Wie Sorge sich in Solidarität verwandelte

Aussiedlerheim in St. WendelSoll ein Übergangslager in die Kreisstadt`? Kann die saarländische Landesregierung einfach so darüber befinden? Die sorgte für harte Debatten in St. Wendel. Das ist nun rund 25 Jahre her. Es ist fast 25 Jahre her, als der Plan der saarländischen Landesregierung, in St

Aussiedlerheim in St. WendelSoll ein Übergangslager in die Kreisstadt`? Kann die saarländische Landesregierung einfach so darüber befinden? Die sorgte für harte Debatten in St. Wendel. Das ist nun rund 25 Jahre her. Es ist fast 25 Jahre her, als der Plan der saarländischen Landesregierung, in St. Wendel ein Außenlager der Lebacher Aufnahmestelle für Aussiedler und Asylanten zu errichten, die Gemüter erhitzte. Viel Wasser ist seitdem die Blies herunter geflossen. Befürchtungen, das Stadtbild würde Schaden nehmen, ein Getto entstehen, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Zwar wurde in der Oberstadt, im ehemaligen Schwesternwohnheim des Marienkrankenhauses, ein Übergangslager für Aussiedler eingerichtet. Doch Stadt, Wohlfahrtsverbände und nicht zuletzt die St. Wendeler selbst sorgten für einen gelungenen Start der neuen Bürger in der neuen Heimat."Die Leute in St. Wendel waren immer freundlich, egal ob auf der Straße oder im Supermarkt. Einmal gab mir ein älterer Herr spontan zehn Mark für meine Tochter, die während eines Spaziergangs anfing zu weinen", erinnert sich Gabriela Tessmer (47), die mit Ehemann und Tochter im Oktober 1988 hier ankam. Ursprünglich stammen sie aus der in der Danziger Bucht gelegenen Stadt Gdingen/Gdynia.

Ebenfalls im Oktober 88 zog Familie Wolczyk in das ehemalige Schwesternwohnheim ein. Wie die meisten Aussiedler, die Ende der 1980er-Jahre in der Kreisstadt eintrafen, kamen sie aus Oberschlesien. Dr. Kornelia Wolczyk (53) denkt gerne an ihre Anfangszeit in der Stadt zurück: "Die Kindergärten betreuten die Kinder bis 17 Uhr, sodass wir den Sprachkurs besuchen konnten. Derartiges war damals unüblich. Wir wurden dazu schnell Mitglied in einem Hobbyfußballverein, obwohl ich nicht Fußball spiele. Mit den anderen Mitgliedern haben wir uns angefreundet und sind sogar zusammen verreist. Wir hatten in dieser Zeit überhaupt keine Probleme, anerkannt zu werden."

Von den Diskussionen im Vorfeld der Einrichtung eines Überganglagers in St. Wendel haben weder Tessmer noch Wolczyk etwas mitbekommen. Erst später, durch Dritte. Doch gingen die Wogen hoch, nachdem bekannt geworden war, dass die SPD-Landesregierung St. Wendel als Standort eines Übergangswohnheimes auserkoren hatte. "Die Nachricht schlug hier ein wie eine Bombe, die Leute waren verunsichert", erinnert sich Klaus Stein. Der 63-Jährige denkt noch heute lebhaft an den Sommer 1988 zurück. Wie viele St. Wendeler hegte auch er die Befürchtung, Verhältnisse wie im Lebacher Lager würden sich hier wiederholen. In Lebach gab es massig Probleme: Aufgrund der gestiegenen Aussiedler- und Asylantenströme Ende der 1980er war das dortige Lager, seit 1959 Übergangslager für Vertriebene und Aussiedler, überbelegt. Stein: "Im Urlaub bin ich nach Lebach gefahren, um mir die dortigen Zustände anzusehen. Ich sprach mit Betroffenen, Verantwortlichen und Anwohnern. Mir wurde klar: Diese Menschen brauchen Hilfe. Ein vergleichbares Lager in St. Wendel würde jedoch keine Hilfe darstellen, sondern die Probleme nur verlagern. Dazu war ich schockiert, dass man derart in unserem Staat Menschen unterbringt."

