„Wir haben alle schwarze Teile in uns“

Saarbrücken · Starker französischer Akzent, orangefarbene Trainingsjacke, Puschel-Mikro und ein großes Talent für Straßenumfragen mit pointierten Aussagen: Diese Merkmale machen Emmanuel Peterfalvi zu „Alfons“, dem unbeholfenen Reporter. Die SZ traf ihn während der Dreharbeiten von „Alfons & Gäste“ auf dem Saarbrücker Halberg.

Wen würde Alfons bei den französischen Präsidentschaftswahlen nächsten Sonntag wählen?
PETERFALVI
(lacht) Alfons darf nicht wählen, er ist eine Kunstfigur. Wenn er wählen könnte, ist es ja klar: Macron. Nicht für Macron, sondern gegen Le Pen. Der erste Wahlgang war eine Situation, die sehr unklar war. Viele Franzosen haben sich gefragt: Soll man das wählen, wofür man ist oder soll man das wählen, damit das, wogegen man ist, nicht kommt? Es ist also sehr, sehr merkwürdig gewesen. Es hieß, die Umfragen werden sich täuschen und nicht die Wahrheit sagen. Sie waren aber relativ exakt. Jetzt sagen die Umfragen: 60 Prozent Macron und 40 Prozent Le Pen - das glaube ich überhaupt nicht.

Was glauben Sie dann?
PETERFALVI
Ich glaube, Le Pen ist sehr schlau und damit sehr gefährlich. Sie hat bis zum ersten Wahlgang eine relativ schlechte Wahlkampagne gemacht, jetzt ist sie aber sehr erfinderisch. Macron schläft ein. Er denkt, er hat gewonnen. Das ist sehr gefährlich und das auch verantwortungslos. Er muss einfach verstehen, dass er viele Stimmen nur bekommen hat, um Le Pen zu verhindern. Also einige sind zwar für ihn, aber man weiß gar nicht, was er überhaupt machen will. Das einzige, was man weiß, ist, dass er seine Lehrerin rumgekriegt hat, als er siebzehn war. Das ist das einzige Argument, was zählt in Frankreich. Ansonsten gibt es nicht viel, was für ihn spricht - außer, dass er jetzt gegen Le Pen gewinnen muss. Und wenn er es so macht, wie er es gerade macht, ist es einfach schlecht. Das muss er schnell verstehen. Hoffentlich ist es nicht zu spät. Das riecht unangenehm. Das riecht nach Hilary Clinton gegen Donald Trump. Man dachte auch, Trump ist so merkwürdig, der wird nie gewählt...Das macht mir Angst.

Wird es also sehr knapp?
PETERFALVI
Ich weiß nicht, ich bin kein Hellseher. Ich glaube, es ist sehr gefährlich. Ich glaube nicht, dass es 60 zu 40 Prozent sein wird. Le Pen stellt sich sehr schlau an. Sie ist zurückgetreten von der Präsidentschaft des Front National, was faktisch gar nichts ändert, aber symbolisch. Auf ihren Plakaten steht auch ihr Nachname nicht mehr. Sie distanziert sich von ihrem Vater. Sie ist auch nicht mehr gegen Europa, sondern für ein anderes Europa und da kann, glaube ich, fast jeder zustimmen. Europa ist wichtig, aber nicht in der heutigen Form. Wer sagt das nicht? Außer natürlich ein paar gierigen Kapitalisten.

Was würde Alfons Emmanuel Macron und Marine Le Pen fragen?
PETERFALVI
Der würde wahrscheinlich erstmal Macron für seine Frau gratulieren. Bei Le Pen würde er wahrscheinlich fragen, warum sie kein Baguette unter den Arm kriegt und sie würde antworten, dass ab und zu Mal ein Hitlergruß sein muss und dann würde es immer runterfallen. Ich würde Alfons aber nicht in diese Situation bringen wollen. Alfons ist eher gut mit normalen Menschen. Oder ich würde es ganz anders machen und den ganzen Wahlkampf begleiten, das würde ich gerne machen. Also drei oder zwei Wochen mit den Kandidaten jeden Tag zusammen zu sein. Mit Merkel und Schulz würde ich das auch gerne machen. Ich müsste noch nicht mal viel fragen, wenn ich einfach nur filmen dürfte - da bin ich mir sicher, ich würde ganz andere Situationen herauskriegen als andere Reporter.

