Wie genau nimmt es Sarrazin mit der Wahrheit?

These Geburtenrate: Etwa sechs Millionen Menschen türkischer, arabischer, bosnischer und afrikanischer Herkunft leben in Deutschland. Bleibe die Geburtenrate dieser Gruppe von Einwanderern dauerhaft höher als die der deutschstämmigen Bevölkerung, würden Staat und Gesellschaft im Lauf weniger Generationen von den Migranten übernommen

These Geburtenrate: Etwa sechs Millionen Menschen türkischer, arabischer, bosnischer und afrikanischer Herkunft leben in Deutschland. Bleibe die Geburtenrate dieser Gruppe von Einwanderern dauerhaft höher als die der deutschstämmigen Bevölkerung, würden Staat und Gesellschaft im Lauf weniger Generationen von den Migranten übernommen. Analyse: Rein statistisch und auf einen sehr langen Zeitraum berechnet ist das richtig, obwohl der Anteil der genannten Gruppe nur 7,5 Prozent beträgt. Allerdings sind Modellrechnungen wie die von Sarrazin über einen Zeitraum von drei Generationen bzw. 90 Jahren sehr spekulativ, was er selbst auch schreibt. Wenn Einwandererfamilien gut integriert sind und ein bestimmtes Einkommen erreicht haben, passen sich auch ihre Geburtenraten dem niedrigen Stand deutschstämmiger Mütter an. Für Teile von Großstädten wie Berlin ist Sarrazins These allerdings schon Realität. In Berlin hat jeder Vierte der 3,4 Millionen Menschen ausländische Wurzeln (Stand: 30. Juni). Im Bezirk Mitte, der mit seinen 323 000 Einwohnern in der Rangfolge deutscher Städte hinter Bielefeld auf Platz 19 läge, haben 44,5 Prozent (Stand: Ende 2007) der Bevölkerung einen so genannten Migrationsstatus. Bei Kindern und Jugendlichen sind es in in den drei Bezirken Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, die zusammen fast so viel Einwohner wie Köln haben, mehr als 50 Prozent aus Einwandererfamilien. Berlin-Mitte allein erreicht bei den 6- bis 15-Jährigen eine Migrantenquote von 72 Prozent. Völlig anders ist die Situation in den ostdeutschen Ländern ohne Berlin. 2008 stammten dort nur 4,5 Prozent der Menschen aus Einwandererfamilien. These Kulturelle Identität: Muslimische Migranten, also Menschen aus der Türkei, Ex-Jugoslawien und den arabischen Ländern, bildeten den Kern des Integrationsproblems. Es gebe keinen erkennbaren Grund, warum sie es schwerer haben sollten als Einwanderer aus Asien oder Spätaussiedler, die sich schnell integrierten. Islamisch geprägte kulturelle Einstellungen verhinderten eine erfolgreiche Integration. Analyse: Weitgehend unstrittig ist, dass Sprachkenntnisse, Schulabschlüsse und der Anteil am Arbeitsmarkt bei diesen Gruppen unterdurchschnittlich sind. Als wichtigsten Grund dafür nennt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor die besonders hohe Zahl türkisch- oder arabischstämmiger Einwanderer. Sie ermögliche es, Parallelgesellschaften zu bilden, in denen die Menschen sich einrichten, ohne sich zu integrieren. Wo Deutsch-Türken als kleine Minderheit leben, integrieren sie sich schnell. These Gene: Menschen verschiedener Herkunft hätten unterschiedliche Gene. "Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden", sagt Sarrazin. Analyse: Genetische Untersuchungen erlauben statistische Verwandtschaftsanalysen auch zwischen Bevölkerungsgruppen. Die genetischen Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen sind allerdings in der Regel nur klein, während die Variation zwischen zwei Menschen derselben Gruppe viel größer sein kann. So kann sich etwa ein Brite genetisch stärker von seinem Nachbarn unterscheiden als von einem Chinesen. Juden gelten nicht als gemeinsames Volk, sondern als Religionsgemeinschaft, deren Mitglieder zahlreichen Nationen angehören. Mit Intelligenz und Lernfähigkeit oder Charaktereigenschaften wie Moral oder sozialem Verhalten haben genetische Unterschiede nichts zu tun. dpa

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