Berlin Wie sieht das Auto der Zukunft aus?

Berlin · Die Autoindustrie ist unter Druck – nicht nur wegen der Dieselkrise. Die Weltmarken ringen um die Zukunft der Mobilität.

 Das erste Auto der Welt, der Benz Patent-Motorwagen, entstand im Jahr 1886 (s. Foto oben). Die Ingenieure von heute haben unterschiedliche Vorstellungen vom Auto der Zukunft. Ein denkbares Modell: der Smart Vision EQ Fortwo von Daimler (Foto unten). Das Konzeptfahrzeug verzichtet komplett auf Lenkrad und Pedale. Wird es sich durchsetzen? 

Das erste Auto der Welt, der Benz Patent-Motorwagen, entstand im Jahr 1886 (s. Foto oben). Die Ingenieure von heute haben unterschiedliche Vorstellungen vom Auto der Zukunft. Ein denkbares Modell: der Smart Vision EQ Fortwo von Daimler (Foto unten). Das Konzeptfahrzeug verzichtet komplett auf Lenkrad und Pedale. Wird es sich durchsetzen? 

Foto: Daimler AG/Daimler AG - Global Communicatio

() Deutschland, 2030. Leise surren Robotertaxis durch die Straßen, sie fahren per App. Die Insassen lesen und telefonieren. Kein Lenkrad. An der Ecke tanken E-Autos Strom. Über den Dächern fliegen autonome Lufttaxis umher, Mischungen aus Drohnen und Hubschraubern. Unfälle sind selten, die Autos kommunizieren. Wagen zu teilen ist in. Und: Die Luft bleibt sauber.

Schöne neue Autowelt? In Zeiten der Dieselkrise mit immer neuen Messungen über dreckige Fahrzeuge scheint das schwer vorstellbar. Das Image von Deutschlands Schlüsselbranche ist ramponiert. Doch glaubt man Forschern und Entwicklern, ist es ein durchaus realistisches Zukunftsszenario.

„Die Automobilindustrie befindet sich mitten in einem fundamentalen Wandel“, sagt BMW-Chef Harald Krüger. „Wenn wir weiterhin zukunftsfähig bleiben wollen, müssen wir hier und jetzt handeln.“ Viele sprechen vom größten Umbruch seit der Erfindung des Automobils vor rund 130 Jahren.

Die Megathemen, auch bei der Automesse IAA in Frankfurt (14 bis 24. September), heißen Digitalisierung und alternative Antriebe. Manche Experten geben aber auch dem Diesel noch eine ganz große Zukunft. „Die Probleme des Autos sind lange bekannt: Es ist ressourcen- und energieverschwendend, es ist dreckig“, sagt Kurt Möser, Professor für Kulturgeschichte der Technik am Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT. Immer wieder aber sei das Auto neu erfunden worden. Und auch Umweltkonflikte sind nichts Neues. Beispiel: Mitte der 80er Jahre wurde der Katalysator Pflicht – nach langen Debatten und gegen Widerstände.

Diesmal aber geht es ans Eingemachte. Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde der Diesel-Abgas­skandal bei VW bekannt. Auch bei anderen Herstellern zeigten Tests: Fahrzeuge sind auf der Straße viel dreckiger als auf dem Prüfstand. Die Branche schlitterte in eine Glaubwürdigkeitskrise. Vor allem ein Begriff ist es, über den ständig debattiert wird: Stickoxid (NOx). Stickoxide können den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden. Beim VW-Skandal ging es um den Ausstoß eben dieses Schadstoffs. Weil die NOx-Grenz­werte deutlich überschritten werden, drohen Fahrverbote für ältere Dieselwagen in Innenstädten. „Solange die Industrie weiter für ihr Recht auf billige, schmutzige Diesel kämpft, schaufelt sie sich ihr eigenes Grab“, sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Die Grünen fordern ein Verbot neuer Benzin- und Dieselmotoren ab 2030. „Der Wandel wird kommen“, meint Benjamin Stephan, Experte bei der Umweltorganisation Greenpeace. „Nun kann ihn die Autoindustrie noch aktiv gestalten. Ihnen droht sonst das Nokia-Schicksal.“ Gemeint ist der einstige Handy-Marktführer aus Finnland. Nokia hatte den Boom der internetfähigen Smartphones verpasst und verkaufte die Mobilphone-Sparte dann. Das will die Autoindustrie vermeiden.

