Wie Wikileaks Peking und Pjöngjang entzweit

Peking. Als "alter Freund" reiste Choe Thae-bok in Pjöngjang ab, als "verwöhntes Kind" kam er in Peking an: Nordkoreas Parlamentspräsident und Sekretär des Zentralkomitees der Arbeiterpartei musste gestern zum Auftakt seines Chinabesuchs brisante Enthüllung von Wikileaks verkraften

Peking. Als "alter Freund" reiste Choe Thae-bok in Pjöngjang ab, als "verwöhntes Kind" kam er in Peking an: Nordkoreas Parlamentspräsident und Sekretär des Zentralkomitees der Arbeiterpartei musste gestern zum Auftakt seines Chinabesuchs brisante Enthüllung von Wikileaks verkraften. Unmittelbar vor seiner Landung war bekannt geworden, wie Chinas Vizeaußenminister He Yafei vergangenes Jahr vor Mitarbeitern der US-Botschaft in Peking über die Verbündeten aus Pjöngjang hergezogen haben soll. Nordkorea verhalte sich "wie ein verwöhntes Kind, das die Aufmerksamkeit der Erwachsenen bekommen will", wird er in dem Bericht zitiert. Als Begründung für Chinas enge Beziehungen mit Nordkorea gibt er an: "Wir mögen sie vielleicht nicht, aber sie sind unsere Nachbarn."Anderen Dokumenten ist zu entnehmen, wie zwei ranghohe chinesische Beamte Südkoreas stellvertretendem Außenminister erklärten, dass Korea eines Tages unter Seouls Führung wiedervereinigt werden solle und dass diese Ansicht in der Pekinger Führung immer mehr Anhänger finde. Vor allem Chinas jüngere Politiker-Generation empfinde die Bündnistreue zu Nordkorea zunehmend als Belastung. Ein chinesischer Botschafter soll Nordkoreas Atomwaffen außerdem als "Bedrohung für die Sicherheit der ganzen Welt" bezeichnet haben. Die Enthüllungen müssen in Nordkorea tiefe Verunsicherung auslösen. Denn obwohl sich Diktator Kim Jong-il keine Illusionen darüber machen dürfte, dass die Chinesen mit seinem Konfrontationskurs nicht einverstanden sind, konnte er sich bisher doch stets darauf verlassen, dass sie ihm in der Öffentlichkeit und gegenüber westlichen Regierungen die Treue halten. Doch je mehr Provokationen sich Nordkorea leistet, umso akuter stellt sich die Frage, welchen Preis China für das Bündnis zu zahlen bereit ist. Die Wikileaks-Dokumente scheinen zu belegen, dass Diskussionen über Alternativen zum Bruderpakt in Peking kein Tabu mehr sind.

Aus Pjöngjangs Sicht kommt die Veröffentlichung zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt: Nach dem nordkoreanischen Angriff auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong, bei dem vergangene Woche vier Menschen starben, wächst der Druck auf China, seinen Einfluss in Nordkorea geltend zu machen und Kims Eskalationslust Einhalt zu gebieten. Pekings Versuch, in dem Konflikt zu vermitteln und Anfang Dezember einen Sechs-Parteien-Gipfel zwischen Nord- und Südkorea, China, den USA, Russland und Japan abzuhalten, hat sich inzwischen als politische Fehlzündung erwiesen, die den chinesischen Diplomaten mehr Kritik als Beifall eingebracht hat. Nach den Südkoreanern sagten am Montag auch die USA ihre Bereitschaft zu einem Treffen ab, solange Nordkorea nicht vorher Schritte zur Denuklearisierung unternimmt.

Die Veröffentlichungen seien "willkommene Munition für alle Kritiker, die China vorwerfen, nicht genug Verantwortung zu übernehmen", meint Shi Yinhong, Politologe von der Pekinger Volksuniversität. "Sie können dazu führen, dass sich der Konflikt weiter zuspitzt." Allerdings entspreche es vorerst weiterhin Chinas Interessen, Nordkorea als exklusive Einflusszone und als Pufferstaat zur den US-Truppen in Südkorea zu behalten.

Nordkorea schürte gestern die Spannungen weiter und bekräftigte seine Absicht zur Ausweitung seines Atomprogramms. Aus den Wikileaks-Dokumenten geht auch hervor, dass Nordkorea trotz des Waffenembargos dem Iran Raketen geliefert hat, die auch als Trägergeschosse für Atombomben dienen könnten.

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