Wie Köhler die Gier der Finanzjongleure geißelt

Berlin. Jesus trieb die Geldwechsler aus dem Tempel. Hat sich Horst Köhler deshalb die Elisabethkirche in Berlins Mitte zur Abrechnung mit den Finanzmärkten ausgesucht? Jedenfalls scheint der Himmel ihn unterstützen zu wollen

 Mehr Kontrolle, mehr Eigenkapital, mehr Haftung fordert Bundespräsident Köhler in seiner Abrechnung mit den Banken. Foto: dpa

Mehr Kontrolle, mehr Eigenkapital, mehr Haftung fordert Bundespräsident Köhler in seiner Abrechnung mit den Banken. Foto: dpa

Berlin. Jesus trieb die Geldwechsler aus dem Tempel. Hat sich Horst Köhler deshalb die Elisabethkirche in Berlins Mitte zur Abrechnung mit den Finanzmärkten ausgesucht? Jedenfalls scheint der Himmel ihn unterstützen zu wollen. Er schickt Blitz und Donner genau in dem Moment auf das Gotteshaus hinab, als der Bundespräsident mit großem Furor die Banker geißelt: "Bis heute warten wir auf eine angemessene Selbstkritik der Verantwortlichen. Von einer angemessenen Selbstbeteiligung für den angerichteten Schaden ganz zu schweigen."

Der Präsident redet Klartext. Auch weil er, wie er gleich zu Beginn sagt, seit dem Jahr 2000, damals noch Chef des Weltwährungsfonds, gewarnt habe. "Doch es fehlte der Wille, das Primat der Politik über die Finanzmärkte durchzusetzen." Köhlers vierte "Berliner Rede" ist auch eine Abrechnung mit jenen Finanzjongleuren, "die sich nicht nur von der Realwirtschaft abgekoppelt haben, sondern von der Gesellschaft insgesamt". Fehlende Transparenz, Laxheit, unzureichende Aufsicht und Risikoentscheidungen ohne persönliche Haftung hätten die Krise heraufbeschworen. Das sei "Freiheit ohne Verantwortung" gewesen.

So viel Prominenz wie noch nie ist in diesem Jahr gekommen. Die ARD sendet live. FDP-Chef Guido Westerwelle, der Horst Köhler als seine Erfindung betrachtet, ist ohnehin jedes Mal dabei, aber nun haben auch die Sozialdemokraten mit Peer Steinbrück, Klaus Wowereit und Jens Böhrnsen gleich drei Topleute geschickt. Bischof Wolfgang Huber ist da, Bundesbankpräsident Axel Weber und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Am 23. Mai steht die Wahl des Bundespräsidenten an, und wie es aussieht, wird Köhler bleiben können. Da will man nicht fehlen.

Die Stärke der Rede ist, dass sie die Ursachen der Krise schonungslos offen legt. Und auch, dass sie für die Neuordnung der Finanzmärkte eine Richtung vorgibt. Mehr Kontrolle, mehr Eigenkapital, mehr Haftung. Bundesbank-Präsident Axel Weber findet das alles gut: "Ein Weiter-so kann es auf den Finanzmärkten wirklich nicht geben", sagt er hinterher. Schwächer werden Köhlers Ausführungen, als es um die konkrete Politik in Deutschland geht. Kein Wort zu Opel, außer dass er "Hoffnung" hege. Kein Wort zu Staatsbeteiligungen, zu einer "bad bank" oder zum Streitthema Steuern. In die Tagespolitik mischt sich der Präsident so kurz vor der Wiederwahl nicht ein, hat er sich doch dabei schon öfter die Finger verbrannt. Aber immerhin mahnt er alle Beteiligten: "Auch im Vorfeld einer Bundestagswahl gibt es keine Beurlaubung von der Regierungsverantwortung." Die Krise sei "keine Kulisse für Schaukämpfe". Bei diesem Satz klatschen auch die Politiker in der ersten Reihe, die sich diese Schaukämpfe gerade vermehrt liefern.

Der zweite Teil der Rede ist ganz anders. Köhler sieht die Krise als Zeitpunkt, um innezuhalten und umzukehren. In der ganzen Welt. Der Präsident sieht vor allem hierin die Symbolik des Veranstaltungsortes. Die Elisabethkirche, eine wieder aufgebaute Kriegsruine, stehe für das Werk der Zerstörung, das Menschen anrichten könnten. "Aber sie sagt auch: Wir können immer einen neuen Anfang schaffen." Was nun folgt, hätte auch jeder Globalisierungsgegner sagen können und sicher auch jeder Grüne, aber von denen ist niemand Namhaftes da. Eine "Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten", den Kampf gegen Armut und Klimawandel sowie gerechten Welthandel fordert Köhler. Mit der FDP werden solche Sätze bisher weniger identifiziert, aber dennoch bejubelt Guido Westerwelle die Rede hinterher am überschwänglichsten von allen: "Herausragend, zukunftsorientiert und mutig."

Gegen Ende stellt der Präsident sogar die Sinnfrage. "Was ist das, Glück? Ich finde wir sollten uns neue Ziele setzen auf unserer Suche nach Erfüllung." Ein bescheideneres, nachhaltigeres Leben und Wirtschaften eben. Kirchenvertreter, wie Prälat Karl Jüsten vom Kommissariat der Deutschen Bischöfe, spricht besonders dieser Teil an. "Das war katholische Soziallehre aus dem Mund eines evangelischen Präsidenten." Köhler sei "der richtige Mann in der richtigen Zeit". Warum ihn dann nicht wählen, Klaus Wowereit? Berlins Regierender Bürgermeister, der die Rede gerade noch gelobt hat, wird schmallippig. Es sei doch ganz normal, dass die SPD als große Volkspartei am 23. Mai eine eigene Kandidatin aufstelle, sagt er beim Verlassen der Kirche. Das habe mit der Bewertung Horst Köhlers überhaupt nichts zu tun.

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