Es gibt ja Kollegen von ihnen - Lutz van der Horst von der Heute-Show - der genau das macht. Der geht auf die Parteitage. Ist das zu aggressiv für Alfons?
PETERFALVI
Nein, das nicht, aber das habe ich auch schon alles gemacht. Früher bin ich zu jedem Parteitag gegangen - damals für Extra 3 - das habe ich ohne Ende gemacht. Das meine ich halt nicht. Ich würde die Politiker dokumentarisch begleiten, zwar mit Alfons Blick, aber ich würde nicht auf O-Ton-Jagd gehen und Fangfragen stellen.

Was würde dabei herauskommen?
PETERFALVI
Viel authentisches, anders als in Pressekonferenzen von Politikern, wo man das Gefühl hat, die nutzen 70 Worte, um möglichst wenig zu sagen. Ich glaube, das kann Alfons relativ gut umsetzen.

Also kann Satire noch entlarven?
PETERFALVI
Da bin ich mir sehr sicher, dass sie das kann. Die Frage ist, ob die Türen dafür offen sind. Also ich gehe sicherlich einfacher in einen Schrebergarten hinein als in das Regierungsgebäude.

Das gute Abschneiden von Le Pen hat auch mit der skeptischen Haltung gegenüber der EU zu tun. Haben Sie Angst um Europa?
PETERFALVI
Ja, ich habe Angst. Ich habe das Gefühl, dass alle von Europa und der EU genervt sind und es gibt sicherlich viele Gründe, warum man das sein kann. Das blöde ist, dass man dann den Ursprung vergisst - also was ist die Uridee davon? Und die ist: Wir haben jahrhundertelang nur Kriege gegeneinander geführt und auf einmal gibt es schlaue Menschen, die sagen: Stopp, Kriege können wir gut, aber lasst uns mal was anderes ausprobieren, wie wäre es mit Frieden? Und dann haben die Europa gemacht, nach dem Motto, es ist ein Experiment. Und seit 70 Jahren bekriegen wir uns nicht mehr. Ich fände es doof, das Experiment jetzt sein zu lassen.

Haben Sie einen Tipp für Europa?
PETERFALVI
Wenn ich den hätte, hätte ich den schon angewendet. Die Zeit ist sehr doof. Viele Leute haben Angst und wollen einfache Lösungen, so ist der Mensch gestrickt. Aber für komplizierte Probleme gibt es manchmal keine einfache Lösung. Es ist schwer, die richtige Waffe zu finden.

Jetzt hat uns eher Emmanuel Peterfalvi geantwortet als Alfons. Was unterscheidet die beiden?
PETERFALVI
Zum Glück thematisiere ich das nicht, das würde mich ziemlich verrückt machen. Sicher ist, dass relativ viel von mir in Alfons drin ist. Soviel kann ich sagen. Aber ich trenne das nicht so richtig. Es gibt auch manchmal Dinge, die ich auf der Bühne oder im Studio sage, wo man sich echt fragen könnte: Ist das wirklich der naive Alfons von den Umfragen? Alfons ist gewachsen, das ist schon mal sicher. Wenn man sich anguckt, wie Alfons vor Jahren zum Beispiel bei "Extra 3" gesprochen hat - das ist schon ziemlicher Wahnsinn, dass sich auch eine Kunstfigur entwickelt, wenn man ihr die Freiheit dazu lässt.

Wie ist die Figur denn entstanden? Haben Sie sich überlegt, wie der Klischee-Franzose aussehen könnte?
PETERFALVI
Ne, gar nicht. Sonst hätte Alfons auch nicht so ausgesehen. Das war alles sehr intuitiv. Ich habe früher andere Dinge im Fernsehen gemacht, nicht als Alfons. Dann hatte ich das Gefühl, damit komme ich nicht weiter und ich wollte mich weiterentwickeln. Aber ich wusste nicht so genau, wie. Und dann habe ich eine kleine Pause gemacht und bin auf Inspirationssuche gegangen. In einem Kostümfundus habe ich dann diese Jacke aus DDR-Produktion gefunden und habe ich sie angezogen, mich im Spiegel angeguckt und ich habe gespürt, da ist etwas passiert - echt! Es war eindeutig, diese Jacke musste ich haben. Ich wusste zwar noch nicht, wie, was, warum - aber das war egal. Dann habe ich die Jacke gemietet und habe angefangen mit ihr zu drehen. Ich musste sie weitermieten und weitermieten und irgendwann habe ich bei Extra 3 angefangen und Extra 3 hat gesagt: Ja wir machen das für fünf Wochen und dann hat sich das erledigt. Dann ist es auch nicht mehr gut." Ich habe sie dann für fünf Wochen weitergemietet. Niemand dachte, dass daraus etwas Dauerhaftes entstehen würde - außer Alfons selbst wahrscheinlich.

