"Wir brauchen bald einen Rettungsschirm für Steuerzahler"

Die SPD will mit dem Versprechen, einen Lohnsteuerbonus von 300 Euro zu gewähren, in den Bundestagswahlkampf ziehen. Diesen Betrag soll erhalten, wer neben seinem Lohn keine weiteren Einkünfte hat und auf eine Steuererklärung verzichtet. Ist das sinnvoll?Kirchhof: Das ist ein erstaunlicher Vorschlag

Die SPD will mit dem Versprechen, einen Lohnsteuerbonus von 300 Euro zu gewähren, in den Bundestagswahlkampf ziehen. Diesen Betrag soll erhalten, wer neben seinem Lohn keine weiteren Einkünfte hat und auf eine Steuererklärung verzichtet. Ist das sinnvoll?Kirchhof: Das ist ein erstaunlicher Vorschlag. Der Bürger würde ein Taschengeld erhalten, wenn er bereit ist, jenseits des Gesetzes besteuert zu werden. Diese Bereitschaft besteht, wenn der Bürger weniger als 300 Euro Erstattung bei der Veranlagung erwartet. Dann steht er sich besser, andere müssten aber mehr zahlen. Oder die Erklärungslast, also die Mühe, eine Steuererklärung zu machen, bedrückt ihn so sehr, dass er bereit ist, mehr zu bezahlen, als im Gesetz vorgesehen ist. Es ist im Grunde eine Kapitulation vor dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung. Ist der Vorschlag also unseriös?Kirchhof: Ich halte ihn für sehr problematisch, weil er darauf verzichtet, dem Bürger einen verlässlichen Maßstab im materiellen Steuerrecht zu geben. Die Bürger müssen wissen, was sich gehört. Was meinen Sie damit?Kirchhof: Wir erleben, dass wirtschaftlich sehr erfolgreiche Menschen, die niemals eine Bank überfallen würden, bei gleichem strafrechtlichem Risiko bereit sind, Steuern zu hinterziehen. Das Steuerrecht hat seine innere Autorität verloren. Wir brauchen einfache und klare Regeln, die jeder versteht, damit jeder wieder weiß, was sich gehört. Die CSU verspricht ja eine umfassende Steuerentlastung in Höhe von 28 Milliarden Euro. Ist dies in der Krise realistisch?Kirchhof: Ich finde es zunächst einmal richtig, dass mit Nachdruck eine einfachere und gerechtere Steuer gefordert wird. Die Privilegien und Ausnahme-Tatbestände des geltenden Rechts sind dramatisch. Keiner versteht sie, und jeder sieht ein, dass sie gleichheitswidrig sind. Darunter leidet der Bürger. Was aber die gewaltige Steuersenkung angeht, so wird man sehr genau überlegen müssen, wie sich diese ermöglichen lässt. Der Staat wird sich von bestimmten Aufgaben zurückziehen und insbesondere bei der Kreditvergabe zurücknehmen müssen. Der Staat kann als Wohltäter nur geben, was er vorher steuerlich als Übeltäter genommen hat. Wie gut hat die Politik in der Krise reagiert? Sind noch ordnungspolitische Leitlinien erkennbar?Kirchhof: Es ist wichtig, dass Leitlinien erkennbar sind. Die Politik hat einen Rettungsschirm für die Finanzinstitute aufgestellt, damit Geldströme und Kreditvergabe weiter funktionieren. Dies war wichtig. Wir brauchen aber bald einen Rettungsschirm für Steuerzahler. Wir müssen uns jetzt bewusst machen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen bei Zahlungsunfähigkeit in die Insolvenz gehen und große Unternehmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit den Staatshaushalt belasten können. Dies ist falsch. Größe darf nicht zum Privileg werden. Es muss wieder das Prinzip gelten, dass jeder sein Handeln selbst verantwortet und dabei auch scheitern kann. Die Anonymisierung der Kapitalgesellschaften und der Anlagemöglichkeiten in einem Fonds können letztlich dazu führen, dass wir eine strukturelle Nicht-Verantwortlichkeit haben. Dies ist das eigentliche systemische Problem. SPD und Linke wollen Reiche deutlich stärker zur Kasse bitten. Ist das aus Ihrer Sicht richtig und sinnvoll?Kirchhof: Was den Steuersatz angeht, müssen wir uns bewusst machen, dass der Gesetzgeber zum 1. Januar dieses Jahres entschieden hat, bei Einkünften aus Kapitalvermögen die Bemessungsgrundlage wesentlich zu vereinfachen. Dafür wurde die Einheitssteuer von 25 Prozent eingeführt. Das heißt, wer sehr viel aus Kapitalvermögen verdient, mag er 100 000, eine Million oder eine Milliarde Euro erzielen, wird mit 25 Prozent besteuert. Damit stellt sich die Gerechtigkeitsfrage, weil die Belastung der Einkünfte aus Arbeit viel höher sein kann. Ich bin aber zuversichtlich, dass die politische Vernunft und der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz dafür sorgen werden, dass diese Schere nicht weiter auseinandergeht, sondern zusammengeführt wird. Wie soll dies funktionieren?Kirchhof: Kapital ist in internationalen Kapitalmärkten beweglich. Dies lässt höhere Steuersätze als 25 Prozent nicht zu. Also müssen wir die anderen Einkünfte, insbesondere die aus Arbeit - nach großen Freibeträgen und einer Entlastung der kleineren Anfangseinkommen - mit 25 Prozent belasten. Dann fehlt dem Finanzminister zwar sehr viel Geld. Er kann aber alle Privilegien, die Lenkungs- und Ausnahmetatbestände abschaffen. Danach wird er ein gleich hohes Steueraufkommen erzielen wie vorher. Und dann erleben wir plötzlich ein einfaches und maßvolles Steuerrecht, eine allgemeine Steuergerechtigkeit.

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