Wie die Troika zerbröselt

Berlin · Als wäre der Wahlkampf bisher nicht schon verkorkst genug verlaufen, startet Kanzlerkandidat Steinbrück eine Attacke der besonderen Art. Auf offener Bühne zweifelt er die Loyalität von Parteichef Gabriel an.

Einer fehlt. "Sigmar Gabriel steht im Stau", sagt eine Sprecherin. So muss Peer Steinbrück allein mit Generalsekretärin Andrea Nahles vor dem Willy-Brandt-Haus den Startschuss für die letzten 100 Tage bis zur Bundestagswahl geben. Auf die Frage, welche Rakete er angesichts des großen Umfragerückstands auf die Union noch zünden wolle, sagt der SPD-Kanzlerkandidat an dem Morgen nur ein Wort: "Mich". Einen Tag später hat Steinbrück eine Rakete gezündet.

Aber sie ist im Willy-Brandt-Haus eingeschlagen. Es sind nur drei Sätze, die sein neuer Sprecher Rolf Kleine als eine der ersten Amtshandlungen dem "Spiegel" freigegeben hat. Der erste: "Nur eine Bündelung aller Kräfte ermöglicht es der SPD, die Bundesregierung und Frau Merkel abzulösen." Der zweite: "Ich erwarte deshalb, dass sich alle - auch der Parteivorsitzende - in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen." Und der dritte: "Situationen wie am vergangenen Dienstag in der Fraktion dürfen sich nicht wiederholen."

Mitglieder des Vorstandes und der Fraktion sind wenig erbaut, als die Sätze Samstagabend die Runde machen. Steht doch am Sonntagmittag der Parteikonvent an, wo die SPD mit dem Versprechen von bundesweit beitragsfreien Krippen-und Kitaplätzen punkten wollte. Doch statt der Ersparnis von 1900 Euro im Jahr für Eltern dominiert ein verheerendes Signal: Die wichtigsten Leute liegen über Kreuz. Ein Kanzlerkandidat zweifelt offen die Loyalität seines Vorsitzenden an.

Was war passiert? Dienstagnachmittag, Fraktionsebene im Reichstag. Teilnehmer berichten von einer turbulenten Sitzung. Mehrere Bundestagsabgeordnete haben nicht wahrgenommen, dass sich Gabriel offen gegen Steinbrück gestellt habe. Bei der Haltung zum Regierungsentwurf für eine europäische Bankenunion habe er aber deutlich gemacht, dass ein direkter Zugriff auf deutsches Steuergeld bei der Unterstützung maroder Geldinstitute vermieden werden müsse. Letztlich stimmten zehn gegen die Pläne.

Zudem appellierte Gabriel, sich ab sofort im Wahlkampf richtig ins Zeug zu legen, ein Affront gegen den unermüdlichen Steinbrück? Musste dieser deswegen gleich den öffentlichen Disput suchen? Das Ganze geht wohl tiefer, es scheint der Prozess einer schleichenden Entfremdung zu sein - selten scheint der Wahlkampf im Willy-Brandt-Haus bisher Hand in Hand zu gehen.

Als erstes Opfer musste Steinbrücks Sprecher Michael Donnermeyer vor Kurzem gehen. Das verhagelte bereits die finale Vorstellungsrunde des Kompetenzteams, von dem laut einer Emnid-Umfrage für den "Focus" 96 Prozent noch nicht einmal drei der zwölf Namen kennen. Nur 14 Prozent trauen übrigens Peer Steinbrück noch einen Wahlsieg zu.

Die Kampa arbeitet vor sich hin, genauso das Gabriel-Lager. So kündigt Gabriel per Pressemitteilung an, in das Flutgebiet seiner früheren Wahlheimat Magdeburg zu fahren, während Steinbrück sich fast zeitgleich im Fernsehen gegen Politiktourismus in Gummistiefeln wendet. Unvergessen auch Gabriels Alleingang in Sachen Tempolimit 120 auf Autobahnen.

Wie sollen so die Wahlkämpfer motiviert und Wähler im Wartesaal abgeholt werden, wie es Steinbrück gern formuliert? Er hat so seine viel zitierte Beinfreiheit gegenüber Gabriel bewiesen, aber um welchen Preis? Dem 66-Jährigen war es wichtig, nicht als lahme Ente zu gelten, ihm ist auch folgende Aussage wichtig: "Ich habe die Mitglieder des Kompetenzteams ausgesucht." Wenn er doch noch Kanzler werden sollte, stellt sich aber die Frage, wie wollen die beiden vertrauensvoll zusammenarbeiten?

Kann in knapp 100 Tagen noch zusammenwachsen, was vielleicht nicht zusammengehört? Schon zu Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wird Gabriel ein schwieriges Verhältnis nachgesagt. Steinmeier mag froh sein, nicht Kanzlerkandidat von Gabriels Gnaden geworden zu sein. Die Erosions-Erscheinungen in der einstigen Troika sind unübersehbar.

Freitagabend, Potsdam. Es ist einer der Momente, wo Wahlkampf Peer Steinbrück Spaß zu machen scheint. 2500 Leute beim Sommerfest der SPD-Brandenburg. Die Hand in der Hosentasche, plaudert er zu den Leuten, erzählt vom Hochwasser in Bonn, das seine Doktorarbeit weggeschwemmt habe. "Zum Glück". So könnten Journalisten sie nicht scannen. Aufbruchstimmung, Mut ist hier zu spüren. Dann kommen solche Signale aus Berlin.

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