"Wir haben alles getan, was möglich war!"

Völklingen/Quierschied. Exakt 21 Aktenordner hat Generalstaatsanwalt Ralf-Dieter Sahm griffbereit. Der Chefermittler der Saar-Justiz ist für detaillierte Nachfragen in der Pressekonferenz in der Göttelborner Polizei-Fachhochschule gerüstet

 Generalstaatsanwalt Sahm studierte Dutzende Aktenordner zu den Bränden. Rechtsradikale Hintergründe kann er in vier Fällen weder belegen noch ausschließen. Foto: b&b

Generalstaatsanwalt Sahm studierte Dutzende Aktenordner zu den Bränden. Rechtsradikale Hintergründe kann er in vier Fällen weder belegen noch ausschließen. Foto: b&b

Völklingen/Quierschied. Exakt 21 Aktenordner hat Generalstaatsanwalt Ralf-Dieter Sahm griffbereit. Der Chefermittler der Saar-Justiz ist für detaillierte Nachfragen in der Pressekonferenz in der Göttelborner Polizei-Fachhochschule gerüstet. "GEG Komplex" steht in dicken Buchstaben auf den Ordnern, zwischen deren Deckeln die vorläufige Abschlussbilanz einer in der Saar-Justizgeschichte einzigartigen gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) von Polizei und Staatsanwaltschaft steckt. Sahm selbst ist Chef der Sonderermittler. Sie wurde Anfang Dezember 2011 installiert, nachdem unsere Zeitung über Merkwürdigkeiten und Auffälligkeiten im Zusammenhang mit zwölf ungeklärten Brandstiftungen in den Jahren 2006 bis 2011 in Völklingen berichtet hatte. Zu den Opfern gehörten oft Migranten. Zwangsläufig wurde die Frage aufgeworfen, ob die Brände einen fremdenfeindlichen Hintergrund haben. Immerhin hat die Hüttenstadt ein starkes rechtes Lager, sitzt die NPD im Stadtrat. Eine mögliche Verbindung zur Zwickauer Terrorzelle der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) wurde diskutiert, weil ein Bekennervideo der Zelle in der Wehrdener Moschee auftauchte.

Rückblickend räumte Sahm am Freitag vor Journalisten ein: "Wir waren damals nicht in der Lage, auf die aufgeworfene Frage sofort eine erschöpfende und überzeugende Antwort zu geben." Die Ermittler sahen sich unter Mediendruck und gegenüber der Öffentlichkeit in "Erklärungsnotstand", weshalb die "GEG Komplex" in einem Kraftakt mit 47 Beamten aus der Taufe gehoben wurde.

Die Sonderermittler wälzten die alten Ermittlungsakten, gingen 117 neuen Spuren nach. Sahms vorläufiges Fazit nach unzähligen Vernehmungen, Analysen und Überprüfungen: "Bis auf die Bekenner-DVD gab es keine Aktivitäten der NSU ins Saarland hinein." Zu den Bränden sagte er: "Nicht eine einzige der zwölf Taten trägt eine eindeutig rechtsextremistische Handschrift." Die dem Staats- und Verfassungsschutz bekannten 26 Köpfe aus dem rechtsextremen Völklinger Lager wurden nach allen Regeln kriminalistischer Kunst überprüft. Fehlanzeige.

Sahm beschrieb detailliert das in Zusammenarbeit mit spezialisierten bayerischen Fallanalytikern entwickelte Profil des gesuchten Brandstifters: Männlich, 16 bis 35 Jahre, eingeschränkte Mobilität, Ankerpunkt Völklingen. Mögliche Straftaten: Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Eigentums-, Straßenverkehrs-, Suchtdelikte und natürlich Brandstiftung.