Warum haben Sie die Jacke nicht gekauft?
PETERFALVI
Als ich sie kaufen wollte, hieß es: "Ne, hier vermieten wir nur", also musste ich sie immer weiter mieten. Richtig lange und für viel zu viel Geld. Und irgendwann habe ich gesagt: Jetzt müsst ihr euch irgendetwas überlegen, weil die Jacke will ich und ihr sagt, man kann‘s nicht kaufen, aber was ist, wenn ich die verliere? "Ja, dann würdest du so und so viel zahlen" Dann habe ich gesagt: "Gut, dann verliere ich sie nächste Woche und so hat man sich mehr oder weniger arrangiert und seitdem gehört die Jacke mir. Ich wollte mir eine zweite Original-Jacke zulegen, habe überall danach gesucht, aber keine gefunden. Also habe ich noch zwei nachmachen lassen - zur Sicherheit.

Tragen Sie gerade das Original?
PETERFALVI
Nein, das ist in der Garderobe.

Ist das eine Art Aberglaube - die Jacke muss mit?
PETERFALVI
Ja, das ist wichtig. Ich lasse sie jetzt auch nur in der Garderobe, weil sie zugesperrt ist. Ich würde sie sonst nie ohne Aufsicht lassen. Da passe ich sehr auf. Meinen Koffer schicke ich zum Beispiel sehr oft hin und her, aber die Jacke nie. Das ist kein Scherz, ich möchte die wirklich nicht verlieren.

Was ist das Ziel von "Alfons"?
PETERFALVI
Mein Weg ist es schon, die Leute zum Nachdenken zu bringen, aber indem ich sie unterhalte. Auf der Bühne sieht man das viel besser als im Fernsehen. Das Fernsehen hat bestimmte Regeln, damit die Leute zappen können, man muss kurz sein, et cetera. Auf der Bühne kann ich die Leute mit viel mehr konfrontieren. In meinem Bühnenprogramm erzähle ich von meinem Vater, der von zuhause wegging und da gibt es zehn Minuten lang wirklich nichts zu lachen. Das ist viel schwieriger im Fernsehen.

In ihrem Bühnenprogramm lernt man also eine andere Seite von Alfons kennen?
PETERFALVI
Ganz genau. Das ist auch etwas, was ich immer wieder erlebe, gerade wieder letzte Woche im Theaterhaus in Stuttgart. Da waren viele Leute, die mir nachher gesagt haben: Wir kannten dich vom Fernsehen, wir fanden's toll, aber das hat uns total überrascht, was du da gemacht hast. Wir hätten diese Facette nie vermutet. Es ist halt anders und tiefer.

Sie stellen die Menschen bei Ihren Straßenumfragen ja oft bloß...
PETERFALVI
Nein, das mache ich nicht! Das ist mir auch sehr, sehr wichtig. Es gab auch noch nie eine Beschwerde. Was passieren kann, ist, dass ich Meinungen bloßstelle. Wenn jemand etwas Rassistisches sagt oder meint, wir bräuchten mal wieder eine kleine Diktatur. Dann will ich die Person nicht bloßstellen, aber ich finde interessant, dass es diese Meinung noch gibt. Ich finde vor allem interessant, dass das jemand sagt. Wenn man ehrlich ist: Wir haben alle schwarze Teile in uns - rassistische, faschistische, kriminelle Teile. Es ist ein guter erster Schritt, zu akzeptieren, dass wir diese Teile haben. Das ist gesünder, als sich vor der Kamera total zu verstellen. Und das ist die Regel. 99 Prozent der Leute, ich inklusive, versuchen vor einer Kamera intelligent zu wirken. Ich finde es extrem charmant, wenn einer die Fähigkeit hat - ich rede bewusst von Fähigkeit - sich zu öffnen.

