"Wir reißen nicht das ganze Agenda-Haus ein"

Herr Steinmeier, nach jüngsten Umfrage kommt Schwarz-Gelb nur noch auf 40 Prozent. Wittern Sie Morgenluft?Steinmeier: Es ist sicher kein guter Zustand für Deutschland, wenn eine frisch gewählte Regierung ihr Vertrauen schon nach 150 Tagen aufgebraucht hat. Das darf die SPD aber nicht übermütig machen. Die Wähler haben uns in die Opposition geschickt

Herr Steinmeier, nach jüngsten Umfrage kommt Schwarz-Gelb nur noch auf 40 Prozent. Wittern Sie Morgenluft?

Steinmeier: Es ist sicher kein guter Zustand für Deutschland, wenn eine frisch gewählte Regierung ihr Vertrauen schon nach 150 Tagen aufgebraucht hat. Das darf die SPD aber nicht übermütig machen. Die Wähler haben uns in die Opposition geschickt. Wir haben diese Rolle angenommen, stellen uns neu auf und sind auf einem guten Weg.

In sechs Wochen wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Rechnen Sie dort schon mit einem Beweis für Ihre These?

Steinmeier: Noch vor Weihnachten hätte niemand geglaubt, dass eine Neuauflage von Schwarz-Gelb in Düsseldorf gefährdet sein könnte. Das hat sich gedreht. Wir sind im Rennen und setzen auf Sieg in NRW.

Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat klar gemacht, dass die SPD wieder stärker für Arbeitnehmerpolitik stehen soll. Die Linkspartei hat das schon immer von sich behauptet. Droht uns ein Wettlauf um wohlfeile Forderungen?

Steinmeier: Eben nicht. Die geben den Menschen doch Steine statt Brot! Die Linkspartei kümmert sich doch gar nicht um Arbeitnehmer und die Frage, wie man ihre Jobs sichert oder neue schafft. Der Programmentwurf der Linken ist eine einzige Enttäuschung. So viel Populismus ist selbst für die Linkspartei eine neue Qualität.

Trotzdem erweckt die SPD den Eindruck, die Agenda 2010 entsorgen zu wollen, deren Architekt sie waren.

Steinmeier: Zur Agenda gehören ein vier Milliarden schweres Ganztagsschul-Programm, der Ausbau der Kinderbetreuung, das Elterngeld und vieles mehr. Ja, und auch die Reformen der Arbeitsmarktpolitik. Es ist doch so: Jeder gute Architekt überprüft sein Werk von Zeit zu Zeit. Wir haben gerade nicht das ganze Haus eingerissen, denn die Substanz ist gut. Aber wir wollen nichtbeabsichtigte Fehlentwicklungen korrigieren. Beispiel Leiharbeit. Niemand wollte, dass dadurch Stammbelegschaften ersetzt werden. Das können wird doch nicht ignorieren.

Ist Angela Merkel gegenüber Griechenland zu kaltherzig gewesen oder war ihre Härte nötig, um den Euro nicht aufzuweichen?

Steinmeier: Kaltherzig ist doch nicht das Thema. Diese Regierung hat in den letzen Wochen alles und das Gegenteil davon vertreten: Mal sollten keine Hilfen für Griechenland gegeben werden, dann doch europäisch koordinierte bilaterale Hilfen. Erst war die Einbeziehung des IWF ein abstruser Vorschlag, weil die Rettung von Griechenland eine europäische Angelegenheit sei, dann war es am Ende doch ein tauglicher Vorschlag. Wackelei von Tag zu Tag. Keine Meinungsführerschaft - weder nach innen noch nach außen. Das Bild Deutschlands in Europa hat schwer gelitten.

Portugal, Spanien und Italien melden ja auch schon Probleme, und viele Deutsche machen sich Sorgen. Was sagen Sie denen?

Steinmeier: Die Wirtschaftskrise ist noch nicht vorbei. Die Koalition müsste dringend anfangen zu regieren, statt zu palavern. Die Wege aus der Krise sind doch noch gar nicht beschritten. Wir werden diese Probleme doch nur in den Griff bekommen, wenn endlich entschlossen gegen die Zockerei an den Finanzmärkten und die Spekulation auf Staatspleiten vorgegangen wird. Wir brauchen eine internationale Finanzmarktsteuer, eine ernsthafte Beteiligung der Banken an den Folgen der Krise und wir müssen jetzt handeln. Und wir dürfen nicht vergessen: Die deutschen Rekordschulden sind größer als die von Griechenland, Portugal und Spanien zusammen. Wer das ignoriert, Steuersenkungen mit Schuldenmachen finanziert, macht sich mitschuldig an der Dauerkrise an den Finanzmärkten und gefährdet die Stabilität des Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort