Nordkorea-Krise Der Norden zündelt, aber der Süden bleibt cool

Seoul · Während Nordkorea und die USA nicht nur verbal aufrüsten, behält Südkorea vorerst die Ruhe. Doch Experten schlagen Alarm.

(dpa) Auch wenn die Zehn-Millionen-Metropole Seoul gerade einmal 55 Kilometer von der nordkoreanischen Grenze entfernt liegt, ist von Krisenstimmung hier nichts zu spüren: Im Geschäftsviertel rund um den Rathausplatz strömen die Angestellten gegen Mittag in die umliegenden Restaurants, Frauen verteilen Werbeflugblätter in den Fußgängerzonen, Touristen flanieren am restaurierten Cheonggyecheon-Bach entlang.

Die Drohungen aus dem Norden der koreanischen Halbinsel lassen die meisten Menschen hier ziemlich kalt. „Die meisten Koreaner sind gerade viel mehr besorgt wegen der Sommerhitze“, sagt die 23-jährige Studentin Lee Ji Yoon, die ein Praktikum in Seoul absolviert: „Nordkorea versucht ja seit Ewigkeiten, die Welt zu bedrohen. Die meisten von uns denken, dass das schon wieder vorbeigehen wird.“

Für Lars-André Richter, den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, ist die öffentliche Meinung jedoch nur bedingt ein Indikator für den Ernst der Lage: „In der Gelassenheit der Leute steckt immer auch ein wenig Fatalismus.“ In seinen bisher fünf Jahren in der südkoreanischen Hauptstadt habe er zwar schon einige Nordkorea-Krisen erlebt. So angespannt wie jetzt sei die Lage aber noch nie gewesen: „Das liegt wohlgemerkt nicht nur an (US-Präsident Donald) Trump, sondern vor allem an den Fortschritten der nordkoreanischen Atom- und Raketenpolitik.“ Bislang hat die deutsche Botschaft keine Reisewarnung für Südkorea herausgegeben oder Sicherheitsmeetings einberufen. Unter vorgehaltener Hand lässt sich jedoch in diplomatischen Kreisen eine gewisse Anspannung feststellen.

Während eines gestern einberufenen Dringlichkeitstreffens des nationalen Sicherheitsrates in Seoul wurde Nordkorea dazu aufgefordert, sämtliche Provokationen einzustellen. Die Möglichkeit zum Dia­log bleibe jedoch weiterhin offen, hieß es. Für den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In ist die aktuelle Krise vor allem eine Gratwanderung zwischen seinen pazifistischen Überzeugungen und einem sich zuspitzenden Konflikt mit Nordkorea. Kurz nach seinem Amtsantritt erteilte er noch Genehmigungen für humanitäre Hilfsprojekte in Nordkorea, visierte Familienzusammenführungen der im Korea-Krieg der 50er Jahre getrennten Familien an und stellte sogar eine Wiedereröffnung der Sonderwirtschaftszone Kaesong in Aussicht. Von den einstigen Plänen ist nun jedoch keine Rede mehr: Stattdessen rief der 64-Jährige zur „vollständigen“ Reform seiner Streitkräfte auf und bat US-Präsident Trump während eines Telefonats am Montag darum, die Bestimmungen des bilateralen Militärabkommens neu zu verhandeln, um mächtigere Raketensprengköpfe herstellen zu können.

Der konservativen Opposition gehen die Verteidigungspläne der Regierung in Seoul jedoch nicht weit genug. Die Liberty Korea Partei rief bereits am Montag dazu auf, dass das US-Militär atomare Sprengköpfe auf südkoreanischem Boden stationieren solle: „Frieden werden wir nicht erreichen, wenn wir darum betteln, sondern nur durch eine Machtbalance“, sagte der Parteivorsitzende Hong Joon Pyo. Die nordkoreanische Volksarmee erneuerte unterdessen gestern ihre Androhung eines Raketenangriffes auf die US-Pazifikinsel Guam.

Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung glaubt dennoch, dass Nordkorea mit seinen Provokationen vor allem Aufmerksamkeit erreichen möchte. „Kim Jong Un und seine Entourage wollen der Welt zeigen, dass es sie gibt“, sagt Richter: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Land ins offene Messer stürzen will.“

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