Dieses Profil könnte zu einem 24 Jahre alten Völklinger passen, den die Sonderermittler in drei bis vier Fällen als Tatverdächtigen - auch bei dem Feuer im Haus eines türkischen Bistrobesitzers - im Visier haben. Der junge Mann war bereits 2007 in Verdacht geraten, seine Kumpels gaben ihm damals ein Alibi. Sie waren angeblich zum Tatzeitpunkt auf Diebestour. Gegenüber der GEG kippten einige Zeugen um. Erst nach dem Brand sei man zu dem Einbruch gegangen. Der Völklinger ist in 23 Fällen strafrechtlich aufgefallen. Sahm befürchtet aber, dass die derzeitige Beweislage nicht für die Anklageerhebung ausreicht. Und solange diese vier Brände nicht geklärt sind, gilt für diese Fälle, die möglicherweise zu einer Serie gehören: "Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden."

Ausgeräumt ist nach Angaben von Sahm der Verdacht, der türkische Gastwirt könnte ein Feuer an seinem Haus in Auftrag gegeben haben, um seine Versicherung, die letztlich 950 000 Euro zahlte, zu betrügen. Überprüft wird eine weitere Spur, ob es vielleicht der Racheakt eines Spielers war, der in dem Lokal beim illegalen Glücksspiel viel Geld verloren hat.

Von den zwölf Brandstiftungen wurden, so die Ermittler, zwei von Hausbewohnern verursacht. Mutmaßlich gehen auch zwei weitere Fälle auf die Konten von Bewohnern. Anklagereif geklärt hat die GEG einen Fall: Ein Mieter hatte sich über im Flur abgestellte Kinderwagen geärgert und einen davon angezündet. Ein Feuer wurde wohl fahrlässig entzündet. Ein Löschversuch des Verursachers scheiterte. Ein anderer Brand entstand möglicherweise durch technischen Defekt. Bei zwei Bränden waren italienische Cafés betroffen. Eines dieser Feuer scheint das Werk eines Profis gewesen zu sein. Es wurde Brandbeschleuniger benutzt. Der Inhaber war auch Opfer eines Handgranatenanschlags in seinem Burbacher Wettbüro.

Nach über einer Stunde setzt Sahm den Schlusspunkt: Man habe zwar nicht alle Fälle restlos klären können. Greifbare Bezüge zum rechtsextremen Milieu wurden nicht entdeckt. Von einer Brandserie im kriminalistischen Sinn könne "allenfalls in drei oder vier Fällen" die Rede sein. Der Chefermittler: "Wir haben alles getan, was nötig und möglich war, die Fälle aufzuklären. Dass dies nicht immer restlos gelingt, liegt in der Natur der Sache."

Auf einen Blick

 Am 5. August 2007 brennen in Völklingen drei Häuser. In allen leben Migranten. Foto: rup

Am 5. August 2007 brennen in Völklingen drei Häuser. In allen leben Migranten. Foto: rup

 Generalstaatsanwalt Sahm studierte Dutzende Aktenordner zu den Bränden. Rechtsradikale Hintergründe kann er in vier Fällen weder belegen noch ausschließen. Foto: b&b

Generalstaatsanwalt Sahm studierte Dutzende Aktenordner zu den Bränden. Rechtsradikale Hintergründe kann er in vier Fällen weder belegen noch ausschließen. Foto: b&b

 Am 5. August 2007 brennen in Völklingen drei Häuser. In allen leben Migranten. Foto: rup

Am 5. August 2007 brennen in Völklingen drei Häuser. In allen leben Migranten. Foto: rup

Zwischen 2006 und 2011 wurde an zwölf von Migranten bewohnten Häusern der Völklinger Innenstadt Feuer gelegt (siehe Grafik). Im November 2011 berichteten Medien über die Brandstiftungen und warfen die Frage nach einer rechtsextremistisch motivierten Brandserie auf. Zeitgleich wurde bekannt, dass eine Völklinger Moschee im November eine Bekenner-DVD des Zwickauer Neonazi-Trios erhalten hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken gründete daraufhin eine Sonderermittlungsgruppe zur Aufklärung der Brände. jkl

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