Derzeit führt sie aber in erster Linie einen Abwehrkampf: gegen Diesel-Fahrverbote. Die könnten ihre Probleme verschärfen. Denn der Dieselanteil ist vor allem bei Geländewagen hoch: Im boomenden SUV-Segment verdient die Industrie viel Geld. Außerdem brauchen die Konzerne den Diesel, um mit ihren Flotten die CO2-Grenzwerte der Europäischen Union einhalten zu können. Diesel sind aus Branchensicht im Vergleich zu Benzinern mit ähnlicher Leistung effizienter, ihr Verbrauch ist geringer. Deshalb stoßen Diesel oft geringere Mengen des Klimagases Kohlendioxid aus.

In Frankfurt sitzt Gewerkschaftschef Jörg Hofmann (61) im Hochhaus der IG Metall, zum IAA-Messegelände ist es nicht weit. Die Gewerkschaft spricht in den deutschen Autowerken ein gewichtiges Wort mit. Mit Blick auf den Main skizziert der Ökonom ein düsteres Bild, wie schlecht die Industrie auf die Job-Folgen des Strukturwandels vorbereitet sei. Von den 880 000 Beschäftigten im Fahrzeugbau hingen über 200 000 Arbeitsplätze vom Diesel ab. Eine Jahreszahl für das Ende des Verbrennungsmotors sei „Humbug“, sagt Hofmann. „Wir wissen gar nicht, wie sich der Verbrennungsmotor weiterentwickelt.“

Für das E-Auto der Zukunft müssten zudem Beschäftigte umgeschult werden, fordert der IG-Metall-Chef. Es gehe um eine Balance zwischen Jobs und Mobilitätswende. „Zukunftssicherung ist nicht, den letzten Diesel zu verteidigen.“ Bis dieser letzte Diesel vom Band läuft, dürfte es noch dauern. Technologisch seien die Probleme beim Stickoxid im Griff, berichtet Thomas Koch, Professor am Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher KIT. „Wir reden ausschließlich über Altlasten. Da gibt es einige Sündenfälle, die nicht akzeptabel sind.“ Eine „Verteufelung“ der gesamten Technologie aber sei unangemessen.

Auch VW-Entwicklungschef Ulrich Eichhorn sagt: „Das Problem Stickoxid haben wir mit den neuen Motoren gelöst. Damit werden die künftigen Grenzwerte auch auf der Straße erfüllt.“ Wissenschaftler Koch geht noch weiter: „Ich gehe sogar davon aus, dass wir auch noch in 100 Jahren den Dieselantrieb nutzen werden.“

Dazu müssten aber die Kraftstoffe geändert werden. Die Idee: synthetische Kraftstoffe, die idealerweise aus erneuerbarem Strom hergestellt sind, um emissionsfrei zu fahren. Doch das kann dauern. Es braucht große Kapazitäten für Anlagen, und das ist teuer.

Wird der Diesel also künftig sauber und hat eine lange Zukunft? Für Experten ist derzeit das wahrscheinlichste Szenario eine bunte Mischung: Es gibt 2030 einen Mix aus Verbrennungsmotoren, Hybridantrieben und Elektrowagen. Hinzu kommen Brennstoffzellen-Autos, wenn auch in eher kleiner Stückzahl.

Lange wurde den deutschen Autobauern vorgeworfen, die E-Mobilität verschlafen zu haben. Die Aufholjagd hat einiges zu tun mit Elon Musk (46), einem Mann mit Visionen. Der US-Unternehmer hat das Bezahlen im Internet revolutioniert mit dem Unternehmen Paypal und Raumfrachter ins All geschickt. 2004 stieg Musk beim Elektrobauer Tesla ein. Sitz: Palo Alto im Silicon Valley. Weil die Kalifornier anfangs kaum Erfahrung beim Autobau hatten, wurden sie von den Etablierten belächelt. Das hat sich mit den Tesla-Erfolgen gründlich geändert.

