„Wir leiden unter der Trennung“

Von heute an feiern evangelische Christen 500 Jahre Reformation. Über Martin Luther und sein Erbe sprach Christian Weyer, Superintendent des Kirchenkreises Saar-West und Chefplaner der Feierlichkeiten im Saarland, mit SZ-Redakteurin Frauke Scholl.

 Martin Luther habe die Menschen vom Leistungsdruck befreit, lobt Superintendent Weyer.

Martin Luther habe die Menschen vom Leistungsdruck befreit, lobt Superintendent Weyer.

Foto: Dietze

Herr Weyer, was verbindet Sie persönlich mit Luther?

Weyer: Ich bin sehr eng mit ihm verbunden, weil er für meinen Glauben große Bedeutung hat. Er versucht, die Menschen vom Leistungsdruck zu befreien - das war für mein Leben eine wichtige Botschaft. Darin sehe ich auch den wichtigsten Erfolg der Reformation: Sie hat den Einzelnen ermutigt, sich selbst als entscheidungs- und handlungsfähig zu entdecken.

Das Jubiläum fällt in eine Zeit, in der Kirche und Glaube immer unwichtiger für die Menschen werden. Schmälert das die Feierlaune?

Weyer: Nein, weil wir auch stolz sind, was in 500 Jahren geschehen ist. Die Reformation war notwendig. Aber wir dürfen jetzt nicht stehenbleiben, sondern müssen uns fragen, wie wir die Menschen in Zukunft erreichen können.

Ist es also wieder Zeit für eine Reformation?

Weyer: Nicht im Sinne einer großen öffentlichen Protestation. Aber es gibt einen Bedarf, neu über Strukturen nachzudenken, von denen viele nicht mehr funktionieren, und über unseren weiteren Weg. Insofern stehen wir an einem ähnlichen Punkt wie 1517.

Was muss sich verändern?

Weyer: Zum Beispiel müssen wir darüber nachdenken, wie die Kirchengemeinde der Zukunft aussieht. Wir merken, dass die Gemeinden kleiner werden und überaltern, dass es an neuen Impulsen fehlt. Wir müssen ein differenzierteres Angebot an die Menschen machen - etwa für junge Menschen. Das wollen wir im Jubiläumsjahr erarbeiten. Gleichzeitig wollen wir dieses Jahr auch dazu nutzen, uns unseres Glaubens zu vergewissern.

Die evangelische Kirche ist im katholischen Saarland klein. Sie hat 200 000 Gläubige. Macht es Ihnen das schwerer, groß zu feiern?

Weyer: Nein. Wir erfahren auch durch die saarländische Öffentlichkeit und die Verantwortlichen große Aufmerksamkeit. Und auch die katholische Kirche, die mit in die Feierlichkeiten eingebunden ist, ist sehr offen für Kooperation. Die Ökumene funktioniert hier in weiten Teilen sehr gut.

Widerspricht das Reformations-Jubiläum als Feier der Abspaltung vom katholischen Glauben nicht der Ökumene?

Weyer: Die Trennung war von Luther und den anderen Reformatoren nicht beabsichtigt; sie wollten Reformen. Dass es dann anders kam, war eine historische Entwicklung. Heute leiden wir unter der Trennung. Eine Annäherung ist in den vergangenen Jahren ja deutlich zu erkennen, aber das Verständnis des kirchlichen Amtes steht noch zwischen uns. Insofern ist das Jubiläum jetzt auch eine Chance, weil wir ja nicht die Abspaltung feiern. Wir freuen uns einfach, dass die evangelische Kirche 500 Jahre existiert, schauen ihre Vorteile und Probleme aus der Geschichte an und erhoffen uns Impulse, die uns als christliche Kirche weiterführen - hoffentlich auch gemeinsam.

Nicht ganz 500 Jahre sind es im Saarland. Wann kam es hier zur Reformation?

Weyer: 1575 wurde die Grafschaft Nassau-Saarbrücken lutherisch - damit war die Reformation hier spät dran, der Graf wollte sie lange verhindern. Der Teil des Saarlandes, der zur Grafschaft Pfalz-Zweibrücken zählte, war etwas früher dran.

Was hat sich dadurch für die Menschen verändert?

Weyer: Plötzlich konnten sie zum Beispiel die Predigt in deutscher Sprache hören und damit richtig verstehen. Die Reformatoren haben die Menschen zu einem mündigeren Christsein geführt.

Luther hatte auch dunkle Seiten, etwa war er judenfeindlich. Wie gehen Sie damit um?

Weyer: Wir arbeiten auch das auf und distanzieren uns davon. Wir betrachten Luther nicht als Heiligen, sondern durchaus differenziert. Er war ja auch kein einfacher Mensch, fluchte viel und hatte einen Dickkopf. Aber dennoch hat er sich in großem Maße verdient gemacht um die Weiterentwicklung von Kirche und Gesellschaft, nicht nur durch seine Bibel-Übersetzung.

Zu Ihrem Festprogramm gehört ein Studenten-Projekt, bei dem Saarländer aufgerufen sind, Thesen für die heutige Zeit zu verfassen. Was würde Luther heute anprangern?

Weyer: Eine These, die ich als Luther aufstellen würde, wäre: "Nehmt euer Leben selbst in die Hand. Lasst euch nicht so stark bestimmen. Bildet euch eine eigene Meinung." Bildung ist das A und O, das hat Luther auch gesagt. Und vorgefertigte oder einseitige Meinungen, die einfach übernommen werden, sind heute in der Gesellschaft zunehmend verbreitet. Das empfinde ich als bedrückend.

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