Wie Berlin sich auf Gaucks Wahl vorbereitet
Ausschwärmen zum Feiern. Vor der Bundespräsidentenwahl liegt die Qual - des Anstoßens. Alle Fraktionen in der Bundesversammlung haben ihre Mitglieder für den Samstagabend zu Empfängen geladen, meist in ausgewähltem Ambiente
Ausschwärmen zum Feiern. Vor der Bundespräsidentenwahl liegt die Qual - des Anstoßens. Alle Fraktionen in der Bundesversammlung haben ihre Mitglieder für den Samstagabend zu Empfängen geladen, meist in ausgewähltem Ambiente. Weil die Wahl Joachim Gaucks am Sonntag so gut wie sicher ist und die Hälfte der 1240 Stimmberechtigten aus den Ländern anreist, dürfte sich entspannte Betriebsausflugsstimmung breit machen.Die SPD feiert im "Goya"
Die schönste Location haben die Sozialdemokraten gewählt. Das "Goya", ein 100 Jahre alter Fetenpalast in Berlin-Schöneberg, der in der Clubszene der Hauptstadt ebenso bekannt ist wie bei den Besuchern von "Ü-30-Parties". Dieser Altersschnitt dürften unter den über 500 erwarteten Gästen, darunter 332 Delegierte, locker erreicht werden. Die 146 Stimmberechtigen der Grünen feiern im nicht minder schmucken Hamburger Bahnhof. Die CDU spart sich Geld und nimmt das eigene Parteihaus, um ihre 486 Wahlmänner und -frauen plus Entourage zu bewirten. Die FDP geht mit ihren 136 Delegierten am Gendarmenmarkt essen.
Gauck auf Stippvisite
Früher war es üblich, dass die Kandidaten bei den Vorwahlfeten "ihrer" Parteien auftauchten, doch belässt es Joachim Gauck bei kurzen Besuchen in den nachmittäglichen Fraktionssitzungen. Denn mit Ausnahme der Linken haben ihn alle Parteien aufgestellt. Der 72-Jährige hätte also argen Fetenstress, wenn er alle Partys abklappern würde. Am Sonntag beginnt um 9 Uhr mit einem Ökumenischen Gottesdienst schon der vielleicht wichtigste Tag seines Lebens. Und der wird sehr lange dauern. Nach der Wahl muss Gauck zahlreiche Fernsehinterviews geben, und abends trifft er sich zum gemeinsamen Essen mit der Kanzlerin und den kompletten Führungsteams von Union, FDP, SPD und Grünen. Danach feiert der neue Präsident noch privat mit seinen engsten Freunden und Familienangehörigen. Der Ort wird strikt geheim gehalten. Aber, das wird betont: "Er zahlt selbst." Bekanntlich fand bei Christian Wulff diese kleine Siegesfeier vor zwei Jahren auf Einladung eines Sponsors statt und war später Teil des Skandals.
Den überraschendsten Ort haben sich die Linken für ihre Vorwahl-Fete ausgesucht: Die Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain, die jetzt als Veranstaltungssaal umgebaut ist. Zu DDR-Zeiten hielt hier der Bürgerrechtler Rainer Eppelmann seine aufrührerischen "Bluesmessen" ab und Bärbel Bohley traf sich mit ihrer Gruppe "Frauen für den Frieden". Am Samstag ist Kandidatin Beate Klarsfeld der Star.
Unter den Wahlmännern und -frauen sind wieder viele Prominente, die die Landtagsfraktionen nominiert haben. Naturgemäß fast alle für Joachim Gauck, wie Tatort-Kommissar Jan Josef Liefers, Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, Moderator Frank Elstner oder Hertha-Trainer Otto Rehhagel. Auch Gamze Kubasik, die Tochter eines der von der Zwickauer Terrorgruppe Ermordeten, ist dabei. Gewerkschafter, Kirchenleute und Unternehmer komplettieren das Bild.
Mitarbeiter unter Hochdruck
Am Freitag wurde im Reichstagsgebäude noch mit Hochdruck gewerkelt. In der Lobby bauten sich die Fernsehstationen auf, der Wickelraum wurde auf Vordermann gebracht, falls jemand mit einem Baby kommt, und im Saal wurden 1240 Stühle aufgestellt. Jeder Wahlmann und jede Wahlfrau muss einen Platz haben. Auch die 16 Vertreter sonstiger Parteien, darunter zwei Berliner Piraten und drei NPD-Leute. Um deren Platzierung gab es Gerangel, das auch am Freitag noch nicht entschieden war. Klar ist, dass die NPD-Vertreter in der letzten Reihe sitzen werden, aber keine Fraktion wollte sie hinter sich wissen. Die Neonazis haben den Historiker Olaf Rose als Kandidaten vorgeschlagen. Jedes Mitglied der Bundesversammlung hat das Recht, einen Namen einzubringen, jeder Deutsche über 40 ist wählbar. Kein Recht gibt es allerdings, dass der Betreffende sich vorstellt oder über ihn debattiert wird. Laut Grundgesetz findet die Wahl des Bundespräsidenten "ohne Aussprache" statt.
Joachim Gauck hat am Samstag noch eine Nacht in Freiheit, nämlich ohne einen Terminkalender, den andere für ihn führen. Er verbringt sie in seiner Berliner Wohnung. Die kurze Dankesrede, die er nach der Wahl halten wird, wollte er schon am Freitagabend fertig stellen. Seine Lebensgefährtin Daniela Schadt ist bei ihm. Beide werden während der Wahl auf der Tribüne sitzen, weil sie nicht Mitglieder der Bundesversammlung sind.
Auch Gaucks drei erwachsene Kinder und deren Familienmitglieder sind da. Von oben werden sie die Stimmabgabe beobachten. Jeder Parlamentarier wird namentlich aufgerufen. Aber gegen 14 Uhr, wenn das Ergebnis feststeht, wird Joachim Gauck in der Mitte der Bundesversammlung stehen, beklatscht von über 1100, die ihm voraussichtlich die Stimme gegeben haben, und auch von den Unterlegenen. Und Bundestagspräsident Norbert Lammert wird Gauck fragen: "Nehmen Sie die Wahl an?" Die Antwort dürfte keinen überraschen.