Mittlerweile geht es für die etablierten Hersteller darum, dem aufstrebenden Autobauer Paroli zu bieten. Mit seinem Modell 3 – US-Preis ab 35 000 Dollar – will Tesla die Elektromobilität stärker in den Massenmarkt bringen. VW-Markenchef Herbert Diess machte deswegen vor kurzem eine Kampfansage Richtung Tesla: „Da werden wir ihn stoppen, an der Linie von 30 000 Euro.“ 2020 will Volkswagen mit seiner ID-Familie auf dem E-Auto-Markt voll angreifen.

Bisher aber sind E-Autos bei uns Ladenhüter. Das liegt an der nicht flächendeckenden Lade-Infrastruktur, dem eher hohen Preis und der geringeren Reichweite. Zudem mehrt sich die Skepsis in Sachen Umweltbilanz. Sind E-Autos wirklich viel umweltfreundlicher als Benziner und Diesel? Bei ihrer Herstellung verursachten Stromer erhebliche Belastungen, heißt es in einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Ifeu. Und was nützt es, wenn der Strom für E-Autos aus nicht gerade umweltfreundlichen Kohlekraftwerken kommt? Verkehrswende geht also nur mit Energiewende.

Für Forscher sind es spannende Zeiten. Etwa in Aachen, am Institut für Kraftfahrzeuge der Hochschule RWTH. Auf einer 400 Meter langen Teststrecke steht Tobias Sandmann und sagt: „Ich hätte auch zu einem Autohersteller gehen können, aber hier kann man freier forschen – und es macht mehr Spaß.“ Der 32-jährige Diplom-Ingenieur testet das Forschungsfahrzeug „SpeedE“. Der vollelektrische Wagen sieht futuristisch aus. Er erinnert mit seinen Flügeltüren an das Auto aus dem Filmklassiker „Zurück in die Zukunft“.

In Aachen geht es aber nicht zurück, sondern vorwärts. Mit „SpeedE“ erproben die Forscher neue Funktionen. Es gibt einen zentralen, drehbaren Sitz. Das Auto kann seine Räder um 90 Grad einschlagen – bei normalen Wagen sind es 38 Grad. Das könnte das Einparken einfacher machen. Ein Lenkrad hat „SpeedE“ nicht. Auf Knopfdruck fährt Sandmann Sidesticks hoch, Steuerknüppel, die wie Joysticks aussehen. Damit lässt sich der Wagen lenken.

Ingenieur Adrian Zlocki (39) ist Experte für autonomes Fahren. „Technologisch sind wir schon relativ weit“, sagt er. Doch wann werde autonomes Fahren marktreif – und von den Leuten akzeptiert?

Darum geht es auf der Teststrecke des Instituts in Aldenhoven, in der Nähe von Aachen. Früher stand hier eine Zeche. Wissenschaftler haben eine Straßenkreuzung aufgebaut. Sie ist voll mit Elek­tronik, die Ampeln sind voller Sensoren. Hier wird erforscht, wie sich Zukunftsautos mit der Umgebung „unterhalten“, mit Fahrzeugen, mit Fußgängern. „Automatisiertes Fahren in der Stadt ist anspruchsvoller als auf der Autobahn“, sagt Maschinenbauer Dominik Raudszus (30).

Gesucht werden auch Bedienkonzepte im Auto der Zukunft. Wie beim Fraunhofer Institut IAO in Stuttgart. Dort dreht sich vieles um Forschungswagen wie den „Twinkle Twizy“. Das Auto blinzelt Fußgängern aus großen Schweinwerfern zu, wenn es sie erkennt. Und es verfolgt ihren Weg. „Hello, I’m Twinkle Twizy“, steht dann auf einem Display an der Front des Einsitzers.

Wie können Roboterautos mit Fußgängern interagieren? Das ist hier die Frage. Harald Widlroither jedenfalls sieht noch einen weiten Weg bis zum vollautomatischen Wagen: „Es geht auch um Akzeptanz: Wollen wir überhaupt nicht mehr fahren?“ Eine wichtige Frage. Die Antwort steht für die Branche noch aus.

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