"Wir brauchen in den nächsten Jahren 200 000 weitere Pflegekräfte"

Herr Meurer, gerade hat die Bundesregierung eine Ausbildungsoffensive für einheimische Pflegekräfte gestartet. Warum jetzt ein Vertrag mit den Philippinen?Meurer: Schon jetzt fehlen in Deutschland 30 000 Pflegefachkräfte. Um das Pflegeproblem in den Griff zu kriegen, brauchen wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren etwa 200 000 weitere Fachkräfte

Herr Meurer, gerade hat die Bundesregierung eine Ausbildungsoffensive für einheimische Pflegekräfte gestartet. Warum jetzt ein Vertrag mit den Philippinen?

Meurer: Schon jetzt fehlen in Deutschland 30 000 Pflegefachkräfte. Um das Pflegeproblem in den Griff zu kriegen, brauchen wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren etwa 200 000 weitere Fachkräfte. Mit dem inländischen Potenzial allein ist das nicht zu schaffen.

Was heißt Pflegemangel konkret?

Meurer: Das heißt zum Beispiel, dass Pflegeheime eine Aufnahme ablehnen müssen und ambulante Pflegedienste Familien mit Pflegebedürftigen nicht unterstützen können. Manchen Pflegeheimen wird die Aufnahme alter Menschen inzwischen von der Heimaufsicht untersagt, weil sie die Fachkraftquote von 50 Prozent nicht erfüllen.

Warum sollten gerade Kräfte von den Philippinen das Problem entschärfen?

Meurer: Im Grundsatz ist der Mangel an Pflegekräften überall in Europa zu beobachten. Das liegt an der demografischen Entwicklung, also der wachsenden Alterung der Bevölkerung. In Regionen wie Südostasien ist die Bevölkerungspyramide genau umgekehrt. Auf den Philippinen herrscht deshalb sogar ein Überschuss an Pflegefachpersonal. Diese Leute verfügen über eine viereinhalbjährige Ausbildung, die weltweit hohe Akzeptanz geniest. Damit können sie sogar Assistenzleistungen der Ärzte übernehmen. Außerdem haben wir schon in den 1970ern gute Erfahrungen gemacht, als man einige tausend philippinische Krankenschwestern nach Deutschland holte.

Rechnen Sie mit einem Ansturm von den Philippinen?

Meurer: Nein. Die ganze westliche Welt wirbt praktisch um Pflegefachkräfte, und da ist Deutschland schlecht aufgestellt. Gerade Fachkräfte aus Asien können das, was sie gelernt haben, in England oder Schweden wesentlich besser umsetzen als bei uns. In Deutschland müssen sie erst einmal ein sechsmonatiges Pflege-Praktikum im Krankenhaus absolvieren. Dabei wird dort gar nicht mehr ganzheitlich gepflegt, weil die Patienten in aller Regel schnell entlassen werden. Das ist ein absurder Zustand.

Was muss sich ändern?

Meurer: Deutschland muss von dem arroganten Anspruch wegkommen, diesen hervorragend qualifizierten Leuten das Pflegen beibringen zu wollen. Wenn schon Praktika erforderlich sind, dann bitte in den Pflegeheimen und ambulanten Einrichtungen. Dafür müssen die Länder ihre gesetzlichen Anerkennungsverfahren ändern.

Und die Sprachbarrieren?

Meurer: Natürlich ist das eine Hürde. Aber die gibt es bei anderen Zuwanderern auch. Wer von den Philippinen zu uns kommt, um zu arbeiten, der weiß, dass gute Deutschkenntnisse dafür eine Schlüsselvoraussetzung sind. Aber wir sollten auch die Kirche im Dorf lassen.

Was meinen Sie damit?

 In kaum einer anderen Branche ist die Personalnot so groß wie im Bereich Pflege. Foto: Pleul/dpa

In kaum einer anderen Branche ist die Personalnot so groß wie im Bereich Pflege. Foto: Pleul/dpa

Meurer: Bis auf Hessen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen verlangen alle Bundesländer von den ausländischen Pflegekräften einen sprachlichen Mindeststandard, mit dem man ein Germanistikstudium beginnen könnte. Das ist doch verrückt. Bis diese Leute so weit sind, haben sie ihren Beruf verlernt. Auch das schrecktInteressenten ab. Notwendig sind praxisgerechte, bundeseinheitliche Lösungen. Sonst wird Deutschland den Wettbewerb um die besten Pflegekräfte verlieren.Foto: Jensen/dpa

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