Wie Peking einen Kritiker mundtot macht

Peking. Der Panda trägt ein Sturmgewehr und lässt keinen Zweifel daran, auf wen er gerne abdrücken würde: auf Ai Weiwei, den "Verräter des Mutterlandes" und "Fünfsternelakai des Westens"

Peking. Der Panda trägt ein Sturmgewehr und lässt keinen Zweifel daran, auf wen er gerne abdrücken würde: auf Ai Weiwei, den "Verräter des Mutterlandes" und "Fünfsternelakai des Westens". Das bewaffnete chinesische Nationaltier ist das Maskottchen des Internetportals "Fortschrittliche Gesellschaft", einem nationalistischen Webforum, das seine Klicks derzeit vor allem Schmiertiraden gegen den berühmten Künstler und Regimekritiker verdankt: "Ai Weiwei ist ein fetter, vulgärer Mann, der sich gerne nackt auszieht und seinen Pimmel zeigt", beginnt ein im Lexikonstil geschriebener Artikel. Ais Kunst zeige, "dass er unser Land tief hasst", konstatiert der Eintrag. "Ai Weiwei ist der Abschaum der Menschheit, er muss hart bestraft werden."Der Geschmähte kann sich derzeit nicht verteidigen. Seit seiner Festnahme am 3. April fehlt von Ai Weiwei jede Spur. Nach offizieller Darstellung wird gegen den 53-Jährigen wegen "wirtschaftlicher Verbrechen" ermittelt. Außerhalb Chinas halten es viele für wahrscheinlicher, dass die Kommunistische Partei ihren renommiertesten Kritiker mundtot machen will. Der Druck auf Ais Anhänger ist gewaltig: Seine Frau Lu Qing erklärte, die Behörden hätten ihr Äußerungen gegenüber ausländischen Medien verboten. Von einem von Ais Anwälten fehlt jede Spur, seitdem er vergangenen Donnerstag per Handynachricht mitteilte, er werde verfolgt.

Nach allem, was über Chinas Staatssystem bekannt ist, wird über Ais Schicksal in den höchsten Parteigremien entschieden, und womöglich steht das Urteil bereits fest. In der Öffentlichkeit lässt die Regierung Ai bereits den Prozess machen. Der Propaganda-Apparat nutzt seine ganze Medienmacht, um Ais Ruf zu ruinieren. Während andere Regimekritiker wie Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo totgeschwiegen werden, werden über Ai systematisch kompromittierende Nachrichten lanciert. So verbreiteten die von Peking finanzierten Hongkonger Blätter Wen Wei Po und Ta Kung Pao Gerüchte über Ais Privatleben und warfen dem unter anderem für Aktfotos bekannten Künstler vor, im Internet Pornografie verbreitet zu haben. Außerdem gebe es "hinreichende Beweise für Steuerhinterziehung", zitierten die Zeitungen einen Informanten aus dem Polizeiministerium.

Auch ausländische Medien werden für die Propaganda ausgeschlachtet. So fanden Chinesen, die gestern bei der Suchmaschine Baidu Nachrichten über Ai Weiwei suchten, als erstes die Meldung, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe dementiert, sich für Ais Freilassung eingesetzt zu haben. Der Hintergrund: "Der Spiegel" hatte von einem Brief Merkels an Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao berichtet, was eine Regierungssprecherin jedoch dementierte. In China wurde daraus ein doppeltes Berliner Bekenntnis zu Pekings Position, denn bei chinesischen Lesern wurde der Eindruck erzeugt, Merkel unterstütze sowohl Ais Verhaftung als auch Chinas Kritik an westlichen Medien.

Dabei sind die Vorwürfe nicht unbedingt frei erfunden, sondern oft boshafte Verdrehungen bestehender Kritik. Denn obwohl - oder gerade weil - Ai von westlichen Medien und dem internationalen Kunstmarkt jahrelang gefeiert wurde, ist er unter chinesischen Künstlern nicht unumstritten. "Ai Weiwei hat seine Regimekritik bewusst eingesetzt, um reich und berühmt zu werden", sagt Ais bekannteste Kritikerin, die Kunsthistorikerin Zhu Ling. "Seine Ideen sind aus dem Westen geklaut, und es ist ein absolutes Unrecht, dass so einer der bekannteste chinesische Künstler ist." Seit Jahren sammelt Zhu, die in Berlin promoviert und 2008 in Schöneberg die "Galerie Ling" gründete, auf ihrem Blog Argumente gegen Ai. Neben Geldschneiderei wirft sie ihm vor, antichinesische Kräfte zu unterstützen: "Die Westler hassen und beneiden China. China ist ihr Juckreiz, und Ai Weiwei ist derjenige, der sie kratzt."

Während ihre Artikel bisher ein Randphänomen der Kunstszene waren, hat Zhu plötzlich tausende Leser. Das Hetzforum "Fortschrittliches China" deklarierte sie zur Vorzeigepatriotin. Zwar gehört Zhu nicht zu denen, die der chinesischen Regierung blind nach dem Mund reden. Für den in Peking verhassten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo findet sie im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung durchaus rühmende Worte, weil er sein Demokratiemanifest "Charta 08" nicht aus wirtschaftlichen Motiven, sondern aus reiner Überzeugung geschrieben habe. Und obwohl sie glaubt, dass Liu, der eine elfjährige Haftstrafe erhielt, kein faires Verfahren erhalten habe, fordert sie, dass man der chinesischen Regierung "nicht immer vorwerfen dürfe, gegen das Gesetz zu verstoßen". Ihre neue Leserschaft sei ihr jedenfalls nicht unangenehm.

Rückblick

Die Festnahme des chinesischen Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei vor zwei Wochen hat im Westen heftige Proteste hervorgerufen. Ein Rückblick auf die Ereignisse:

3. April: Ai Weiwei wird auf dem Pekinger Flughafen von der Grenzpolizei

festgenommen und an einen bisher unbekannten Ort gebracht. Anschließend durchsucht die Polizei sein Studio in Peking und nimmt mehrere Mitarbeiter fest.

4. April: Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) fordert die chinesische Regierung auf, Ai Weiwei "umgehend" freizulassen. Kulturpolitiker des Bundestages bezeichnen die Verhaftung als Skandal und Brüskierung der deutsch-chinesischen Kulturarbeit.

6. April: Westerwelle bestellt den chinesischen Botschafter in Berlin ein.

7. April: Die chinesischen Behörden bringen erstmals Anschuldigungen gegen Ai Weiwei vor. Sie werfen ihm "Wirtschaftsverbrechen" vor.

9. April: Kulturstaatsminister Bernd Neumann nennt die Inhaftierung des Künstlers einen "Akt diktatorischer Willkür".

12. April: Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigt sich "alarmiert" über die Festnahme Ai Weiweis.

17. April: Künstler und Anhänger des Regimekritikers demonstrieren für

dessen Freilassung. In mehreren deutschen Städten beteiligen sich hunderte Demonstranten an einer weltweiten Protestaktion. red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort