reflexe", die in Frankreich typisch für einen Teil der Elite und einige Medien seien.Dies schaffe eine "unerträgliche Konfusion" zwischen sexueller Freiheit und Gewalt gegen die Frauen, heißt es in der Petition, die bis Montag rund 16 000 Bürger unterschrieben hatten. Unter den Unterzeichnern sind mehrere bekannte Journalistinnen und Schriftstellerinnen. Auch einige Politiker, vor allem aus dem linken Lager, schlossen sich dem Protest an - unter ihnen die Europaabgeordnete und mögliche Präsidentschaftskandidatin der französischen Grünen, Eva Joly. Bis zu 3000 Demonstranten, vor allem Frauen, waren am Sonntag in Paris dem Aufruf mehrerer Organisationen zu einer Protestkundgebung gefolgt. Mit Sprechchören und Transparenten verkündeten sie: "Wenn eine Frau Nein sagt, dann heißt das Nein" und "Wir sind alle Zimmermädchen".

Nach der Verhaftung und Festnahme Strauss-Kahns, der das Zimmermädchen zu Oralsex gezwungen haben soll, habe es eine Flut von "sexistischen Ausfällen" gegeben, klagt die Vorsitzende der Vereinigung "Osez le Féminisme" ("Wagt den Feminismus"), Caroline de Haas. In Internet-Foren wimmele es von "schlüpfrigen Witzen" und Versuchen, den Straftatbestand der sexuellen Nötigung herunterzuspielen. Natürlich müsse der Grundsatz der Unschuldsvermutung gelten, meint die beliebte Fernsehjournalistin Audrey Pulvar. Dies bedeute aber nicht, dass die Aufrichtigkeit der Klägerin von vornherein in Zweifel gezogen werden dürfe. Nach der Festnahme Strauss-Kahns habe sofort die "These vom Komplott" die Runde gemacht - von dem Zimmermädchen sei hingegen nicht die Rede gewesen, kritisiert auch die frühere Jugend-Dezernentin der Stadt Paris, die Kommunistin Clémentine Autain.

Für Empörung sorgt vor allem, dass prominente Vertreter der Sozialisten Strauss-Kahn, der bis zu seiner Festnahme der sozialistische Hoffnungsträger war, zunächst den Rücken stärkten. Ex-Kulturminister Jack Lang etwa wunderte sich über die Aufregung. Schließlich habe es ja "keinen Toten" gegeben. Die Vereinigung "Paroles de Femmes" beklagt das "Gesetz des Schweigens", das in Frankreich herrsche. In dem Land wäre die ganze Angelegenheit höchstwahrscheinlich vertuscht worden, meint die Vereinigung - wie bereits die Affäre um die Schriftstellerin Tristane Banon.

Die heute 32-jährige Banon hatte 2007 in einer Talkshow berichtet, wie sie 2002 Opfer einer versuchten Vergewaltigung durch einen ranghohen Politiker wurde. Dieser habe sich wie ein "brünftiger Schimpanse" benommen. In der Talkshow war der Name durch einen Piepton unkenntlich gemacht worden. Banon bestätigte jedoch später, dass es sich um Strauss-Kahn handelte. Auf eine Klage verzichtete sie damals - nicht zuletzt auf Rat ihrer Mutter, der PS-Regionalpolitikerin Anne Mansouret, die Strauss-Kahn persönlich kennt. Dennoch wirft Mansouret ihren Parteifreunden heute allzu große "Toleranz" vor. Sie sei "sehr schockiert" über das Verhalten einiger Sozialisten, schreibt sie in ihrem Blog. "Keiner meiner lieben Genossen hat offenbar auch nur ein Mal an das Zimmermädchen gedacht."

Auf einen Blick

Das auf dem Kleid des mutmaßlich von Dominique Strauss-Kahn angegriffenen Zimmermädchens gefundene Sperma stammt offenbar tatsächlich vom früheren Währungsfonds-Chef. Das habe der Abgleich der DNA des Franzosen mit den Spuren auf der Uniform des Zimmermädchens ergeben, berichteten der US-Sender NBC und das "Wall Street Journal". Die Frau hatte Strauss-Kahn beschuldigt, sie zum Oralsex gezwungen zu haben. Die Polizei fand später Spuren auf dem Teppich der Hotelsuite und an der Uniform der Frau. dpa

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