Wie bekommt man eine Elefantenhaut?

Saarbrücken. Elo führt ein anstrengendes Elefantenleben. Anders als seine Artgenossen mit der dicken grauen Haut fällt er durch leuchtendes Rot auf, wenn er durch die Gegend trottet. Er ist - sozusagen - ein Dünnhäutiger. Über seine rote Farbe lästern kleine Mäuse, freche Affen, aber auch Löwen und Vögel

 Schoolworker sollen unter anderem auch Klassengemeinschaft und soziales Verhalten von Schülern fördern: In der ersten Klasse der Abteischule Wadgassen geht Uschi Kirsch-Gänßinger (Mitte) dabei spielerisch vor. Foto: Steve Welter

Schoolworker sollen unter anderem auch Klassengemeinschaft und soziales Verhalten von Schülern fördern: In der ersten Klasse der Abteischule Wadgassen geht Uschi Kirsch-Gänßinger (Mitte) dabei spielerisch vor. Foto: Steve Welter

Saarbrücken. Elo führt ein anstrengendes Elefantenleben. Anders als seine Artgenossen mit der dicken grauen Haut fällt er durch leuchtendes Rot auf, wenn er durch die Gegend trottet. Er ist - sozusagen - ein Dünnhäutiger. Über seine rote Farbe lästern kleine Mäuse, freche Affen, aber auch Löwen und Vögel. Das beständige Hänseln hat zur Folge, dass Elos Rot noch intensiver leuchtet - weil er sich so ärgert. Aus dem Ärger wird bald Traurigkeit, bis Elos Schwester dem Leidenden gut zuredet. Es sei doch alles nicht so schlimm, schließlich hätten Elefanten doch eine dicke Haut, die eigentlich gar nichts durchlasse. Daran solle er sich immer erinnern, wenn er sich zu ärgern beginne. Schafft es Elo, sich nicht mehr zu ärgern und rot zu werden bis in die Rüsselspitze?"Jaaaa", rufen spontan einige der 22 auf quadratisch angeordneten Bänken sitzenden Erstklässler. Andere wiederum schütteln skeptisch den Kopf: "Neiiin, glaub' ich nicht." Sie alle haben der Geschichte von Elo, dem roten Elefanten, andächtig gelauscht. So aufmerksam, dass man eine Nadel hätte fallen hören können.Die vorgelesene Erzählung ist Teil eines Projekts, an dem die Schoolworkerin Uschi Kirsch-Gänßinger, eine ausgebildete Diplom-Sozialpädagogin, derzeit mit der ersten Klasse der Abteischule Wadgassen arbeitet. Es geht um Gefühle wie Angst, Wut, Traurigkeit und Fröhlichkeit - und wie man mit diesen Empfindungen umgeht. Auch das wird erarbeitet. Dem Gefühlsverständnis dienen unter anderem kleine Rollenspiele. Diesmal geht es pantomimisch zur Sache. Daniel tritt in die Mitte der Runde, zieht die Augenbrauen düster zusammen, blickt grimmig mit gebleckten Zähnen in die Gesichter seiner Schulkameraden und ballt die Fäuste. Die übrigen Kinder erkennen gleich, was er darstellt: Es ist "Wut". Danach tritt der blonde Philipp in die Mitte, reißt Augen und Mund weit auf. "Er ist ängstlich", stellt die Gruppe einhellig fest. Dann steht Konstantin auf und zieht die Mundwinkel tief nach unten - er ist "traurig". Ihm kontert Valentina breit lächelnd: Sie ist "fröhlich". Spontan soll ein Kind nach dem anderen ein Gefühl äußern. Und es zeigt sich: Die meisten sind froh. Froh, "dass Fabian mein Freund ist" oder "dass ich in der Pause ohne Ende gespielt habe". Auch Lehrerin Karin Harig macht mit und ist "froh, dass draußen die Sonne scheint und morgen Wandertag ist". "Traurig" ist allerdings auch ein Thema - etwa "wenn es so laut ist, dass Frau Harig schreien muss". Und Ärger macht sich Luft, beim Streit in der Pause, etwa "wenn der Julian mich schubst". Letzteres ist ein Grund für Uschi Kirsch-Gänßinger einzuschreiten. Bei kleinen Rangeleien sollen nicht gleich Namen genannt werden. Kirsch-Gänßinger geht es nicht zuletzt darum, die Kinder