Interview Kurt Beck „Wir haben eine Verantwortung für Deutschland und Europa“

Berlin · Der ehemalige SPD-Chef rät seiner Partei zu Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Mit Ratschlägen für Martin Schulz hält er sich zurück.

Kurt Beck, ehemaliger Vorsitzender der SPD

Kurt Beck, ehemaliger Vorsitzender der SPD

Foto: dpa/Gregor Fischer

Er war lange Zeit Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und von 2006 bis 2008 SPD-Vorsitzender. An diesem Sonntag wird Kurt Beck als Gast am SPD-Parteitag teilnehmen. Für das Sondierungsergebnis hat er viel Lob übrig – auch wenn er Schwächen einräumt.

Herr Beck, soll der SPD-Parteitag Koalitionsverhandlungen mit der Union zustimmen oder nicht?

BECK Es spricht mehr dafür, in Koalitionsverhandlungen einzutreten, als Nein zu sagen. Ich sage das in Abwägung des bei den Sondierungen Erreichten und vor dem Hintergrund der Verantwortung, die wir für Deutschland und Europa haben.

Sagen Sie das auch aus Angst vor Neuwahlen?

BECK Nicht aus Angst vor Neuwahlen, sondern aus argumentativer Überzeugung.

Viele in der SPD sorgen sich, dass die Partei in einer erneuten großen Koalition ihr Profil vollends verlieren könnte.

BECK Vorsicht ist sicher geboten, dass es nicht so kommt. Aber ich bin überzeugt, dass man die Zukunftsdebatte in der Partei genauso gut führen kann, wenn man in der Regierung ist. Vielleicht sogar ein Stück besser. Denn Opposition jetzt würde natürlich auch bedeuten, dass sich vieles erst innerparteilich wieder zurechtrütteln muss, ehe man überhaupt wieder über Zukunftsthemen diskutieren kann.

Was genau loben Sie am Sondierungsergebnis?

BECK Da gibt es eine ganze Reihe von Punkten. Die paritätische Finanzierung der Sozialsysteme, insbesondere der Krankenversicherung, ist ganz entscheidend. Das ist die Rückkehr zu einem Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Dann die Rente. Eine Absicherung des Rentenniveaus auf 48 Prozent und eine Grundrente deutlich über der Grundsicherung, das sind sehr, sehr wertvolle Entscheidungen. Die Pflege und die Ganztagsschulbetreuung gehören ebenfalls zu den Fortschritten.

Andere betrachten das halb leere Glas: Die Bürgerversicherung und das Ende der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen fehlen.

BECK Das sehe ich auch und bedauere es. Aber man darf nicht glauben, dass man mit 20 Prozent und mit einer Union, in der einige ja sogar eine konservative Revolution wollten, all das erreichbar gewesen wäre. Unter dem Strich spricht mehr Positives für weitere Verhandlungen als Negatives dafür, jetzt Schluss zu machen.

Hat die Parteiführung seit dem Freitag denn glücklich agiert mit dem Verweis auf mögliche Nachverhandlungen?

BECK In dem Sondierungspapier steht vieles, aber vieles steht auch nicht drin. Wenn Sie das Beispiel Bürgerversicherung nehmen: Die haben wir in den Sondierungen dem Grunde nach in der Tat nicht erreicht. Aber über die Frage noch mal zu reden, wie man einen gleichwertigen, fairen Zugang zur medizinischen Versorgung und eine saubere Finanzierung der ärztlichen Leistungen hinkriegt, das muss ja wohl möglich sein.

Würde es bei der Abstimmung am Sonntag helfen, wenn Martin Schulz klar auf Ministerambitionen verzichten würde?

BECK Das muss Martin Schulz für sich entscheiden. Ich halte es mit Johannes Rau, der gesagt hat, öffentliche Ratschläge sind auch nur Schläge.

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