Wie Bomben für Irritationen sorgen

Muammar al-Gaddafi mag ein brutaler Despot und ein launischer Exzentriker sein, dumm ist der libysche Machthaber nicht. Jetzt, wo eine westliche Allianz mit dem Segen der Vereinten Nationen seine Offensive gegen die Aufständischen behindert, zieht er noch einmal alle Register

Muammar al-Gaddafi mag ein brutaler Despot und ein launischer Exzentriker sein, dumm ist der libysche Machthaber nicht. Jetzt, wo eine westliche Allianz mit dem Segen der Vereinten Nationen seine Offensive gegen die Aufständischen behindert, zieht er noch einmal alle Register. Kaum sind die ersten Bomben und Raketen auf Libyen gefallen, berichten die Staatsmedien über Dutzende getöteter Zivilisten. Das libysche Fernsehen zeigt Bilder von einem "Märtyrerbegräbnis". Prompt regt sich im arabischen Lager der erste Protest gegen die Militäroperation der Franzosen, Amerikaner und Briten. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, der sich in den vergangenen Tagen vehement für die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen hatte, ist plötzlich verunsichert. Vielleicht fragt er sich, ob ihm Bilder getöteter Gaddafi-Anhänger womöglich seine Kandidatur bei der ägyptischen Präsidentschaftswahl verhageln könnten. Die linke ägyptische Tagammu-Partei verurteilt am Montag sowohl die Attacken Gaddafis auf sein Volk als auch den Militäreinsatz der Allianz des Westens.Die Rebellen selbst sind dagegen mehr als dankbar für die Atempause, die ihnen der Einsatz der westlichen Armeen verschafft. Die Oppositionszeitung "Brnieq" meldet auf ihrer Website gestern, die französische Luftwaffe habe am Sonntag in der Umgebung der Wüstenstadt Dschalo, 400 Kilometer südlich von Bengasi den Vormarsch einer Einheit der Gaddafi-Truppen gestoppt. Diese hätten versucht, eine Öl-Quelle unter ihre Kontrolle zu bringen. Es sei zu einem Gefecht zwischen Aufständischen und Wächtern der dort tätigen privaten arabischen Öl-Firma auf der einen und den Gaddafi-Truppen auf der anderen Seite gekommen. Zwei junge Aufständische seien getötet worden.

In der Nacht zum Montag ist ein Marschflugkörper in Gaddafis mutmaßliche Kommandozentrale in der libyschen Hauptstadt Tripolis eingeschlagen. Das dreistöckige Gebäude in der gigantischen Militärfestung Bab al-Azizia, in der Gaddafi auch seine Hauptresidenz hat, wurde zerstört. Angeblich soll es bereits vor einigen Tagen einen Angriff auf die Gaddafi-Festung gegeben haben: Und zwar aus den eigenen Reihen von einem desertierten libyschen Luftwaffenpiloten. Er habe seinen Jet auf die Militärzentrale stürzen lassen, berichteten arabische Medien. Dabei sei Gaddafis Sohn Khamis, gefürchteter Kommandeur libyscher Elitebrigaden, getötet worden. Libyens Regime bezeichnete diese Nachricht als Unsinn.

Die Bombardierung des Gaddafi-Komplexes darf durchaus als Botschaft interpretiert werden, dass auch der Diktator persönlich als Bedrohung für die Zivilbevölkerung angesehen werden könnte. Die britische Regierung sieht das offenbar auch so: Außenminister William Hague schloss einen direkten Angriff auf Gaddafi nicht aus: Das hängt von den Umständen ab. Verteidigungsminister Liam Fox sagte, ein Angriff auf Gaddafi sei "eine Möglichkeit".

Unterdessen versucht die Übergangsregierung in Bengasi inzwischen, den Alltag in den von ihr kontrollierten Städten erträglich zu gestalten. Bei einer Sitzung in Bengasi am Wochenende erklärte sie, die staatliche Ölgesellschaft NOC und die Zentralbank müssten ihren Sitz vorübergehend in Bengasi haben. Was sie mit "vorübergehend" meint, ist klar - so lange bis die Aufständischen auch Tripolis unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Doch eine Karte hält Gaddafi noch in der Hand, und er dürfte keine Skrupel haben, sie auszuspielen. Zivilisten sollen ihn und seine Familie in Tripolis umringen und dadurch vor Angriffen der westlichen Allianz schützen, der sich als einziges arabisches Land auch Katar angeschlossen hat. Wenn es nach Gaddafi ginge, könnten diese menschlichen Schutzschilde sogar seine Truppen begleiten, wenn diese versuchen, Bengasi zurückzuerobern.

Die Frage ist nur, wie viele Libyer sich freiwillig melden, um Gaddafis Plan zu folgen. Er will, dass sie als "friedliche Demonstranten mit Olivenzweigen" an der Seite von Soldaten und Söldnern in Bengasi einzumarschieren, wo sie eine schlecht organisierte, aber hochmotivierte Rebellentruppe erwartet.

Hintergrund

Der Ansturm tunesischer Flüchtlinge auf die italienische Insel Lampedusa reißt nicht mehr ab. Nachdem in der Nacht zum Montag noch mehr Boote anlandeten, ist die Zahl der Immmigranten auf der kleinen Insel auf etwa 4800 hochgeschnellt, wie italienische Medien berichteten. Damit kommt praktisch auf jeden Insulaner ein Flüchtling. Innerhalb von 24 Stunden erreichten knapp 1500 Flüchtlinge in 13 Booten die Insel. Ein Ende des Exodus ist nicht abzusehen. Seit Jahresbeginn seien knapp 15 000 Flüchtlinge auf Lampedusa angekommen, sagte Innenminister Roberto Maroni gestern nach einer Kabinettsitzung. Er warnte davor, dass sich auf dem Weg auch Terroristen einschleusen könnten. dpa

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