Befragen Sie deshalb oft ältere Leute?
PETERFALVI
Viele ältere Leute besitzen tatsächlich die Fähigkeit, sich zu öffnen. Sicherlich, weil sie mit den Codes von der Kamera weniger vertraut sind, aber auch vor allem, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Die haben alles hinter sich und daher sind sie ehrlicher. Die Kamera ist denen egal. Es passiert auch manchmal, dass mir jemand etwas total Spannendes erzählt und dann muss die Kamera kurz einen Akkuwechsel machen und wir müssen warten, dann sagen die mir: "Die Kamera ist mir egal, Dir will ich das sagen." Und dann mache ich auch einfach weiter, weil es denen wichtig ist, sich zu öffnen. Und die erzählen mir auch manchmal Dinge, die ich gar nicht sende, weil sie sehr privat sind.

Nehmen Sie die Menschen auf der Straße als Kunstfigur oder echten Gesprächspartner war?
PETERFALVI
Da rede ich nicht mehr von Kunstfigur, sondern von der Magie von Alfons und seinem Puschelmikrofon. Das passiert etwas, was mit Emmanuel Peterfalvi nicht passieren würde. Etwas, was ich nicht genau erklären kann und auch gar nicht erklären will. Das ist etwas Magisches. Wenn ich anfange, zu analysieren, habe ich Angst, diese Magie kaputt zu machen. Sicherlich ist ein Aspekt, dass die Leute spüren, dass ich mich wirklich für sie interessiere. Ich bin nicht auf der Jagd nach einem guten O-Ton. Nicht mehr. Mich interessiert, wie ein Mensch tickt und klar freue ich mich, wenn er's auch noch pointiert sagt.
Derzeit wird viel Kritik geübt an der etablierten Politik, den Medien, aber auch an Satirikern und Kabarettisten.

Viele ihrer Kollegen werden angefeindet. Wie ergeht es Ihnen?
PETERFALVI
Also ich kriege immer mal Mails mit Du Arschloch! und das hat sich mit dieser ganzen Hetze über Facebook bestimmt verstärkt. Das ist das eigentlich Neue. Aber das sagt eher etwas über diese sogenannten sozialen Netzwerke aus und über den Menschen, was er macht, wenn er denkt, dass er anonym ist. Und das sagt auch viel über unsere Zeiten. Wenn ein Trump oder auch ein Sarkozy anfängt, Dinge zu sagen, die man sonst von Autoritäts-Personen nie gehört hat. Dann fühlen sich alle berechtigt, auch so zu sprechen und zu schreiben. Das hat mit Kabarett glaube ich gar nichts zu tun.

Dieter Nuhr und seine Türkei-Kritik sind ein Beispiel für extreme Anfeindungen...
PETERFALVI
Ja, aber Dieter Nuhr ist auch nicht wirklich ein Kabarettist, wenn er da solche Themen anfasst. Dann geht er ein bisschen aus seiner Rolle heraus, habe ich das Gefühl.

Im deutschen Verständnis ist Kabarett etwas ur-politisches - sehen Sie das anders?
PETERFALVI
Ne, das sehe ich nicht anders. Aber Dieter Nuhr ist nicht politisch. Ab und zu redet er über Politik, aber das meiste, was er macht, ist eben nicht politisch. Wenn er über Politik redet, ist er auch nicht mehr lustig. Er redet mehr über bestimmte Meinungen, die er hat und die sich zumindest von dem, was ich kenne, sehr anders von dem sind, was er sonst auf der Bühne macht. Ich kenne nicht alles, was er gesagt hat, aber ein paar Dinge, die er gesagt hat, fand ich schwierig. Es ist einfach eine schwierige Zeit, in der gerade Leute, die so viel gehört werden, eine Verantwortung haben. Da muss man echt aufpassen. Überall liegen Themen, die brennen und wenn man die noch befeuert und aufpustet, dann kann es sehr schnell eskalieren. Ich glaube, gerade wenn man so eine Verantwortung hat, sollte man sich ihr auch bewusst sein. Ein politischer Kabarettist ist für mich da gibt es viele von, das ist Die Anstalt, Urban Priol und so. Und ich glaube nicht, dass die mehr Probleme haben, also früher. Das sind Leute, die für ihre Positionen immer angegriffen worden sind. Zumindest verbal. Bei Dieter Nuhr war es so, dass er auf einmal neu und auf eine ganz merkwürdige Art und Weise politisch war und das passte einfach nicht zu dem, was man von ihm kennt und erwartet - was auch toll ist, dass man Leute dann damit überrascht. Aber meistens hat Nuhr das in Interviews und nicht auf der
Bühne getan - zumindest das, was ich von ihm kenne.