gegen Provokationen zu wappnen. In der Mitte der Runde hockend wirft sie einem Kind nach dem anderen einen Ball zu - und schickt eine kleine Stichelei hinterher. Die ABC-Schützen scheinen den Sinn verstanden zu haben, antworten mit "ist mir doch egal!" oder reagieren mit Themenwechsel wie "heute gibt es bei uns Spaghetti". Verhaltensmuster gegen das "Ärgern lassen" sollen sich künftig im Alltag manifestieren. Ein großer roter Elefant aus Pappe, der jeweils nach erfolgreichem "Nichtärgern" nach und nach mit grauen Fellflecken beklebt wird, soll als Gedächtnisstütze dienen nach dem Motto: "Wir lassen uns nicht ärgern." Nach der Schoolworker-Stunde treffen sich Uschi Kirsch-Gänßinger und Karin Harig im Lehrerzimmer zu einem Nachgespräch. Der Lehrerin brennt das Thema "Verpetzen" auf der Seele. Einerseits sollen die Kinder kleine Probleme selbst untereinander lösen, andere Kinder nicht anschwärzen. Doch gibt es freilich auch Begebenheiten, die sie melden sollten. Die Diplom-Sozialpädagogin beschließt, das Thema in einer gegenüberstellenden Form "Ich melde . . ." und "Ich melde nicht . . ." beim nächsten Mal aufnehmen. Es soll kombiniert werden mit dem für diesen Tag vorgesehenen Thema "Wie kann man sich entschuldigen?". Dabei soll eine Art "Wiedergutmachungskatalog" erarbeitet werden. Die 47-jährige Schoolworkerin besucht die erste Klasse in Wadgassen ein Mal pro Woche. Insgesamt betreut sie wöchentlich vier Grundschulen und eine Förderschule im Landkreis Saarlouis. Ihre jeweiligen Projekte sind auf das Alter der Schüler abgestimmt - insbesondere auch die Strategien gegen Streit und Aggression. In einer dritten Klasse soll zudem die Wahrnehmung der eigenen Person, der eigenen Fähigkeiten gefördert werden. So lässt Kirsch-Gänßinger die Drittklässler beispielsweise eine Schatzkiste bauen, die sie mit Lieblingsgegenständen füllen. Sinn ist es, dass jedes Kind den Inhalt seiner Kiste vorstellt - vor den Klassenkameraden. "So lernen Kinder auch, vor einer Gruppe zu sprechen, ihre Schüchternheit zu überwinden", sagt Kirsch-Gänßinger. Mit der Arbeit in den Klassen ist es für einen Schoolworker allerdings längst nicht getan: Auch Lehrern und Eltern steht Kirsch-Gänßinger als Beraterin und Vermittlerin zur Verfügung. Bei besonderen Problemen setzt sie ihre Verbindungen zu speziell ausgebildeten Fachleuten ein, so etwa dem Schulpsychologischen Dienst. Lehrerin Karin Harig sieht in den Schoolworkern eine große Stütze für Eltern, Lehrer und Kinder: "Ich bin sehr dankbar dafür, dass es dieses Angebot gibt."

HintergrundSchoolworker gibt es seit 2003 an insgesamt 98 saarländischen Schulen. Derzeit sind es 52 sozialpädagogische Fachkräfte, die an 47 Erweiterten Realschulen, 14 Gesamtschulen, 21 Gymnasien und 16 Förderschulen arbeiten. Im September 2009 wurden weitere 20 Stellen für Schoolworker an saarländischen Grundschulen geschaffen. Die Personalkosten werden jeweils zur Hälfte vom Land und den Kreisen zur Verfügung gestellt. Im Kreis Saarlouis setzt sich die Trägerschaft des Schoolworker-Projekts aus dem Sozialpädagogischen Netzwerk der Arbeiterwohlfahrt, dem Sozialwerk Saar-Mosel und dem Landkreis zusammen.Aufgabe der Schoolworker ist es unter anderem, Lehrer, Schüler und Eltern in Problemsituationen und Krisen zu beraten, professionelle Hilfsangebote zu vermitteln und die Angebote vor Ort zu vernetzen. Weitere Schwerpunkte sind die Förderung eines sozialverträglichen Miteinanders der Schüler und die Gewalt- und Suchtprävention. ine

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