Dass ausgerechnet St. Wendel als Standort infrage kam, war für Stein eine politisch motivierte Entscheidung: "Man wollte vonseiten der SPD-Landesregierung dem erfolgreichen, schwarzen Bürgermeister ein Kuckucksei ins Nest legen." Diese Einschätzung teilt auch Klaus Bouillon, seit 1983 Rathauschef. Er entwickelte mit der Verwaltung einen Alternativvorschlag, der später als Bouillon-Plan bekannt werden sollte: "Unsere Idee war es, die Menschen zu verteilen, also eine dezentrale Lösung. Daher haben wir in Wohnraum investiert. Klar ist: Wenn man Leute zusammenpfercht, entstehen Konflikte. Nur die dezentrale Lösung war sinnvoll."

Zunächst stieß sein Vorschlag auf wenig Gegenliebe in Saarbrücken. Ohne Beteiligung der Stadt verhandelte das Land mit dem Eigentümer des einstigen Krankenhauses, der Marienhaus GmbH. Ein Mietvertrag wurde abgeschlossen. Zur Überraschung vieler. "Ich nahm nicht an, dass die Sache derart schnell über die Bühne gehen würde. Daher war ich in Urlaub, in Spanien. In dieser Zeit gab es noch kein Handy, kein Internet, nur Telefon und Fax. Den Urlaub musste ich wegen der Vorgänge in der Heimat abbrechen", erinnert sich Bouillon.

In der Stadt rumorte es. Eine Bürgerinitiative gegen die Regierungspläne wurde gegründet. Klaus Stein war der Sprecher: "Aus einer Bürgerversammlung im Ochsen heraus entstand die Bürgerinitiative. Einerseits wollten wir uns hinter unseren Bürgermeister stellen, andererseits auch die Wut der Leute etwas kanalisieren. Als Anwohner der Marienstraße habe ich mich mit anderen Bewohnern unterhalten. Die Leute waren sehr erregt. Jemand hat extra Rollläden angebracht, ein anderer hat sich sogar eine Pistole besorgt. Sicherlich schämen sich einige im Nachhinein dafür."

Auf politischer Ebene begannen nun die Verhandlungen. Ein Kompromiss wurde gefunden: Das Land erwarb das ehemalige Schwesternwohnheim, in dem eine Landesaufnahmestelle mit 250 Plätzen eingerichtet wurde. Das Hauptgebäude, das ehemalige Krankenhaus, kaufte die Stadt - und riss es einige Monate später ab. Zusätzlich verpflichten sich Stadt und Landkreis, Wohnraum für Aussiedler zur Verfügung zu stellen. Der Kompromiss wurde während einer Bürgerversammlung im Saalbau präsentiert. Bouillon: "Die Versammlung habe ich gleich mit der Vorstellung des Kompromisses eröffnet, um die Spannung rauszunehmen. Nichtsdestotrotz wurde drei Stunden lang diskutiert, mit teilweise heftigen Einwürfen." Dennoch wurde die Entscheidung mit Erleichterung aufgenommen. Auch waren mittlerweile die ersten Aussiedler in der Stadt angekommen. Wohlfahrtsverbände betreuten sie. St. Wendeler spendeten für die Aussiedler. Ein Stimmungsumschwung war eingetreten.

Eva Smolka (52) war im Sekretariat der Caritas im Aussiedlerwohnheim beschäftigt. Sie erklärt sich die positive Stimmung in der Stadt so: "Wir Mitarbeiter gingen auf die Menschen zu, haben Aufklärungsarbeit geleistet. Die Zeitung hat auch über die ersten Aussiedler berichtet, sie vorgestellt. Dann waren die Leute richtig gut drauf, weil sie gesehen haben, die Neuen sind ganz normale Menschen. Das hat sich rumgesprochen. Auch, weil nicht gleich die Massen kamen, sondern nur langsam, peu à peu, neue Familien eintrafen. Die Kirchen haben sich ebenfalls für die Aussiedler eingesetzt."

Der Bouillon-Plan ging auf. 1991 war St. Wendel einer der Preisträger des Bundeswettbewerbes Vorbildliche Integration von Aussiedlern. Danach wurde es noch einmal laut rund um das ehemalige Schwesternwohnheim. Abgelehnte Asylsuchende sollten dort untergebracht werden. Der Plan wurde verworfen.2008 kaufte die Stadt das leer stehende Gebäude. Das ehemalige Schwesternwohnheim soll nun für neue Wohnungen abgerissen werden.

Produktion dieser Seite:

Hannelore Hempel

Matthias Zimmermann "Die Nachricht schlug hier ein wie eine Bombe, die Leute waren verunsichert."

Klaus Stein,

damaliger Sprecher

der Bürgerinitiative

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