Geld für Ankara Wie Milliarden aus Brüssel die Türkei stützen

Brüssel · Ein Aussetzen der Zahlungen an Ankara ist nicht so einfach. Die EU hat sogar Geld für den Ausbau der Demokratie bereitgestellt.

 Wie lange weht die türkische Staatsflagge noch neben der EU-Fahne? Finanziell ist Ankara auf Brüssel angewiesen. Wäre ein Aussetzen der Zahlungen auch ein geeignetes Druckmittel?

Wie lange weht die türkische Staatsflagge noch neben der EU-Fahne? Finanziell ist Ankara auf Brüssel angewiesen. Wäre ein Aussetzen der Zahlungen auch ein geeignetes Druckmittel?

Foto: dpa/A3483 Matthias Schrader

Die Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei stoppen – das fordert das EU-Parlament. Zahlungen der EU für Ankara überprüfen – das will Außenminister Sigmar Gabriel. Doch die Realität ist eine andere. Über vier Milliarden Euro stehen für die Heranführung der Türkei an die EU bereit. Warum schwenkt die Union nicht nach der offenkundigen Abkehr Ankaras von demokratischen Grundwerten um?

Wie viel Geld steht der Türkei aus dem EU-Etat zur Verfügung?

Es geht dabei um Vorbeitrittshilfen, mit denen die Gemeinschaft die Heranführung eines Kandidaten an die Union finanziert. Solche Gelder bekommen auch andere wie Serbien. In der Finanzperiode 2014 bis 2020 sind in diesem Programm 4,45 Milliarden Euro für Ankara vorgesehen, von denen bisher aber nur 167,3 Millionen für entsprechende Projekte abgeflossen sind. Diese Zuwendungen haben nichts mit den drei Milliarden Euro zu tun, die zusätzlich im Rahmen des Flüchtlingsdeals vereinbart wurden. Sie kommen noch dazu.

Und wofür kann die Türkei das Geld ausgeben?

In den Jahren 2014 bis 2017 sind zum Beispiel 540 Millionen Euro für die Stärkung der Demokratie und bessere Regierungsführung eingesetzt worden. Weitere 389 Millionen können für den Ausbau der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit genutzt werden. Von diesen Positionen ist aber bis jetzt noch kein Euro ausgezahlt worden. Rund zwei Drittel der Gesamtsumme von 4,45 Milliarden Euro sind als Heranführungshilfe für Projekte zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, des Umbaus der Energieversorgung und des Transportsektors vorgesehen. Bildung und Beschäftigung gehören ebenfalls zu den bezuschussten Politik-Bereichen.

Kann die EU das Geld nicht einfach stoppen?

Dazu wäre zunächst ein einstimmiger Beschluss der EU-Außenminister nötig. Dafür gibt es bisher keine Initiative, eine Sondersitzung während der Sommerpause wurde (noch?) nicht anberaumt. Hinzu kommt ein rechtliches Problem. Im ersten Vorbeitrittsprogramm 2007 bis 2013 gab es eine Klausel, mit der die Auszahlung der Finanzhilfen an rechtsstaatliche Grundsätze und die Wahrung der Demokratie gebunden waren. Im zweiten Programm ab 2014 fehlt diese Klausel. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kam deshalb in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Suspendierung der Hilfe, wie sie der Außenminister angeregt hat, nicht möglich ist.

Die Türkei gehört zur Zollunion mit der EU. Was heißt das?

Bereits 1995 hat die EU Ankara in die Zollunion aufgenommen. Damit wurden alle Zölle für Industriegüter gestrichen, Ankara musste allerdings versprechen, die europäischen Zölle an seinen Außengrenzen zu erheben. Für die Wirtschaft des Landes bedeutete dieser Schritt einen deutlich erleichterten Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Außerdem wurde die Türkei so als Standort für europäische Unternehmen attraktiv.

Nun soll heute sogar über eine Ausweitung dieser Zollunion gesprochen werden. Ist das in der jetzigen Phase nicht das völlig falsche Signal?

Tatsächlich soll es heute Gespräche über eine Modernisierung der Zollunion in Brüssel geben. Dieser Termin wurde schon vor mehreren Monaten vereinbart. Ursprünglich war geplant, den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt auch auf Dienstleistungen und die Landwirtschaft auszudehnen. Allerdings rechnet heute niemand mit irgendwelchen konkreten Vereinbarungen.

Kann es sein, dass die EU die Zollunion aufkündigt?

Die Union wird dieses Projekt nicht leichtfertig aufgeben, weil es eines der letzten Druckmittel ist, das man gegen Ankara einsetzen kann. Die türkische Wirtschaft hat größte Probleme, der von Präsident Erdogan versprochene Wohlstand lässt auf sich warten. Aus ökonomischen Gründen darf die Türkei also die Zollunion nicht riskieren. Die EU wiederum hofft, dass sie dieses Instrument nutzen kann, um den Präsidenten zu einer Rückkehr zu einer demokratischen Politik zu bewegen.

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