Wie Gottschalks Show zum Albtraum wurde

Die Nervosität ist Vater und Sohn anzumerken. Christoph Koch trommelt auf sein Lenkrad, während der Blick seines Sohnes Samuel mit Anspannung auf dem Auto seines Vaters liegt. "Was für ein Gefühl muss das für diesen Vater sein, wenn ihm sein eigener Sohn vors Auto läuft", sagt Thomas Gottschalk flapsig zum Ablauf der Wette. Kurz darauf hören Millionen bei "Wetten, dass.

Die Nervosität ist Vater und Sohn anzumerken. Christoph Koch trommelt auf sein Lenkrad, während der Blick seines Sohnes Samuel mit Anspannung auf dem Auto seines Vaters liegt. "Was für ein Gefühl muss das für diesen Vater sein, wenn ihm sein eigener Sohn vors Auto läuft", sagt Thomas Gottschalk flapsig zum Ablauf der Wette. Kurz darauf hören Millionen bei "Wetten, dass..?" Michelle Hunziker nach einem Arzt rufen - Samuel liegt leblos auf dem Boden. Es ist der spektakulärste Unfall in der Geschichte der erfolgreichsten deutschen Familienshow - und er weckt vor allem eine Frage: Hat Gottschalk im Quotenkampf mit RTL das Risiko überdreht?

Samuel, der Schauspielschüler ist, wollte mit Sprungfedern über das ihm entgegenfahrende Autos hüpfen. Zweimal gelang es ihm, ein Versuch missglückte - dann rollte der Audi mit seinem Vater am Lenkrad erneut los. Bei seinem Salto touchierte der langjährige Leistungsturner das Auto und landete brutal auf dem Oberkörper. Als Samuel leblos am Boden lag, schlug nicht nur das von den Kameras eingeblendete Model Sara Nuru entsetzt die Hände vors Gesicht, sondern auch viele Zuschauer. Das Drama setzte sich in der Universitätsklinik Düsseldorf fort. Zunächst sah es aus, als bessere sich Kochs Zustand. Gestern morgen dann verschlechterte er sich, wie der ärztliche Direktor Wolfgang Raab berichtete. Das Ärzteteam entschloss sich zu einer Notoperation. Koch hat eine komplexe Verletzung der Halswirbelsäule, sein Rückenmark ist betroffen, außerdem zeigt er Lähmungserscheinungen. Ob er einen dauerhaften Schaden erlitt, wird sich erst zeigen, wenn er aus dem künstlichen Koma geweckt werden kann.

Jenseits des persönlichen Schicksals des Wettkandidaten war es für das ZDF und Gottschalk das schlimmstmögliche Ereignis. "Da stellt sich irgendetwas auf den Kopf, was man nun überhaupt nicht möchte", sagte der 60-Jährige, als er den Abbruch der Show begründete. Gottschalk machte auch keinen Hehl daraus, dass ihm der Unfall selbst an die Nieren ging. "Man macht sich natürlich auch Vorwürfe. Hätte man als Moderator dem Samuel abraten sollen?" Doch gleichzeitig verwies er auf das beim Kandidaten liegende Restrisiko: "Er war natürlich auch ganz sicher, dass er das, was er uns anbietet, kann."

Doch entweder war Gottschalk falsch informiert oder er blendete die Unsicherheit des Studenten bewusst aus. Denn dieser war nicht "ganz sicher" - im Gegenteil: Der aus Efringen-Kirchen stammende Mann hatte der "Badischen Zeitung" vor der Show von seiner Skepsis berichtet. "Bei den Proben am Donnerstag bin ich zweimal schwer gestürzt. Der Wettteil klappt noch nicht."

Schon 2008 hatte es bei "Wetten, dass..?" einen schweren Unfall gegeben. Ein 22-Jähriger wollte damals mit einem BMX-Rad über ein Haus springen, stürzte ab und brach sich ein Bein. Damals bekam kein Zuschauer etwas davon mit, weil der Unfall während der Proben geschah. Schon damals befand sich Gottschalk in einem Quotenkampf mit RTL. Dieser hat sich inzwischen verschärft, da vor allem das "Supertalent" dem ZDF-Klassiker Zuschauer abzieht und "Wetten, dass...?" in diesem Jahr neue Tiefststände bei den Einschaltquoten erreichte. Nach Informationen von "Spiegel online" wies Gottschalk nach dem Unfall vor seinen Mitarbeitern auf genau dieses Problem hin: "Sagt man, wir wollen jede Gefahr vermeiden? Dann sind wir bei einem Kindergeburtstag und blasen Kerzen aus. In einer Situation, wo die Konkurrenz größer wird."

Wie der Branchendienst Media ermittelte, bescherte ausgerechnet der Sturz Gottschalk Spitzenwerte des Samstagabends: Bei Bekanntgabe des Abbruchs von "Wetten, dass..?" und bei Gottschalks Angaben zum Zustand des Kandidaten im "heute journal" schauten jeweils 9,5 Millionen Menschen zu.

Das Spiel mit

dem Risiko

Von SZ-Redakteurin

Iris Neu

Eines vorweg: Der Abbruch der Sendung "Wetten, dass..?" nach dem schweren Unfall war eine richtige Entscheidung. Dazu bedurfte es jedoch nicht mehr als eines Fünkchens Taktgefühl. Nun drängt sich die folgenschwere Frage auf: Durfte diese Wette überhaupt stattfinden? Gewiss lebt Gottschalks Sendung seit Jahren vor allem von den tollkühnen Wetten, vom Über-sich-hinauswachsen und der Spannung, die dabei erzeugt wird. Und man kann sich vorstellen, dass es für die Unterhaltungsmacher, allen voran Gottschalk, bisweilen heikel ist, das Risiko hochakrobatischer Wetteinsätze verantwortungsvoll einzuschätzen - auch ob sich der jeweilige Kandidat nicht selbst überschätzt. "Wetten, dass..?" hat zuletzt massiv an Einschaltquote verloren. Da wollte man jetzt freilich Vollgas geben. Sollte der Kandidat aber bleibende Schäden davontragen und sich der Verdacht erhärten, dass "Action" vor Sicherheit ging, könnte das Gottschalks Show weit schneller den Garaus machen als eine miese Quotenbilanz.

Hintergrund

Die ZDF-Sendung "Wetten, dass..?" gilt als Europas erfolgreichste Fernsehshow. Sie läuft seit 1981, seitdem gab es 192 Ausgaben. Die erste Sendung kam am 14. Februar 1981 ebenfalls aus Düsseldorf, präsentiert vom Erfinder der Show, Frank Elstner. Bis zu 350 Menschen sind vor, hinter und auf der Bühne mit der Show beschäftigt. dpa

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