„Wir sind alle Weltmeister“

Berlin · Berlin steht Kopf! Schon in den frühen Morgenstunden strömen die Ersten herbei, um die besten Plätze bei der Titel-Party zu bekommen. Der grandiose Empfang der Weltmeister-Mannschaft ist der Schlusspunkt eines unvergesslichen Turniers.

 Mit Pokal und Laola-Welle fährt die deutsche Nationalmannschaft durch die Straßen von Berlin. Fotos: Woitas/dpa; Nietfeld/dpa (2); Kappeler/dpa

Mit Pokal und Laola-Welle fährt die deutsche Nationalmannschaft durch die Straßen von Berlin. Fotos: Woitas/dpa; Nietfeld/dpa (2); Kappeler/dpa

 Der Bundestrainer mit Sieger-Lächeln und Sieger-Arm.

Der Bundestrainer mit Sieger-Lächeln und Sieger-Arm.

 Ein Jubel-Selfie im deutschen Fahnen-Meer. Am Brandenburger Tor kocht die Stimmung bei den Fans über.

Ein Jubel-Selfie im deutschen Fahnen-Meer. Am Brandenburger Tor kocht die Stimmung bei den Fans über.

Per Mertesacker hat noch Kraft. Er gehört zu den Feierbiestern auf dem Truck des Weltmeisters. Hinter der Bühne am Brandenburger Tor angekommen, rutscht Mertesacker auf dem Geländer einer kleinen Treppe vom Lkw herunter - und jubelt inbrünstig dabei. André Schürrle reißt die Arme hoch, Miroslav Klose spritzt mit Champagner, Final-Torschütze Mario Götze gönnt sich ein Bierchen. Das wievielte wohl? Die mit dem vierten Stern sind endlich an der Berliner Fanmeile angekommen - nach triumphaler Fahrt durch die Stadt.

Heute dürfen alle alles. Die Hauptstadt ist dicht, die meisten Straßen in der City sind abgesperrt und schon seit sechs Uhr strömen die Massen zur Fanmeile. "Deutschlaaand, Deutschlaaand" singen sie. So viel Schwarz-Rot-Gold hat man rund um Angela Merkels Regierungszentrale noch nie gesehen. Von der Fanmeile dröhnt bereits Partymusik: "Die Hände zum Himmel." Einige Fans haben die Nacht im Tiergarten oder im Auto verbracht. Aus ganz Deutschland sind sie angereist. Vor dem Hauptbahnhof parken die Kapitäne der Weißen Flotte auf der Spree und warten auf die Mannschaft, die hier entlang kommt. Es ist ohrenbetäubend, als sie ihre Schiffshupen dröhnen lassen. An den Fenstern der Büros ringsum hängen die Mitarbeiter; Bauarbeiter befüllen die Gerüste. Der Lokomotivführer einer Regionalbahn stoppt seinen Zug auf der Eisenbahnbrücke, die die Reinhardstraße quert, als der Triumphzug sich unten gerade durch die johlende Menge windet. Er winkt aus seinem Kommandostand nach unten und fährt dann langsam Wagen um Wagen vor, damit alle seine Passagiere gucken können. Ein Land im Freudentaumel.

Um genau 10 Uhr taucht wie aus dem Nichts der riesige Jumbo der "Fanhansa" LH 2014 über dem Berliner Zentrum auf. Sehr tief. "Siegerflieger", das ist von unten zu sehen. Der Pilot wackelt mit den Flügeln, dann dreht der Jet majestätisch eine Ehrenrunde über die Fanmeile. 500 000 Menschen schauen jetzt gen Himmel und jubeln. Die Mannschaft ist im Anflug, die Freude wird immer größer. Nach der Landung auf dem Flughafen Tegel öffnet der Pilot die Luke an seiner Kanzel und hisst die Deutschland-Fahne. Er schließt das Fenster schnell wieder, als die Flughafenfeuerwehr das Wasser für ihre Begrüßungsfontäne marschieren lässt. Die Aussichtsterrasse des Flughafens ist proppevoll.

Für das Team geht es zunächst mit dem Bus weiter, bevor es dann in Moabit auf den Truck umsteigt. Es wird immer voller in den Straßen. Eine Bundestagsmitarbeiterin steht auf der Kronprinzessinnenbrücke im Regierungsviertel und wartet zusammen mit Zigtausenden auf die Elf. Sie hat sich die Deutschlandfahne wie eine Schärpe um den Bauch gebunden. "Damit bin ich eben im Reichstag schon schief angeguckt wurden", sagt sie. "Ist mir aber egal." Sie schimpft auf Linke und Grüne, die just zu dieser Zeit eine Sondersitzung des Innenausschusses wegen der Spionageaffäre angesetzt haben. "Humorloses Volk", sagt sie. Wie zum Beweis kommt Renate Künast vorbei, vollbepackt mit Akten. Die grüne Spitzenpolitikerin passiert die Polizeisperre mit ihrem Ausweis, guckt ziemlich mürrisch und eilt in Richtung Reichstag, ohne einen Blick zurück. Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, grinst unterdessen unentwegt. Er ist bereits am Brandenburger Tor angekommen, hat sich auch ein Trikot der Mannschaft angezogen. Berlin oder Frankfurt als Fetenort? Das war zunächst die Frage. Die Mannschaft entschied sich für die Hauptstadt. Wowereit freut's: "Die deutsche Nationalmannschaft gehört in die deutsche Hauptstadt."

Immer wieder hält die Mannschaft auf dem Weg zur Fanmeile ihre Medaillen und den Pokal hoch. Er glänzt in der Sonne. "Oh, wie ist das schön", wird am Straßenrand gesungen. Für die Präsentation auf der Bühne haben sich die Spieler etwas ganz besonderes einfallen lassen: Der kleine Kapitän Philipp Lahm trägt den Goldpokal versteckt hinter den breiten Schultern von Mats Hummels , Thomas Müller und Eric Durm. Plötzlich lassen sich alle zur Seite fallen und Lahm reckt "das Ding" in den Himmel. Unbeschreiblicher Jubel brandet auf. Die Partylaune kennt jetzt keine Grenzen mehr, auch bei den Spielern nicht. Es wird getanzt, gehüpft, gegrölt, Finalgegner Argentinien wird ein wenig verspottet. "So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so", rufen einige Nationalkicker, als sie tief gebückt auf die Bühne laufen. "Wir genießen das sehr", beschreibt Bastian Schweinsteiger die Stimmung in der Mannschaft. "Geilster Moment in der Karriere", brüllt Lukas Podolski . Als WM-Rekordtorschütze Klose vor die Fans tritt, johlt die Menge: "Klose Fußballgott." Besonders beeindruckend ist jedoch eine Szene: Jogi Löw muss von seinem Trainerteam förmlich nach vorne an den Bühnenrand geschoben werden, damit die Massen ihn bejubeln können. Der Bundestrainer wirkt bewegt, fast schüchtern. Er sagt aber den Satz, der an diesem historischen Tag die Geschehnisse wunderbar zusammenfasst: "Wir sind alle Weltmeister ."

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