Schwierige politische Zeiten sind gute Zeiten fürs Kabarett. Stimmt das?
PETERFALVI
Ja, schwierig ist, wenn nichts passiert und im Moment passiert viel. Trotzdem mache ich mir schon viele Sorgen. Wie gesagt, ich bin mir gar nicht so sicher, ob es nicht am Ende doch Le Pen wird. Wenn das so ist, ist das erstmal ein Paradigmenwechsel. Die Zeiten bringen mich dazu, mir sehr viele Fragen über den Menschen zu stellen. Da finde ich die Tagespolitik dann sehr unwichtig und frage mich, wie kann es sein, dass der Mensch nie aus seiner Vergangenheit lernt. Wie kann es sein, dass wir so eine Intelligenz haben, dass wir so etwas wie das Internet erfinden können, das ist eigentlich Wahnsinn, so eine Technologie, mit der ich jetzt irgendeinem Menschen auf der anderen Seite der Erde live kommunizieren kann eigentlich fantastisch. Also man könnte etwas daraus machen. Und was machen wir daraus? Wir machen Fotos von Katzen und klicken "Gefällt mir" und das im besten Falle und sonst ist das Hetze. Und da frage ich mich: Wie kann das sein? Dass wir so eine Technologie erschaffen haben aber zu doof sind, sie zu nutzen. Das sind die Dinge, die mich bewegen. Viel mehr, als Fragen wie "Ist der Martin-Schulz-Effekt wirklich ein Effekt oder wird die FDP die fünf
Prozent-Hürde packen? Das finde ich dann im Vergleich sehr klein.

Sie wollen nach 26 Jahren in Deutschland Deutscher werden. Warum ausgerechnet jetzt?
PETERFALVI
Olaf Scholz hat mir einen sehr netten Brief geschrieben, nach dem Motto: Es ist so lange her, dass Sie hier sind und ich habe mir gedacht, wie wäre es, wenn Sie Deutscher werden? Ich war sehr geehrt von diesem Brief vom Bürgermeister persönlich. Und dann habe ich erfahren, dass er diesen Brief 150.000 Leuten geschrieben hat (lacht). Ende Mai mache ich jetzt den Einbürgerungstest.

Kam die Frage nicht schon vorher auf?
PETERFALVI
Nein, erst mit dem Brief. Als Franzose, als EU-Bürger braucht man das eigentlich nicht. Aber dann habe ich mich gefragt: Stimmt, diese Möglichkeit gibt es, will ich das überhaupt? Dann habe ich den Brief an meinem Kühlschrank gehängt, weil ich die Frage noch nicht beantworten konnte, und bin jeden Tag an diesem Brief vorbei gelaufen und habe mich jeden Tag erneut gefragt, ob ich das will. Dann habe ich meinen Großvater besucht und der hat mich gefragt: "Willst du das wirklich? Willst du Boche werden? Und irgendwann gab's ein Feuer in meinem Haus und die Küche ist verbrannt, weil der Kühlschrank sich in Brand gesetzt hat. Der Brief war weg. Und als ich die Feuerwehr gefragt habe, wie das überhaupt passieren kann, hat der Feuerwehrmann mir den verbrannten Kühlschrank gezeigt und gesagt, dass das Modell dafür bekannt ist. Ich war entsetzt und er sagte "Jaja, es gab auch schon viele Tote und dann gucke ich auf den Kühlschrank und es stand "Bosch" drauf. Und dann habe ich echt gedacht, okay, das ist das Schicksal. Vor ein paar Wochen war ich dann in der NDR-Talkshow eingeladen und Olaf Scholz war auch da. Dann habe ich gedacht, da erzähle ich die Geschichte vom Kühlschrank-Brand. Ich habe ihm gesagt, dass das jetzt drei Jahre her ist und ich eigentlich gerne Deutscher werden würde und ob er mir den Brief nochmal schicken könnte. Vor zehn Tagen (Anm. d. Red.: Interview am 28. April) habe ich den Brief bekommen.

