Wilde Polit-Ballerei im alten Kraftwerk

Berlin · Einen Tag nach dem Duell der beiden Spitzenkandidaten von CDU und SPD, Angela Merkel und Peer Steinbrück, durften in der ARD gestern auch die drei Spitzenkandidaten der kleinen Parteien ran. Die beiden Moderatoren hatten sichtlich Mühe, sie zu zügeln.

"Triell" nennt man eine Schießerei zu Dritt. Die Konstellation ist berühmt geworden, weil viele Mathematiker sich an ihr abgearbeitet haben. Welche Strategie muss jeder der Teilnehmer fahren, um die Sache am wahrscheinlichsten zu überleben? Bei einem Duell gibt es da keinen Spielraum. Der schwächere Teilnehmer muss auf den stärkeren anlegen und umgekehrt. Beim Triell ist es anders. Hier hat der schwächste die etwas besseren Karten wenn er - in die Luft schießt. Weil sich die beiden stärkeren mit einer etwas größeren Wahrscheinlichkeit gegenseitig erledigen. So weit die Theorie.

In dem zum Studio ausgebauten ehemaligen Kraftwerk in Berlin-Kreuzberg hat sie gestern nicht funktioniert. Es wurde eine wilde Ballerei von allen auf alle. Weil sich alle gleich stark fühlten. Und mächtig unter Druck standen. Die Moderatoren Sigmund Gottlieb und Jörg Schönenborn waren auch nicht ganz unschuldig. Sie wollten offenbar eine munterere Debatte als am Vortag präsentieren und provozierten die drei Politiker von sich aus noch mit Zwischenbemerkungen, Bewertungen ihrer Äußerungen und polemischen Fragen.

Dabei war die Gesprächssituation so schon explosiv genug. Es gab keine Zeitregeln, dafür Politiker, die offenbar kultivierte Umgangsformen vergessen haben, sobald Wähler zuhören. Rainer Brüderle hatte eigentlich die schlechtesten Karten, weil er als Vertreter der Regierungspartei FDP beide Oppositionspolitiker gegen sich wusste. Er suchte todesverachtend sein Heil im Angriff. "Man kann auch alles schlecht reden", warf er dem Linken Gregor Gysi und dem Grünen Jürgen Trittin gleich zu Beginn vor, nachdem diese die vielen prekären Arbeitsverhältnisse in Deutschland beklagt hatten. Schon schimpften beide auf ihn ein. Aufstocker, Minilöhne, Vermögensschere, Altersarmut, "so geht es doch nicht, Herr Brüderle", rief Gysi. Der konterte: "Wer über zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat, kann nicht alles falsch gemacht haben". Die Strategie hatte aus Brüderles Sicht den Vorteil, dass er am meisten reden konnte. Denn die beiden anderen wandten sich an ihn mit ihren Vorwürfen. Das gab ihm das Recht zu ausführlichen Antworten mit heiserer Stimme und heftiger Gestik. Allerdings beharkten sich Trittin und Gysi zwischendurch auch gegenseitig mit kleinen Giftpfeilen.

Irgendwann feuerten die Politiker so selbstvergessen aufeinander ein, dass Gottlieb leise zu Co-Moderator Schönenborn sagte: "Sie müssen dazwischen gehen, damit wir weitermachen können."

Dann folgte eine wirre Euro-Debatte. Aus dem Scharmützel konnte man bei hoher Konzentration die Worte "Ihre Denke ist fundamental falsch" (Brüderle), "Die Jugendarbeitslosigkeit ist der helle Wahnsinn" (Gysi) und ein gackerndes, hämisches Gelächter von Trittin heraushören. Einmal meldete sich Gysi scheinheilig artig wie ein Schüler bei den Moderatoren: "Darf ich Herrn Brüderle eine Frage stellen?" Sigmund Gottlieb wandte sich mit fast schon verzweifeltem Blick seinem Co-Moderator zu. "Wollen wir ihn ausnahmsweise lassen?" fragte er sarkastisch. "Ja er darf." Gysi hätte sich das Wort sowieso genommen.

Nach 55 Minuten war man befreit. Da durfte jeder der drei Spitzenpolitiker etwas ruhiger in ein, zwei Minuten so etwas wie seine politische Botschaft verkünden und wurde nicht unterbrochen. Fast nicht. "Uff", sagte ein geplätteter Frank Plasberg, als er unmittelbar nach der Sendung die Moderation bei "hart aber fair" übernahm. Und wenn Plasberg über eine Debatte staunt, dann war da was los.

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