Sie leben länger in Deutschland als in Frankreich. Fühlen Sie sich deutsch?
PETERFALVI
Ich fühle mich wie beides. Deswegen will ich jetzt auch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Ich fühle mich als Franzose, der aber Deutschland sehr gut kennt und liebt und sehr gerne in Deutschland lebt und seine Steuer zahlt und doof findet, dass er in Deutschland nicht wählen darf. Das sehe ich nicht ein. Deshalb mache ich das. Ich sehe ehrlich gesagt auch nicht ein, dass ich in Frankreich nicht wählen darf, aber ich mache es trotzdem. Mit Frankreich habe ich eigentlich nur noch wenig zu tun, außer, dass ich den Pass habe.

Sie sind eher zufällig nach Deutschland gekommen, nämlich weil Sie ihren Zivildienst hier ableisten sollten. Wie war damals ihr Bild von Deutschland?
PETERFALVI
Ich habe Deutsch in der Schule gehabt und war absolut unmotiviert, weil ich mir sicher war, dass ich das nie brauchen werde. Als ich Kind war, in den 70er Jahren, gab es sehr viele Kriegsfilme über Deutschland im Fernsehen. Das sind Comedy-Filme, die voll von Klischees sind. Die Deutschen tragen grundsätzlich alle eine Uniform, sind alle doof und streng und die Franzosen sind alle schlau und tricksen die Deutschen aus. Mehr passiert da nicht. Ja, und ich dachte, das ist so.

Ihre Sketche leben von deutsch-französischen Klischees. Nicht wirklich ein Beitrag zur Völkerverständigung...
PETERFALVI
Ja, aber die stimmen auch, die Klischees. Ihr wart pünktlich, ich war zu spät, oder? (lacht) Mein Ziel ist es nicht, zur Völkerverständigung beizutragen. Wenn das ein Nebeneffekt ist, dann freue ich mich. Ich will eher die Leute amüsieren und zum Nachdenken bringen. Ich finde es sehr witzig und damit spiele ich auch sehr viel, dass die Deutschen immer das Gefühl haben, dass alle diese Klischees stimmen. Ihr meint echt, dass ihr ein unmögliches Volk seid. Und ihr fragt euch: Wie kann ein Franzose überhaupt freiwillig in Deutschland leben? Und das alles stimmt gar nicht. Aber wenn ich euch das sage, dann wollt ihr mir nicht glauben. Und mein Weg ist es, euch damit zu kitzeln. Und gleichzeitig zu sagen: Glaubt weiter daran, denn davon lebe ich.

Wie gucken die Franzosen denn auf die Deutschen?
PETERFALVI
Eigentlich sehr normal und gesund. Sie sind überrascht, dass die Deutschen selbst sagen: Wir sind Langweiler, streng und mit und geht's gar nicht. Wir haben viel von Deutschland zu lernen, sagen viele Franzosen.

Mit dem SR-Gesellschaftsabend sind Sie der Nach-Nach-Nachfolger von Hanns Dieter Hüsch. Gibt es etwas, was Sie mit ihm verbindet?
PETERFALVI
Ich kannte ihn gar nicht - weder persönlich, noch von seinem Werk. Komischerweise sagen mir ganz viele Leute, dass ich sehr viel mit ihm gemeinsam habe. Diese Ruhe, dieses Nachdenkliche, kein Bedarf an "alle zehn Sekunden eine Pointe", sondern auch dieses Poetische. Als ich die Radiosendung übernommen habe, habe ich mich nur ein bisschen mit ihm beschäftigt. Denn ich bin immer besser, wenn ich etwas nicht so genau kenne - so wie Alfons es macht. Der würde nie Zeitung lesen, guckt aber über die Schulter auf die Überschrift und baut sich damit seine Welt. Das mache ich auch am liebsten. Immer wenn ich etwas zu gut kenne, bin ich nicht mehr natürlich. Für bestimmte Dinge wie die Steuererklärung ist es dann doch besser, das nicht aus Intuition zu machen aber für andere Dinge ist es besser, etwas auf sich wirken zu lassen, als alles genau zu wissen.

Das Gespräch führten Oliver Schwambach und Jasmin Kohl.

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